Unter den Musliminnen war die Freude über die Burkini-Erlaubnis in Grenoble groß.

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Der Stadtrat der ehemaligen französischen Olympiastadt Grenoble hat in der Nacht auf Dienstag ein neues Reglement für die städtischen Schwimmbäder genehmigt, das im Kern den Burkini zulässt. Der aus Burka und Bikini gebildete Begriff umschreibt einen Ganzkörperanzug, den eine Libanesin vor zwanzig Jahren in Australien kreiert hat, um Musliminnen das Baden mit bedeckter Haut zu erlauben.

Die Abstimmung fiel denkbar knapp aus: 29 Stimmen der rot-grünen Mehrheit für den Burkini standen 27 Stimmen der konservativen Opposition gegenüber. In Frankreich bewirkt das Badekleid muslimischer Frauen seit langem eine sehr polemische Debatte, ähnlich dem Kulturkampf von 2005 um das islamische Kopftuch oder 2011 um das Burkaverbot. Linke und rechte Laizisten wollen den Burkini als "religiös motiviertes Zeichen" aus dem öffentlichen Raum verbannen; islamische und linke Aktivisten pochen dagegen auf die Bekleidungsfreiheit und Frauenrechte.

DER STANDARD

Badefreiheit

Jetzt schreitet Grenoble zur Tat. Der grüne Stadtpräsident Éric Piolle erklärte am Montag, nur hygienische Gründe könnten das Baden einschränken. Über allem stehe die Freiheit: "Wer im Burkini baden will, ist bei uns ebenso willkommen wie 'oben ohne'." Topless baden wird damit in Grenoble ab diesem Sommer auch erlaubt sein.

Die in der Abstimmung unterlegene Opposition warf dem Bürgermeister vor, er stehe unter dem Einfluss der militanten Alliance Citoyenne, die den Burkini seit Jahren durchzusetzen versuche. Der konservative Vorsteher des Großraums Auvergne-Rhône-Alpes, Laurent Wauquiez, will nun Grenoble sämtliche regionalen Subventionen streichen. "Kein Centime darf die Unterwerfung unter den Islamismus finanzieren", twitterte er.

Unklare Rechtslage

Der zuständige Präfekt kündigte an, er werde den Burkini-Entscheid von Grenoble vor die Gerichte ziehen, denn: "Solche religiösen Zielsetzungen scheinen dem Prinzip des Laizismus zu widersprechen." Die aktuelle Rechtslage ist unklar. 2016 haben einige Gemeinden an der Côte d'Azur den Burkini zwar untersagt – der Staatsrat hob diese Verbote aber mit Verweis auf die Freiheit an Stränden wieder auf. In den stärker geregelten öffentlichen Schwimmbädern liegt der Fall womöglich anders.

Um solche Nuancen geht es aber in dem sehr politischen Streit nur am Rande. Piolle wirft der "islamfeindlichen" Rechten vor, sie versuche einzelne Bürgerinnen zu diskriminieren. Damit mache sie Stimmung vor der Parlamentswahl im Juni.

Frage des Laizismus

Der Radiosender RTL fragte dagegen, warum Piolle mitten im Wahlkampf ein umstrittenes Schwimmreglement einführe. Der gerne provokante Stadtvorsteher verteidigte sich damit, dass andere Städte wie die bretonische Metropole Rennes den Burkini auch zugelassen hätten, ohne damit viel Echo zu bewirken. In Grenoble versuche die laizistische und harte Rechte jedoch gezielt die rot-grüne Regierung zu destabilisieren.

Das tut Piolle aber auch selber. Er weiß, dass viele Sozialisten, denen die in Frankreich geltende Trennung von Kirche und Staat sakrosankt ist, den Burkini strikt ablehnen. Das neue Schwimmreglement bedroht damit die "Volksunion", auf die sich linke und grüne Parteien erst vor zwei Wochen mühsam geeinigt haben.

Die Burkini-Affäre betrifft zwar nur sehr wenige Frauen. Aber vielen Franzosen geht es ums Prinzip. Die zugrunde liegende Frage des Laizismus birgt in Frankreich eine gewaltige politische Sprengkraft. (Stefan Brändle aus Paris, 17.5.2022)