Exakt 483 Delegierte müsste Karl Mahrer am Freitag am Landesparteitag der Wiener ÖVP von sich überzeugen, wenn er seinem Namensvetter nacheifern will: 524 von 524 Stimmberechtigten haben Kanzler Karl Nehammer am vergangenen Wochenende in Graz offiziell zum Obmann der Bundes-ÖVP gewählt. 100 Prozent der Delegierten bestätigten im April übrigens auch Bezirksvorsteher Markus Figl als ÖVP-Chef im Ersten. Die Messlatte für Mahrers Kür zum Chef der Hauptstadt-ÖVP liegt also hoch.

Karl Mahrer spricht am Parteitag der Wiener ÖVP. Auch Kanzler Karl Nehammer wird vor Ort sein. Das Ergebnis des Bundeschefs wird der Wiener aber schwer toppen können.
Foto: APA / Herbert Neubauer

Über die Bühne gehen wird die Wahl in der Steffl-Arena, einer Sportstätte in der Wiener Donaustadt. Mahrers Vorgänger Gernot Blümel erhielt im Jahr 2020, als er als Landesparteiobmann bestätigt wurde, fast 97 Prozent der Delegiertenstimmen. Ob der Neue das toppen kann? Darauf will sich in der ÖVP niemand festlegen. Ein "gutes" Ergebnis wird dem 67-jährigen Stadtrat ohne Ressort intern aber allemal zugetraut – das klingt nicht nach der vollen Punktezahl. Denn Mahrer gilt nicht gerade als allgemeiner Wunschkandidat, sondern als der gangbarste Kompromiss für alle in der Partei – einer, der alle Flügel befrieden kann. Nicht zuletzt ist Mahrer aber auch einer, der den Job tatsächlich übernehmen will.

Abgerutscht in Umfragen

Doch wenn sie auch leise sind, die kritischen Stimmen innerhalb der Partei gibt es. Nicht ohne Grund: So zeigen Umfragen einen Einbruch der ÖVP in Wien. Eine Market-Umfrage im Auftrag des STANDARD wies der ÖVP im Februar nur noch 14 Prozent aus. Damit ginge mehr als jede vierte Wählerin oder Wähler von 2020 verloren. Damals – unter Blümel – erreichten die Türkisen 20,4 Prozent. Noch eindeutiger sind die Ergebnisse bei der fiktiven Bürgermeister-Direktwahl: Hierbei käme Mahrer auf maximal vier Prozent. Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) sogar auf mehr als 50 Prozent.

Rein psychologisch ist ein starkes Zeichen der Geschlossenheit und der Disziplin für die Landespartei nun von enormer Bedeutung. Denn die Wiener ÖVP hat zuletzt turbulente Zeiten hinter sich bringen müssen: Im vergangenen Dezember ist der Wiener Landespartei – als Folge des kompletten Rückzugs von Sebastian Kurz aus der Politik – auch Blümel als Obmann abhandengekommen. Seither sind die Stadttürkisen damit beschäftigt, sich neu zu (er)finden – personell und inhaltlich. Das erklärte Ziel: ein "neues Kapitel in der Wiener Volkspartei" aufzuschlagen, wie es Mahrer unlängst auf Instagram erklärte.

Großes Team

Dieses beginnt offenbar beim Offensichtlichen. Die Hauptstadt-ÖVP will sich der Bundespartei im Markenbranding anschließen, hieß es zuletzt. Deren Parteifarbe ist zwar weiterhin türkis. Das "Neue" im Parteinamen, das einst Altkanzler Kurz der Volkspartei vorangestellt hatte, ist bei der Bundespartei bereits aus dem Logo gestrichen worden.

