Die Proteste in den USA reißen nicht ab. Am Wochenende fanden landesweit 450 Märsche für Abtreibungsrechte statt.

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Die Proteste in den USA für das Recht auf Abtreibung gehen weiter. Allein am vergangenen Wochenende gab es landesweit 450 Protestmärsche, bei denen Zehntausende gegen die drohende Aufhebung des Grundsatzurteils Roe v. Wade, das das landesweite Recht auf eine Abtreibung festschreibt, protestierten. Nicht genug Stimmen waren es hingegen vergangene Woche im Senat, wo 49 für und 51 gegen einen Gesetzesentwurf der Demokraten für ein liberales Abtreibungsrecht stimmten.

Sollte der Oberste Gerichtshof das Abtreibungsrecht tatsächlich aushebeln – wofür Vorabberichte von Anfang Mai sprechen –, werden zahlreiche Bundesstaaten im Süden und Mittleren Westen den Zugang zum Schwangerschaftsabbruch einschränken oder ganz verbieten.

Turnaway-Studie

Dass die Verweigerung einer Abtreibung große Gesundheitsrisiken mit sich bringt, belegte die sogenannte Turnaway-Studie. Diese Längsschnittstudie untersuchte die Auswirkungen einer ungewollten Schwangerschaft auf das Leben von Frauen. Dabei interessierten sich die Forscherinnen konkret für die psychischen, physischen und sozioökonomischen Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs im Vergleich zum Austragen einer ungewollten Schwangerschaft.

Zwischen 2008 und 2010 rekrutierten sie dafür rund 1000 in den USA lebende Frauen. Sie hatten quer durch alle Bundesstaaten Abtreibungseinrichtungen aufgesucht, weil sie einen Abbruch durchführen ließen – oder aber er wurde ihnen verweigert, weil sie Fristen überschritten hatten. Für die Studie wurden die Betroffenen fünf Jahre lang immer wieder telefonisch interviewt. Gefragt wurde unter anderem nach der körperlichen und geistigen Gesundheit sowie nach Emotionen in Bezug auf Schwangerschaft und Schwangerschaftsabbruch.

Das zentrale Ergebnis: Frauen, denen eine Abtreibung verweigert worden war, hatten im Vergleich häufiger sowohl mit körperlichen als auch mit psychischen Gesundheitsproblemen zu kämpfen. Außerdem erlebten sie nach der Geburt des Kindes einen Anstieg der Haushaltsarmut, der mindestens vier Jahre lang anhielt. Besonders tragisch war, dass zwei der Teilnehmerinnen an Folgen der Entbindung starben.

"Lassen Sie die Daten beiseite" – an dieses Zitat des Höchstrichters John Roberts erinnerte Diana Greene Foster, Leiterin der Turnaway-Studie, kürzlich in einem Interview mit Scientific American. Er sagte es 2018 bei einer Anhörung vor dem Obersten Gerichtshof zu Abtreibungen in Mississippi. "Er entscheidet nur aus politischen oder religiösen Gründen", so Greene Foster.

Reproduktive Gesundheit ist in den USA eine Frage von Race und Klasse, zeigen verschiedene Statistiken. Abtreibungsverbote werden dementsprechend vor allem jene treffen, denen die finanziellen Mittel fehlen und die nicht mobil sind, betonen Feministinnen. In den USA sind das überproportional schwarze Frauen. Sie sind es auch, die als Schwangere und Gebärende am meisten unter der schlechten Gesundheitsversorgung leiden.

Hohe Müttersterblickeit

Im Vergleich mit europäischen Staaten verzeichnen die USA eine sehr hohe Müttersterblichkeit. Zwischen 1987 und 2017 ist diese sogar eklatant gestiegen: von 7,2 auf 17,3 Todesfälle pro 100.000 Lebendgeburten. 2020 kletterte sie noch weiter auf 23,8 Fälle. Eine Analyse der Daten zwischen 2014 und 2017 zeigt, dass schwarze Frauen an der Spitze der Statistik stehen: Unter den "non-Hispanic Black women" kommen 41,7 Todesfälle auf 100.000 Lebendgeburten, bei den "non-Hispanic White women" sind es hingegen 13,4, zeigen Daten der Centers for Disease Control and Prevention. Laut dieser Behörde sind die Differenzen unter anderem auf den Zugang zum Gesundheitssystem, auf chronische Vorerkrankungen und strukturellen Rassismus zurückzuführen. Diese Lage könnte sich weiter verschärfen. "Ich mache mir am meisten Sorgen darüber, dass die Zahl der Todesfälle bei Müttern in diesem Land zunehmen wird, wenn Roe gekippt wird", sagte Lauren Ralph, Epidemiologin an der University of California in San Francisco, dem Sender NBC News.

Während Gegner und Gegnerinnen von Abtreibungsrechten häufig vor psychischen Folgen einer Abtreibung warnen, lieferte die Turnaway-Studie also gegenteilige Ergebnisse. So litten Frauen, die eine Abtreibung hatten, nicht häufiger an Depressionen, Angstzuständen oder Suizidgedanken als Frauen, denen dieser Eingriff verweigert wurde. 95 Prozent der Befragten gaben fünf Jahre nach dem Eingriff an, dass die Abtreibung für sie die richtige Entscheidung gewesen sei. (Brigitte Theißl, 17.5.2022)