Die Analyse von Navigationssignalen – im Bild eine Darstellung eines europäischen Galileo-Satelliten – kann helfen, mehr über die Erderwärmung herauszufinden.

Foto: ESA-P. Carril

Dutzende Navigationssatelliten bewegen sich auf einem hohen Erdorbit. Sie gehören etwa zum US-amerikanischen GPS, zum chinesischen Beidou oder zum europäischen Galileo. Jedes Empfängergerät – einschließlich Smartphones sind es viele Milliarden – kann dank der von ihnen ausgesendeten Signale seine Position genau ermitteln. Doch für die Meteorologie und Klimaforschung sind diese Signale auch abseits der "normalen" Navigationsfunktion interessant.

Denn mit den Satelliten steht eine große Anzahl von Signalquellen zur Verfügung, die klar definierte, örtlich und zeitlich präzise einordenbare elektromagnetische Wellen aussenden. Diese Signale werden auf dem Weg durch die Atmosphäre leicht verzögert, abgeschwächt und gestreut. Analysiert man diese Abweichungen, kann man auf meteorologische Gegebenheiten – Temperatur, Luftdruck oder Luftfeuchtigkeit – schließen. Damit entsteht eine Datenquelle, die auf neue Art Auskunft über den Zustand der Atmosphäre gibt – in Zeiten des Klimawandels ein hilfreicher Ansatz.

Auswertungsmethoden

In der Entwicklung von Auswertungsmethoden und der wissenschaftlichen Nutzung dieser sogenannten Radio-Okkultation – der Begriff verweist auf die Dämpfung oder "Verdunkelung" der Radiowellen in der Atmosphäre – konnten der Geophysiker Gottfried Kirchengast und seine Kolleginnen und Kollegen wesentliche Beiträge liefern. Die jahrelang aufgebaute Expertise in diesem Bereich führte das von ihm 2005 an der Uni Graz gegründete Wegener-Center für Klima und Globalen Wandel nun in eine Partnerschaft mit der europäischen Satellitenorganisation Eumetsat.

Dort wird in acht Exzellenzzentren an der Auswertung von Satellitendaten geforscht, eines davon widmet sich auch der Radio-Okkultation. In dieser Radio Occultation Meteorology Satellite Application Facility (ROM SAF) mit Hauptsitz in Dänemark ist das Grazer Institut nun Konsortiumsmitglied.

1,4 Millionen Euro

Die Mittel von insgesamt 1,4 Millionen Euro, die damit in die Grazer Forschung fließen, kommen von Eumetsat, der Uni Graz und dem österreichischen Klimaschutzministerium, das via die Förderagentur FFG Geld zuschießt. Nach der Laufzeit von fünf Jahren besteht die Option auf eine Verlängerung im selben Ausmaß. Wegener-Center-Leiterin Andrea Steiner ist nun auch Teil des ROM-SAF-Lenkungsausschusses.

Der Kooperation geht eine Reihe von Vorprojekten mit den Eumetsat-Partnern voraus. "ROM SAF war bisher schon sehr gut im Bereich der meteorologischen Forschung aufgestellt. Im Bereich Klimamonitoring und Klimaforschung bestand aber noch eine Lücke, die das Wegener-Center, das stark auf die Grundlagenforschung in diesem Bereich ausgerichtet ist, schließen kann", resümiert Kirchengast. "Wir konnten unsere Qualifikation etwa dadurch zeigen, dass die Ergebnisse der Vorprojekte, die atmosphärische Veränderungen durch die globale Erwärmung untersucht haben, bereits in Berichten des Weltklimarats IPCC aufgenommen wurden."

Strahlungsbilanz

Die Grazer Forschenden konnten unter anderem dafür sorgen, dass der atmosphärische Wärmegehalt – also die Bilanz zwischen Sonneneinstrahlung und Abstrahlung von der Erde – in den IPCC-Berichten besser berücksichtigt wird. Bisher stand vor allem die Betrachtung der Ozeane, die 90 Prozent der zusätzlichen Wärme speichern, im Vordergrund.

Basis für die Nutzung der Radio-Okkultation sind eigene Satelliten in einem erdnahen Orbit, die die Signale der Navigationssatelliten nach der Durchdringung der Erdatmosphäre empfangen – sowohl Sender und Empfänger sind also im Weltraum. Mit Signalen, die die Atmosphäre nicht kreuzen, sondern nur das Vakuum des Alls durchqueren, hat man ein "reines" Signal in Laborqualität als Referenz, erklärt Kirchengast. Neben der Frequenzänderung, die analysiert wird, ist – ähnlich wie bei jeder Positionsbestimmung auf der Erde – die Bestimmung der Signallaufzeit essenziell. Selbst jene Effekte, die Einsteins Relativitätstheorie beschreibt – etwa dass die Zeit nahe schweren Massen langsamer vergeht –, müssen dabei berücksichtigt werden.

Atomuhren-Genauigkeit

Diese Genauigkeit, die durch die Atomuhren an Bord der Satelliten sichergestellt ist, hat letzten Endes auch Auswirkungen auf die Genauigkeit der Aussagen, die die Grazer Forschenden dank der Radio-Okkultation über den Klimawandel treffen können. "Unser Ansatz, den wir bei Eumetsat einbringen möchten, lässt die Festlegung einer einzigartigen Referenzqualität für das Klima-Monitoring zu", erklärt Kirchengast.

"Wir messen die Frequenzverschiebungen sehr genau, kennen die dennoch vorhandenen kleinen Unsicherheitsspannen aber ebenso genau. Diese Unsicherheiten pflanzen sich durch die gesamte Analyse fort, bleiben aber berechenbar. Das bedeutet: Wir können eine Schwankungsbreite bei der Bestimmung der Erderwärmung angeben, die an die Genauigkeit der Atomuhren gekoppelt ist."

Waldbrandfolgen

Gleichzeitig sollen verschiedene Prozesse innerhalb der Atmosphäre besser analysierbar werden. "Durch die Vernetzung der Okkultationsdaten mit anderen Datenquellen wird unterscheidbar, welche Auswirkungen durch den menschengemachten CO2-Zuwachs entstehen und welche nachgeordneten Feedback-Effekten geschuldet sind. Beispielsweise wollen wir einen neuen Blick auf die atmosphärischen Folgen des Waldbrandgeschehens werfen", erklärt der Wissenschafter.

Mit der noch bevorstehenden Einbindung der Galileo-Satelliten wollen die Forschenden zudem eine bessere räumliche Auflösung erreichen. "Heute haben wir eine Datenbasis von etwa zweitausend Okkultationsereignissen pro Tag. Künftig werden es einige Zehntausend sein", sagt Kirchengast. "Die neue Datenbasis wird auch die Klimamodellierung unterstützen und die klassischen Bilddaten von Wettersatelliten ergänzen." (Alois Pumhösel, 2.6.2022)