Nach dem Parlament in Schweden hat auch die finnische Volksvertretung einen Antrag auf Nato-Mitgliedschaft beschlossen. Diese Entscheidungen waren von den Regierungen beider Staaten in enger Abstimmung untereinander wie auch mit EU und Nato in Brüssel, mit den USA, Frankreich und Deutschland vorbereitet worden.

Allein das zeigt: Bei der Norderweiterung des transatlantischen Verteidigungsbündnisses handelt es sich nicht einfach um ein begrenztes Ereignis, wie etwa beim Beitritt Nordmazedoniens im Jahr 2020 oder Montenegros 2017. Das regte niemanden auf, nicht einmal den russischen Präsidenten Wladimir Putin.

23 von 27 EU-Mitgliedern werden Anfang nächsten Jahres dem Nato-Bündnis angehören.
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Dessen Eroberungskrieg gegen die Ukraine schien den meisten in der Nato bis vor kurzem undenkbar. Und die Allianz war lange Zeit fast mehr mit ihrem "Feind" im Inneren, dem US-Präsidenten Donald Trump, beschäftigt als mit Moskau. Das ist seit dem 24. Februar vorbei. Die Beitrittsansuchen sind eine unmittelbare Folge von Putins Eroberungskrieg gegen die Ukraine. Notwehr.

Sie haben das Potenzial, die Sicherheitsarchitektur Europas zu verändern, wie es das seit den Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 nicht mehr gegeben hat. Die Länge der Grenzen zwischen Nato-Staaten und Russland und seinem Verbündeten Belarus wird sich um 1.300 Kilometer fast verdoppeln. Die gesamte Ostsee wird keine neutrale Pufferzone mehr haben. Das wird auch Konsequenzen für die EU und deren Militärpolitik haben.

Erweiterungen der Europäischen Union und der Allianz gehen seit 1989 Hand in Hand, greifen ineinander. Die Nato war der EU meist voraus. Polen, Ungarn, Tschechien traten schon 1999 der Nato bei, erst 2004 der EU. Die EU als Wirtschaftsgemeinschaft war in der Regel schneller bei ihren Beitrittsversprechen, siehe Westbalkan.

Nato-Reife

Aber die Allianz setzte Beitritte rascher um, während EU-Beitritte auf die lange Bank geschoben wurden. Gemischt war das nur bei der zweiten Nato-Osterweiterung 2004, als sieben Länder aufgenommen wurden – die drei baltischen Staaten, Bulgarien, Rumänien, Slowenien, die Slowakei. Die EU wuchs damals um zehn Staaten.

So wie die Dinge stehen, kann man davon ausgehen, dass Schweden und Finnland bereits Anfang nächsten Jahres als 31. und 32. Nato-Mitglied aufgenommen werden. 23 von 27 EU-Mitgliedern werden dann dem Bündnis angehören. Eine Folge in der EU: Österreich, Irland, Zypern und Malta werden an politischem Gewicht verlieren.

Schweden und Finnland sind nicht nur wirtschaftlich und demokratiepolitisch stark, sie verfügen auch über eine sehr moderne, gut ausgestattete Armee. Sie haben Nato-Reife. Darin besteht der substanzielle Unterschied zu Österreich: Alle Parteien, die breite Mehrheit der Bevölkerung sind gegen den Beitritt. Das Bundesheer ist abgewrackt, ein Bündnisbeitritt Illusion. Schweden und Finnland hingegen könnten in der Nato eine neue Ära beschleunigen.

Da sich die USA aus Europa weiter zurückziehen wollen, um sich auf den asiatisch-pazifischen Raum zu konzentrieren, werden sich die Europäer in der Nato anstrengen müssen, ihre EU-Militärunion auszubauen. Frankreich drängt vehement. Aber das wird eine riesige Herausforderung, umso mehr in Zeiten von Krieg und Wirtschaftskrise. Das größte Problem wird sein: Wie werden die Europäer in Zukunft mit Russland umgehen, das zum Gegner geworden ist? (Thomas Mayer, 17.5.2022)