Richter Wolfgang Etl entscheidet über das Schicksal einer Angestellten, die ihre kranke Mutter vernachlässigt haben soll.

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Wien – "Ich habe meine Mutter geliebt", sagt die 50-jährige Frau S. zu Richter Wolfgang Etl. "Wissen Sie, wir waren wie Schwestern", verrät die unbescholtene Teilzeitangestellte auch über die Beziehung zu der im vergangenen Sommer verstorbenen Frau. "Wir haben 50 Jahre gemeinsam gelebt!", schildert die Angeklagte, dass die Mutter jahrelang im ehelichen Haushalt ein Zimmer hatte.

Erst wurde die alte Frau bettlägrig, schließlich dement. S., die sich der angeklagten Vernachlässigung schuldig bekennt, sei überfordert gewesen, sagt sie. Was laut ihrer Darstellung auch an der Mutter lag. "Sie war halt eine eigenständige Person", versucht sie zu beschreiben. "Sie hat sich nichts sagen lassen von Ihnen", drückt der Richter es klarer aus. "Ja", sagt die Angeklagte leise.

Vermüllte Wohnung

Das habe auch zu der zugemüllten Wohnung geführt, von der Etl der Österreicherin ein Bild vorhält. "Die Sackerln gehörten alle der Mutter. Wenn ich die nur einen Millimeter verschoben hätte, wäre sie narrisch geworden", sagt die Angeklagte. Das sei auch das Problem bei der Körperpflege gewesen. Als der Fall bekannt wurde, hatte die alte Frau Auflagegeschwüre, völlig verfilzte Haare, fünf Zentimeter lange Fingernägel und war von Parasiten befallen.

"Wenn ich nur eine Schere angegriffen habe und mich in ihre Richtung gedreht habe, hat sie schon zu schreien begonnen", behauptet die Angeklagte, dass die Mutter in Ruhe gelassen werden wollte. "Es ist heute nicht mehr modern, dass man die Eltern bei sich behält. Aber auch die Großmutter war bis einen Monat vor ihrem Tod bei der Mutter, wir wollten das auch so haben."

Angeklagte im Zwiespalt

"Aber warum haben Sie sich keine professionelle Hilfe geholt, wenn Sie merken, die Mutter lässt sich von Ihnen nicht mehr pflegen?", will der Richter wissen. "Das wollte ich. Aber ich war mit der Gesamtsituation überfordert", entschuldigt die Angeklagte sich. "Ich war in einem Zwiespalt: Soll ich das machen, was die Mutter will, oder soll ich sie an einen Fremden geben?"

Die von Marcus Januschke verteidigte S. wird schlussendlich nicht verurteilt. Etl entscheidet sich für eine diversionelle Erledigung. Wenn die nächsten zwei Jahre nichts passiert, wird das Strafverfahren endgültig eingestellt. Da die Staatsanwältin keine Erklärung abgibt, ist die Entscheidung nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 17.5.2022)