Die transatlantische Zusammenarbeit gehört dringend gestärkt, fordert der Neos-Politiker und ehemalige "Kurier"-Herausgeber Helmut Brandstätter in seinem Gastkommentar.

Colin Allred war Football-Profi und hat in Berkeley Jus studiert. Im Jahr 2018 schlug er in seinem Bezirk nördlich der texanischen Großstadt Dallas den republikanischen Gegenkandidaten und sitzt seither für die Demokraten im Repräsentantenhaus in Washington. Wie der Krieg in der Ukraine bei ihm zu Hause gesehen werde, wollte ich von ihm wissen. Er werde im Wahlkreis zwar gefragt, ob sich die USA überhaupt um diesen Krieg im fernen Europa kümmern müssten, sagt der 39-jährige Texaner, aber wenn er von der gemeinsamen Geschichte, von den Werten und schließlich von der Herausforderung durch China spreche, dann bekomme er viel Zustimmung, die transatlantische Zusammenarbeit zu verstärken. Wenn das dem Congressman Allred in Texas gelingt, dann sollte das in Europa, unweit des Kriegsschauplatzes, doch auch möglich sein, oder?

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Schon länger Verbündete: Russlands Präsident Wladimir Putin und Chinas Präsident Xi Jinping.
Foto: AP / Kenzaburo Fukuhara

Ausgerechnet der Umgang mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin führte zu schweren Missverständnissen zwischen Europa und den USA. Der frühere US-Präsident Barack Obama interessierte sich mehr für den pazifischen Raum und nannte Russland eine "Regionalmacht", ohne Verständnis für Putins atomgestütztes Ego. Dafür kam der Vorwurf, Europa habe die Demokratiebewegung in der Ukraine ab Herbst 2013 zu zögerlich unterstützt. "Fuck the EU" hatte US-Diplomatin Viktoria Nuland geflucht, das war nicht nur unhöflich, sondern in der Sache unpassend.

Zu zögerlich?

Putins Krieg kann und soll der Beginn einer neuen transatlantischen Kooperation werden. Ein Gesprächspartner in Washington meinte: "Wir brauchen Eheberatung, wie ein altes Ehepaar, das nicht mehr weiß, warum es noch zusammenlebt." Gründe dafür gibt es aber genug, und es ist einer von vielen Vorteilen von Demokratien, dass über Fehler geredet wird. Die USA werfen der EU vor, zu zögerlich und militärisch zu schwach zu sein. Für viele Europäer wiederum glauben die US-Amerikaner zu schnell an den Erfolg von Waffen. "Europa ist von der Venus, Amerika vom Mars" schrieb der Autor Robert Kagan schon 2003. Dass der Irakkrieg damals mit der falschen Begründung, es gäbe dort Massenvernichtungswaffen, begonnen wurde, begründet das Misstrauen vieler Europäer gegenüber den USA bis heute.

Seit Putins Invasion am 24. Februar sind wir uns einig – ob neutraler Kleinstaat oder Nato-Weltmacht –, dass Putin militärisch gestoppt werden muss. Im Falle eines Erfolges in der Ukraine würde er die EU weiter destabilisieren, gegen Nato-Staaten zumindest hybride Kriege führen und uns weiter mit seinen Rohstoffen erpressen. Wir können nur gemeinsam eine Weltunordnung verhindern, wo autoritäre Staaten mit Gewalt Grenzen verschieben. Und so kam ich bei meinen Gesprächen in den USA immer ganz schnell auch auf China. Was passiert, wenn die Führung in Peking Taiwan einnehmen will oder im Südchinesischen Meer aggressiv vorgeht? Sicher ist, dass die ökonomische Abhängigkeit von China ungleich größer ist und die EU sowie USA gleichermaßen trifft. Wir werden dieser nur gemeinsam entkommen, also haben wir auch hier dasselbe Interesse.

Schwaches Russland

In den vergangenen Jahren wurde gern und viel darüber geredet, was uns Europäer von den USA trennt. Reden wir wieder darüber, was wir gemeinsam haben: die Aufklärung und den Glauben an die individuellen Menschenrechte. Dass "alle Menschen gleich erschaffen" wurden, heißt es in der Unabhängigkeitserklärung von 1776, in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte hat die französische Nationalversammlung 1789 die Menschenrechte festgelegt.

"Nur gemeinsam können wir Lieferketten stärken, bei denen wir im Moment noch auf China angewiesen sind. Und vergessen wir nicht: Unser Lebensmodell ist attraktiv. Die jungen Leute, die das kriegerische Russland verlassen, wollen in den Westen."

Ja, diese Rechte wurden immer wieder verletzt, leider, aber immerhin sind wir uns dessen bewusst. Jetzt stehen auf der einen Seite Demokratien, in denen der Rechtsstaat das Individuum schützt. Das bezieht sich nicht nur auf den Westen, aber Europa und die USA repräsentieren den freien Teil der Welt. Auf der anderen Seite stehen autoritäre Systeme. Russland ist wirtschaftlich schwach – hat gerade einmal das doppelte BIP der kleinen Schweiz –, und Putins Krieg in der Ukraine zeigt unfreiwillig, wie schwach das Land auch militärisch ist und nur wegen der Atomwaffen ernst genommen werden muss. China hingegen leitet aus der dynamischen Entwicklung der letzten Jahrzehnte und der langen Geschichte den Anspruch ab, die Welt zu dominieren. Elizabeth C. Economy beschreibt in ihrem neuen Buch The World According to China, wie konsequent Staatschef Xi Jinping darauf hinarbeitet, den Handel, die weltweite Infrastruktur, das Internet sowie die Telekommunikation, aber auch die internationalen Organisationen zu beherrschen.

Gemeinsam dagegenhalten

Das wird auch so kommen, wenn die liberalen Staaten nicht gemeinsam dagegenhalten. Freier Handel unter Berücksichtigung unserer Werte und gemeinsame Verteidigung – das sollen die Grundlagen für einen Neustart der transatlantischen Beziehungen sein. Maßnahmen zum Klimaschutz gehören da ebenso dazu wie die Einhaltung der Menschenrechte. Eine starke liberale Weltordnung freier Staaten – Putins Albtraum und Xis Angst – ist ein Ziel, für das wir arbeiten müssen, gemeinsam über den Atlantik. Bill Keating, demokratischer Abgeordneter aus Massachusetts, meinte, dass nach dem Scheitern des Handelsabkommens TTIP das Trade and Technology Council (TTC) zwischen der EU und den USA aktiver werden müsse. Zusammenarbeit bei der künstlichen Intelligenz kann Europa nur nutzen, da sind wir deutlich zu langsam. Nur gemeinsam können wir Lieferketten stärken, bei denen wir im Moment noch auf China angewiesen sind. Und vergessen wir nicht: Unser Lebensmodell ist attraktiv. Die jungen Leute, die das kriegerische Russland verlassen, wollen in den Westen.

Aber noch etwas: Niemand in den USA wollte ausschließen, dass Donald Trump in zwei Jahren wieder zurückkommt, jener Mann, der Putin als Freund und die Nato als "obsolet" sah. Bei der neuen transatlantischen Freundschaft sollten wir im Hinterkopf haben, dass Europa erwachsen, also im Zweifel selbstständig werden muss, wirtschaftlich stark sowie politisch und militärisch einig. (Helmut Brandstätter, 18.5.2022)