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Schutz vor einem Gericht in Belgrad (Symbolbild). In der serbischen Hauptstadt fand ein auffälliger Prozess statt.

Foto: AP / Vojinovic

Er hat am 23. November 2019 seine Freiheit verloren. Osman Osmanović wurde damals an der serbischen Grenze verhaftet, als er von Bosnien-Herzegowina nach Serbien reisen wollte. Weil er kein serbischer, sondern ein bosnischer Staatsbürger ist, muss Osmanović in Belgrad seit zweieinhalb Jahren in Untersuchungshaft bleiben. Seine Festnahme basierte auf einer einzigen Strafanzeige, damals ohne Haftbefehl oder Anklage. Die serbischen Behörden argumentierten jedoch, es bestehe Fluchtgefahr.

Osmanović wird vorgeworfen, während des Bosnienkriegs im Mai und Juni 1992 im Lager Rasadnik in der Nähe der bosnischen Stadt Brčko vier Personen unmenschlich behandelt, rechtswidrig inhaftiert, gefoltert und ihnen Gewalt angetan zu haben. Von den vier vom Gericht genannten Opfern sind drei bereits verstorben.

Nur ein Opfer sagte aus

Deshalb konnte nur Vasiljko Todić in dem Prozess aussagen. Er gab an, dass er 83 Tage in Gornji Rahić festgehalten worden sei und dass die Häftlinge in dem ehemaligen Kühllager Rasadnik ohne sanitäre Einrichtungen untergebracht worden seien. Aufgrund der schlechten Ernährung habe er stark abgenommen. Todić sagte auch aus, dass Osmanović bei seiner Vernehmung in Rasadnik anwesend gewesen sei. Osmanović habe damals zu ihm gesagt: "Du lügst, Tschetnik", und habe ihm ins Gesicht geschlagen.

Über die anderen drei verstorbenen Opfer gibt es nur Aussagen von Dritten. Die Zeugin Mara Vukmirović, die Tochter des verstorbenen ehemaligen Gefangenen Aleksandar Pavlović, sagte aus, dass Osmanović dabei gewesen sei, als ein Inspektor Pavlović gegen das Knie getreten habe. Die Zeugin Snježana Simikić, Halbschwester des verstorbenen ehemaligen Gefangenen Milenko Radušić, gab an, dass ihr Bruder niemals gesagt habe, wer ihn geschlagen habe.

Mögliches Rachemotiv

Die Zeugin Zora Simić, die Frau des verstorbenen Rado Simić, meinte, dass ihr Ehemann Osmanović nie genannt habe. Trotzdem wurde Osmanović Mitte März in erster Instanz zu fünf Jahren Haft verurteilt. Und trotz Berufung darf er noch immer nicht freigehen. Osmanović gab selbst an, dass er damals im Krieg als Teil des Innenministeriums von Bosnien und Herzegowina für die öffentliche Sicherheit in Brčko zuständig gewesen sei. Er habe Pavlović und Radušić befragt, aber Todić und Simić kenne er nicht.

Pavlović habe er nach dem Krieg wiedergetroffen. Osmanović sagte auch aus, dass Pavlović nicht in dem Lager hätte inhaftiert werden dürfen. Der Angeklagte meinte weiters, dass er vermute, dass er beschuldigt worden sei, weil er 2015 eine Schadenersatzklage gegen die Zeitung "Press" gewonnen habe. "Press" hatte einen Artikel veröffentlicht, in dem er beschuldigt wurde, Serben im Lager von Gornji Rahić gefoltert zu haben. Ein weiterer Grund für die Anklage sei seiner Ansicht nach seine Tätigkeit nach dem Krieg.

Kampf gegen organisierte Kriminalität

Osmanović war Leiter der Abteilung zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität im Innenministerium des Kantons Tuzla und hatte Ermittlungen gegen die Regierung geführt. Untersucht wurden dabei Minister, Gemeindevorsteher und Direktoren öffentlicher Unternehmen. Osmanović hatte in Brčko auch Ermittlungen gegen mehrere Abteilungsleiter geführt, als er Direktor des Finanzamts war. Einer von ihnen, der tatsächlich angeklagt wurde, schwor damals, dass er sich an ihm rächen werde.

Nun ist es völlig unbestritten, dass in dem Lager Rasadnik Verbrechen gegen die bosnisch-serbischen Gefangenen verübt wurden. Rasadnik, eigentlich ein Kühlhaus aus Wellblech in Okrajci in Gornji Rahić in der Nähe von Brčko, wurde von Mai bis Juni 1992 als Haftraum für serbische Kriegsgefangene und Zivilisten benutzt. Das Lager stand unter dem Kommando der kroatischen Territorialverteidigung und der Armee von Bosnien und Herzegowina. Die Umstände waren unmenschlich. Es gab keine Fenster, keine Sanitäreinrichtungen, und das Essen, das den Gefangenen gebracht wurde, war so wenig und so schlecht, dass die Häftlinge viel Gewicht verloren.

