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Das Begräbnis von Khalifa bin Zayed fand im Familienkreis statt. Zum Kondolieren kamen Spitzenpolitiker aus der ganzen Welt nach Abu Dhabi.

Foto: Reuters / Ministry of Presidential Affairs

Es wird keiner großen Umgewöhnung bedürfen: Aus der Formulierung "De-facto-Herrscher" der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) ist einfach das "de facto" zu streichen. Mohammed bin Zayed Al Nahyan, der jüngere Halbbruder des am Freitag im 74. Lebensjahr verstorbenen Präsidenten der VAE und Emirs von Abu Dhabi, Khalifa bin Zayed, hatte schon während der vergangenen Jahre die Zügel fest in der Hand. 2014 hatte Khalifa einen Schlaganfall erlitten. Wie viel er danach überhaupt noch mit den Amtsgeschäften zu tun hatte, war nie klar – in letzter Zeit bestimmt nichts mehr.

Mohammed bin Zayed, analog zum saudischen Kronprinzen MbS (Mohammed bin Salman) – über dem er jetzt protokollarisch steht – MbZ genannt, ist 61 Jahre alt und wurde am Tag nach dem Tod Khalifas zum neuen Präsidenten der VAE ernannt. Als solcher ist er auch Oberkommandierender der Streitkräfte. Bereits 2019 nannte ihn die "New York Times" den einflussreichsten arabischen Politiker. Dem lässt sich nicht widersprechen. Die Vereinigten Arabischen Emirate spielen unter ihm in einer völlig neuen, höheren Liga als in früheren Zeiten.

Überregionaler Einfluss

Ihr Einfluss reicht weit über die Region hinaus. Reichtum und Glamour, das man vor allem mit Dubai in Verbindung bringt – das einen eigenen Emir hat, der Vizepräsident und Premier der VAE ist –, und die PR-wirksame Förderung von Kunst und Sport sind die eine Seite. Die andere ist beinharte Außen- und Sicherheitspolitik. Dazu gehören Militärbasen bis nach Afrika. Politisch sind die Emirate heute von Mauretanien bis zum Sudan engagiert, um eine Sicherheitsarchitektur nach ihrem Wunsch zu formen. Dazu gehört die marokkanische Souveränität über die Westsahara genauso wie die Unterstützung der Junta in Khartum.

In die Wiege gelegt war diese Karriere MbZ offenbar nicht. Die arabische Gerüchteküche will wissen, dass MbZs Vater, der 2004 verstorbene Zayed bin Sultan Al Nahyan, Emir von Abu Dhabi und erster Präsident der VAE, anfangs gar nicht viel von diesem gehalten hat. Er soll ihn 2003 eher unwillig zum Vizekronprinzen an der Seite des nun verstorbenen Khalifa gemacht haben.

Aber ausgerechnet MbZ wurde später zum ersten Vertreter einer völlig neuen Klasse von starken arabischen Politikern. Man kann von ihm halten, was man will, aber der Gestaltungswille und der politische Mut – wie 2020 die offene Normalisierung der Beziehungen zu Israel – sind nicht zu leugnen.

Mehr als ärgerliche Nachbarn

Das Schlüsseljahr für MbZs Entwicklung war ohne Zweifel 2011: Da stiegen nach Protesten, Revolten und Umstürzen in etlichen arabischen Staaten die Muslimbrüder in höchste politische Ämter auf. Es drohten Systeme zu entstehen, die sozusagen die politische Antithese zu den konservativen salafistischen Monarchien am Golf darstellten: Republiken – aber mit dem Anspruch, islamisch legitimiert zu sein. Wie die Islamische Republik Iran, nur sunnitisch.

Das vielleicht Schlimmste aus Sicht der VAE war, dass ein Nachbar, Katar, diese Art von Islam und die Revolutionen unterstützte. Katar wurde 2011 vom periodisch auftretenden Ärgernis in der Nachbarschaft zum systemgefährdenden Gegner, der über Al Jazeera auch noch enormen medialen Einfluss in der arabischen Welt ausübte. In der langen arabischen Schrecksekunde nach den Umstürzen eroberte Katar auch noch kurz die Meinungsführerschaft in der Arabischen Liga.