Auch die Verschlankung der Wiener Parteispitze, die Blümel vorgenommen hatte, als er Manfred Juraczka 2016 vom Chefsessel der Türkisen stieß, nimmt Mahrer zurück. Statt wie unter dem Ex-Finanzminister drei wird es künftig wieder sechs Stellvertretende geben – sie werden am 20. Mai ebenfalls gewählt. In ihnen spiegelt sich das wider, was man auch Nehammer auf Bundesebene nachsagt: Was Mahrer selbst als "breiter aufstellen" bezeichnete, kann auch als ein weitreichendes Abdecken der Teilorganisationen gesehen werden.

Überbleibsel und Neuzugänge

Vom Team Blümels bleibt nur Margarete Kriz-Zwittkovits erhalten – sie ist nicht nur Gemeinderätin, sondern auch stellvertretende Wirtschaftskammer-Präsidentin. Ebenfalls aus der Wirtschaftskammer kommt deren Standortanwalt Alexander Biach. Mit Ingrid Korosec – und Mahrer selbst – ist der Seniorenbund abgedeckt, Harald Zierfuß repräsentiert das andere Ende der Altersskala: Er ist Obmann der Jungen Volkspartei in der Hauptstadt. Aus dem Rathausklub vervollständigen das "Team Mahrer" außerdem Caroline Hungerländer und Elisabeth Olischar.

Neue inhaltliche Pflöcke will Mahrer mit einem Leitantrag einschlagen. Das ist längst überfällig: Zwar setzte der neue Parteichef mit Ansagen zu den Corona-Demos in der Innenstadt oder zur Roadrunner-Szene in den Außenbezirken bereits einzelne eigene Duftmarken und kramte zuletzt ein altbekanntes Thema aus der schwarzen Schublade hervor – mangelnde Deutschkenntnisse der Wiener Schülerinnen und Schüler. Sonst beschränkte er sich jedoch mehr darauf, auf andere Parteien zu reagieren, anstatt mit eigenen Ansagen aufzufallen.

Neue Zukunftsthemen

Mit dem Leitantrag definiert die Wiener ÖVP für sich nun "Zukunftsthemen" – soll heißen: eine Art Programm mit den Schwerpunkten für die nächsten Monate. Diese wurden in den vergangenen Wochen in einem Beteiligungsprozess mit den Bezirks- und Teilorganisationen erarbeitet.

Formuliert wurden unter anderem Kapitel zu Wirtschaft, Bildung, Integration und Mobilität. In letzterem Bereich deutete Mahrer kurz nach seiner Designation überraschend eine Abkehr vom Image der Autofahrerpartei an. Angesichts der jüngsten verkehrspolitischen Kommentare aus der Wiener ÖVP, etwa zur Ausweitung des Parkpickerls ("Zwangsmaßnahme") oder zum neuen Radweg in der Praterstraße ("Willkürlicher Angriff auf die Hauptverkehrsrouten"), stellt sich allerdings die Frage, wie ernst das zu nehmen ist.

Beim Parteitag soll der ehemalige Chef der Wiener ÖVP, Gernot Blümel, wieder auf der Bildfläche erscheinen.
Foto: Matthias Cremer

Von personellen Altlasten ist man offenbar auch noch nicht ganz losgekommen: Blümel wird am Landesparteitag anwesend sein, eine Rede steht nicht auf dem Programm. Sehr wohl das Wort ergreifen wird – neben Mahrer selbst – Bundesparteichef Nehammer.

Auch Turbulenzen bei den Grünen

Ein Tag der Selbstfindung steht auch bei den Grünen ins Haus – und zwar im Juni. Ihnen hat es seit dem Wechsel von der Regierungs- in die Oppositionsrolle ordentlich den Boden unter den Füßen weggezogen. Die Personalia sind allerdings bereits geklärt. Nach der Wahl im Oktober 2020 wurde die ehemalige Vizebürgermeisterin und Grünen-Chefin Birgit Hebein ausgewechselt. Das Spitzenduo Peter Kraus und Judith Pühringer wurde vergangenes Jahr gewählt. (Oona Kroisleitner, Stefanie Rachbauer, 17.5.2022)