72 Lipizzanerhengste sind in der Spanischen Hofreitschule eingestellt. Sie werden von 17 Bereitern trainiert

Foto: Regine Hendrich

Das sind ja keine Löwen", ruft ein Pferdepfleger. Er führt den ersten von vier Lipizzanern an den Zügeln aus der Reithalle in den Stall der Spanischen Hofreitschule. Auf dem Weg dorthin quert der Tross die Reitschulgasse im ersten Wiener Gemeindebezirk, wo eine Handvoll Touristen vor dem Pfleger herlaufen.

Dass die weißen Hengste durch die Wiener Innenstadt traben oder sich im Burggarten die Beine vertreten, mag Spaziergänger überraschen, für die Pfleger gehört es zum Alltag.

Täglich trainieren 17 Oberbereiter, Bereiterinnen und Bereiteranwärter – wie die Reiter an der Hofreitschule in den unterschiedlichen Ausbildungsstadien genannt werden – mit 72 Pferden im Michaelertrakt der Hofburg.

Damit sich jede Reiteinheit ausgeht, braucht es einen straffen Zeitplan und gut abgestimmte Handgriffe. Dafür sorgen die Pfleger. Sie bürsten, satteln und führen die Hengste vom Stall in die Reithalle und wieder zurück. Sind die Pferde nach dem Training verschwitzt, machen sie im Solarium halt, wo sie ihnen Fell und Beine striegeln.

Das Personal sei ausreichend, heißt es von der Hofreitschule. Damit das aber auch in Zukunft so bleibt, wurden Lehrstellen ausgeschrieben. Ausgebildet wird zum Pferdewirt mit Fokus auf Pferdehaltung und Zucht oder klassisches Reiten und Fahren. Interessenten können sich bis Ende Mai bewerben.

Tiktok und Co

Um dafür vor allem junge Menschen zu begeistern – und wohl auch, um die Institution mit ihren über 450 Jahren vom altehrwürdigen Staub zu befreien –, fährt man die Werbekampagne auch via Instagram, Tiktok, Facebook und Youtube. In kurzen Videos erzählen Reiter über das Fallen vom Pferderücken, das Training am Heldenberg und die Beziehung zu den Fohlen im Gestüt Piber.

Einer davon ist Oberbereiter Herbert Seiberl. Er ist direkt hinter den davonlaufenden Touristen, den Pflegern und Hengsten vom Training in den Stall zurückgekehrt. Seit 27 Jahren arbeitet er an der Hofreitschule, und seit 27 Jahren trägt er täglich dieselbe Arbeitskleidung: kaffeebrauner Frack, Hirschlederstiefel und Zweispitzhut mit Goldborte. Zur Begrüßung hebt er diesen einige Zentimeter nach oben.

Seiberl bleibt bei einer Pferdebox inmitten des Stalls stehen. Ein Hengst streckt den Kopf heraus. Auf einem Schild daneben ist der hochtrabende Name Conversano Brava zu lesen. Er streichelt dem Hengst über den Kopf und richtet ihm "die wenigen Haare zurecht".

Oberbereiter Herbert Seiberl mit Conversano Brava
Foto: Regine Hendrich

Hektik beim Applaus

Man kennt einander gut, immerhin sieht man sich täglich. Conversano Brava sei ein liebes Pferd. Nach der langen Zeit ohne Publikum etwas hektisch beim Applaus, ansonsten laufe es gut. Seiberl mag alle Pferde, wie er sagt. Besonders am Herzen liegen ihm aber seine acht Schulpferde, und fotografieren lässt er sich überhaupt nur ungern mit fremden Lipizzanern.

Sein erstes Ausbildungspferd hat er bekommen, als er vom Eleven, so werden Lehrlinge genannt, zum Bereiteranwärter aufstieg. Das ist die normale Gangart in der Hofreitschule. Mit den Jahren und dem höheren Status, etwa Bereiter und Oberbereiter, steigt die Zahl der Schulpferde, bis sie sich zwischen fünf und neun einpendelt.

Tanzende Vierbeiner

Die Lipizzaner beginnen das Training mit rund fünf Jahren. Bis den balletttanzenden Pferden bis zu tausend Menschen allein beim Üben in der Reithalle zusehen können, vergehen einige Jahre. Fotos während des Trainings zu machen ist streng verboten. Zu groß sei die Gefahr unfairer Kritik, heißt es von der Spanischen Hofreitschule.

Man sei hier nur im Training, im Gegensatz zur Vorführung müsse nicht jeder Sprung perfekt sitzen. Für ihre Galopp-Pirouetten und Kapriolen sind die Pferde auf der ganzen Welt bekannt. Seit dem Jahr 2015 ist die Klassische Reitkunst und die Hohe Schule der Spanischen Hofreitschule als Unesco-Weltkulturerbe gelistet.

Doch auch von Kritik und Skandalen bleibt die Wiener Institution, die sich gänzlich im Eigentum der Republik Österreich befindet, nicht verschont. Vergangenes Jahr sah der Rechnungshof Verbesserungsbedarf bei den Haltungsbedingungen der Tiere und forderte eine besser geplante Finanzierung.

Die Hofreitschule betonte damals, dass sich der Bericht auf die Zeit vor der Übernahme durch Geschäftsführerin Sonja Klima 2019 beziehe und seither "viele Aktivitäten" zum Wohl der Lipizzaner initiiert worden seien, etwa Ausritte im Burggarten, Trainings in der Halle und eine fixe Tierärztin.

Erklärungsbedarf ergibt sich auch aus einem Verfahren, das bei der Staatsanwaltschaft Wien anhängig ist. Der private Lipizzanerhengst der Tochter des früheren Aufsichtsratschefs Johann Marihart soll zu einem günstigeren Preis eingestellt und in den regulären Hofreitschulbetrieb aufgenommen worden sein. Marihart weist die Vorwürfe zurück, es geht um den Verdacht auf Untreue.

Auf dem Boden der Realität

Mit dem Lehrlingsalltag hat das Verfahren aber nichts zu tun. "Man muss sich ständig neu beweisen. Die Pferde bringen einen immer auf den Boden der Realität", sagt Seiberl.

Wie wahr das ist, weiß Felix Burger. Nach fünf Jahren striegeln und ausmisten wurde er zum Bereiteranwärter ernannt und hat sein Ausbildungspferd bekommen. Am Anfang war das Zueinanderfinden schwierig, mittlerweile seien sie aber auf einem guten Weg.

Felix Burger ist seit fünf Jahren an der Spanischen Hofreitschule
Foto: Regine Hendrich

Geht es nach dem 27-Jährigen, wird er noch viele Jahre in der Reithalle verbringen und Lipizzaner trainieren. So lange werden wohl auch die Touristenscharen vor den weißen Hengsten wie vor Löwen hertraben, sobald sie die Pfleger erblicken. (Julia Beirer, 18.05.2022)