Nichts bleibt beim Alten

In Saudi-Arabien, dem mächtigen Nachbarn, regierte damals noch König Abdullah, der zwar nach innen mit einem moderaten Reformwillen ausgestattet, aber nach außen der typische Status-quo-Politiker war. Nur keine Veränderungen! Aber die kamen nicht nur von den Arabern, sondern auch vom strategischen Partner USA: Präsident Barack Obama rührte keinen Finger, als sein Verbündeter Hosni Mubarak in Ägypten gestürzt wurde. In Syrien mischte er sich nicht ein. Dem Iran segnete er mit dem Atomabkommen von 2015 sogar ein (beschränktes und kontrolliertes) Urananreicherungsprogramm ab. Zeit für Politiker vom Schlag eines MbZ, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.

Im Jänner 2015 starb in Saudi-Arabien Abdullah, Salman wurde König. In dessen Sohn Mohammed bin Salman, der 2017 Kronprinz wurde, erwuchs MbZ ein kongenialer Schüler und politischer Partner in der Region. In der Zurückdrängung des Islam aus dem öffentlichen Raum und dem deklarierten Bruch mit der strengen salafistischen Vergangenheit in Saudi-Arabien – alles noch immer im Versuchsstadium – ist deutlich die Handschrift von MbZ zu erkennen.

Die beiden Mohammeds

Die VAE selbst hat er unter das Motto der religiösen "Toleranz" gestellt und 2019 den katholischen Papst empfangen. Auch der Name des Friedensvertrags mit Israel, Abraham-Abkommen, bei dem es vor allem um Sicherheits- und Wirtschaftspolitik geht, hat eine religiöse Konnotation. Im Inneren bleiben die Systeme allerdings autokratisch und undemokratisch wie eh und je.

Den Fehdehandschuh des "politischen Islam", als dessen einzige Vertreter auch im Ausland die Muslimbrüder propagiert wurden, griff Mohammed bin Zayed auf: Katar wurde isoliert, das Verhältnis zur Türkei verschlechterte sich massiv. Und als im März 2015 die vom Iran gestützten jemenitischen Huthi-Rebellen am Golf von Aden standen, zog MbZ gemeinsam mit dem jungen saudischen Verteidigungsminister MbS in den Krieg.

Assad – und Russland

Auch wenn die Huthis aus Aden verdrängt wurden: Die jemenitische Rechnung ist nicht wirklich aufgegangen, wie die wachsende Unsicherheit in den letzten Jahren auf der arabischen Seite des Golfs zeigte. MbZ ist jedoch mit seiner Politik nie am Ende: So wie er die Sicherheitszusammenarbeit mit Israel als Notwendigkeit einstufte, um Teheran einzudämmen, so versucht er aus dem gleichen Grund, den syrischen Outcast und Iran-Verbündeten Bashar al-Assad wieder auf die Seite der Araber zu ziehen. Ebenfalls ein Zeichen der neuen Zeit: Vom Besuch Assads in Abu Dhabi wurde vorab Russland informiert, nicht die USA. Wenn sich die aus Nahost zurückziehen wollen, sucht man sich eben neue Partner.

Zur neuen Politik gehört in letzter Zeit auch die (eher unwillige) Normalisierung mit Katar und eine Versöhnung mit der Türkei und deren Präsident Tayyip Erdoğan: Die beiden Führer besuchten einander bereits gegenseitig, Erdoğan war auch schon in Saudi-Arabien, wo vor einem Jahr noch das osmanische Erbe als das eines "Besatzers" gebrandmarkt wurde. Auch daran, dass Ankara wieder die Fühler nach Israel ausstreckt und umgekehrt, ist MbZ nicht unbeteiligt. (Gudrun Harrer, 17.5.2022)