Zwei Verurteilungen

Die Gefangenen wurden misshandelt und gefoltert. Der Polizeiinspektor Galib Hadžić und ein Vertreter der kroatischen Territorialverteidigung, Nijaz Hodžić, wurden wegen Verbrechen gegen serbische Zivilisten und Kriegsgefangene in genau diesem Lager zu zwei Jahren und zehn Monaten beziehungsweise zu einem Jahr Haft verurteilt. Dennoch ist fraglich, ob auch Osmanović diese Taten begangenen hat. Denn die Beweislage ist auffällig dünn.

An dem Fall ist aber auch die Zuständigkeit des serbischen Gerichts merkwürdig. Denn Osmanović ist bosnischer Staatsangehöriger, und die ihm vorgeworfene Tat soll auf dem Territorium von Bosnien-Herzegowina ausgeübt worden sein und nicht in Serbien, und auch die mutmaßlich Geschädigten sind bosnische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Bosnien und Herzegowina. Nun kann ein serbisches Gericht durchaus auch Kriegsverbrechen ahnden, die im Nachbarstaat begangen wurden. Doch bei anderen Ermittlungen zu Kriegsverbrechen, die sehr ähnlich sind, wurden die Fälle an die bosnischen Justizbehörden übergeben.

Verfahren nach Bosnien übertragen

Die Staatsanwaltschaft von Bosnien und Herzegowina forderte Serbien deshalb auf, den Angeklagten auszuliefern. Doch das Gericht in Serbien weigerte sich. Osmanović ist einer von drei bosnischen Staatsbürgern, die zwischen 2018 und 2021 verhaftet wurden, als sie versuchten, die Grenze von Bosnien-Herzegowina nach Serbien zu überqueren.

Das Zentrum für Humanitäres Recht in Belgrad argumentiert, dass "im Hinblick auf die Intensivierung der regionalen Zusammenarbeit, die für eine effiziente Strafverfolgung aller Verdächtigen, aber auch für die Vertrauensbildung der Opfer erforderlich ist, diese Verfahren nach Bosnien und Herzegowina hätten übertragen werden sollen". Es weist zudem darauf hin, dass das Gericht die Anklage zu Unrecht anonymisiert habe und gegen das eigene Regelwerk verstoßen habe.

Kein faires Verfahren

Die Angehörigen von Osmanović denken, dass der Prozess politisch motiviert und eine Fortsetzung der aggressiven Politik Serbiens sei, sich in die inneren Angelegenheiten von Bosnien und Herzegowina einzumischen und die Verfolgung von dessen Bürgern zu betreiben. Tatsächlich haben bereits einige Gerichte in Europa – trotz entsprechender Haftbefehle – eine Auslieferung bosnischer Staatsbürger an Serbien untersagt, weil sie argumentierten, dass die Beschuldigten in Serbien nicht mit einem fairen Verfahren rechnen könnten.

Der prominenteste Fall war wohl jener des bosnischen Ex-Generals Jovan Divjak, der aufgrund eines Haftbefehls aus Serbien 2011 in Österreich verhaftet wurde. Divjak war vielen Nationalisten in Serbien ein Dorn im Auge, weil er als Serbe die Stadt Sarajevo im Krieg verteidigt und sich nicht auf die Seite der serbischen Nationalisten gestellt hatte, die die Stadt dreieinhalb Jahre lang beschossen und belagerten. Das Landesgericht Korneuburg entschied 2011, dass der mittlerweile verstorbene Divjak nicht an Serbien ausgeliefert werden dürfe, weil er dort kein faires Verfahren erwarten könne. Gerade wenn es um mutmaßliche Kriegsverbrechen geht, sind in Südosteuropa immer wieder politische Agenden im Spiel. Aber Serbiens Justizsystem ist auch jenseits davon und insgesamt reformbedürftig.

"Externer Druck auf Richter"

Laut dem jüngsten Bericht der Organisation Freedom House wird in Serbien die "Unabhängigkeit der Justiz durch politischen Einfluss auf die Ernennung von Richtern beeinträchtigt". Viele Richter hätten "berichtet, dass sie bei ihren Urteilen externem Druck ausgesetzt sind". Politiker äußerten sich in Serbien zudem regelmäßig zu Justizangelegenheiten. Korruption, Mangel an Kapazitäten und politischer Einfluss würden zuweilen ein faires Verfahren untergraben, so Freedom House. "Neben anderen Problemen werden die Regeln für die zufällige Zuweisung von Fällen an Richter und Staatsanwälte nicht konsequent eingehalten", heißt es im Bericht. "Aufsehenerregende, politisch heikle Fälle sind besonders anfällig für Eingriffe." (Adelheid Wölfl, 17.5.2022)