Arbeitsminister Martin Kocher ist übersiedelt. Angereichert um einen Teil der Wirtschaftsagenden, residiert er im ehemaligen k. u. k. Kriegsministerium – und kündigt bei der Kurzarbeit Strenge an.

STANDARD: Ist das Problem mit der Post- und Telekomregulierung gelöst? Zur Bundeswettbewerbsbehörde, die nun bei Ihnen ressortiert, würde das Thema ja passen, Digitalisierung ist ein wachsender Bereich bei den Watchdogs, und punktuell arbeiten BWB und RTR längst zusammen.

Kocher: Das liegt am Bundesministeriengesetz. Dafür bin ich nicht verantwortlich. Das Finanzministerium hat eine rechtliche Klärung in Aussicht gestellt.

STANDARD: Stichwort Reform. Die Rot-Weiß-Rot-Karte wurde reformiert, die Mangelberufsliste erweitert. War das alles?

Kocher: Die Mangelberufsliste wird am Ende jedes Jahres systematisch auf Basis der Stellenandrangsziffer erstellt. Bei der Rot-Weiß-Rot-Karte ist ein größeres Reformpaket in Begutachtung. In der Umsetzung gibt es einiges, wo man noch besser werden kann – etwa in der Zusammenarbeit der Behörden.

Bei der Umsetzung der Rot-Weiß-Rot-Karte ortet Kocher Verbesserungspotenzial.
Andi Urban

STANDARD: Die Wartezeit bis zur Anerkennung einer Berufsausbildung im Ausland wird damit aber nicht kürzer.

Kocher: Es gibt viele Bereiche, wo das gar nicht notwendig ist. Im IT-Bereich gibt es praktisch keine Probleme mit der Anerkennung, weil es kein Berufsrecht gibt. Das ist der Großteil. Jetzt wollen wir die Rot-Weiß-Rot-Karte etwa für den Pflegebereich attraktiver machen. Die Frage der Anerkennung und der Nostrifikation ausländischer Abschlüsse liegt teilweise in den Berufsverbänden oder im Bildungs- und Wissenschaftsressort. Auch da gibt es eine Reihe von Maßnahmen – gerade jetzt mit ukrainischen Diplomen. Die Abwicklung soll einfach funktionieren, aber natürlich muss der hohe Standard etwa im Pflege- und Gesundheitsbereich erhalten – und geprüft – werden.

STANDARD: Berufsverbände haben vitales Interesse, dass Märkte abgeschottet sind. Die Gewerbeordnung ist nichts anderes als eine Abschottung.

Kocher: Da werden keine willkürlichen Entscheidungen getroffen. Es betrifft auch nur einen kleinen Teil. Beim Großteil geht es um die Anerkennung von Abschlüssen an ausländischen Universitäten. Wir sind in vielen Bereichen nicht ganz so schnell, wie wir sein sollten, weil genau geprüft wird. Ich glaube, man kann einiges beschleunigen.

STANDARD: Was ist das Wichtigste bei der Rot-Weiß-Rot-Karte?

Kocher: Es gibt beim Einkommen einige Anpassungen, gerade was die Berufserfahrung betrifft. Es ist im Prinzip egal, ob jemand Physik studiert hat und dann in einem IT-Betrieb programmiert. Das wäre bisher nicht so einfach gewesen ohne berufseinschlägige Ausbildung. Jetzt geht das, wenn man genug Berufserfahrung hat. Zweiter Punkt: Menschen aus Drittstaaten, die in Österreich ein Studium abschließen, können die Rot-Weiß-Rot-Karte beantragen. Wir haben es auch geschafft, dass Leute, die im Tourismus länger in Österreich waren, Stammsaisonniers, eine Rot-Weiß-Rot-Karte bekommen können. Und: Jemand der eine Pflegeausbildung in Österreich abschließt, braucht keine Rot-Weiß-Rot-Karte und hat Zugang zum Arbeitsmarkt. Aber das inländische Potenzial ist bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels viel wichtiger als das, was der Zuzug bringt.

Kocher will es "schaffen, die Kurzarbeit weiter zurückzufahren, als wir das bis jetzt getan haben".
Andi Urban

STANDARD: Tourismusbetriebe beklagen besonders Arbeitskräftemangel, weil offenbar viele die Branche verlassen haben.

Kocher: Das ist nicht der Grund, warum wir so eine Knappheit haben. Der Hauptgrund war, dass in den letzten zwei Jahren so wenige Menschen in die Branche gewechselt sind oder neu eingestiegen sind. Normalerweise gehen in zwei Jahren 40.000 Arbeitskräfte in Österreich in den Tourismus. In den letzten beiden Jahren waren es nur 20.000. Und ausländische Fachkräfte sind auch noch ausgeblieben.

STANDARD: Dafür kommen jetzt Geflüchtete aus der Ukraine, überwiegend Frauen mit Kindern. Sie stehen vor Hürden: Sie dürfen sofort arbeiten, kommen deshalb aber nicht in die Grundversorgung. Und die aus dem letzten Loch pfeifenden Kinderbetreuungseinrichtungen können den Andrang nicht bewältigen. Was tun?

Kocher: Eine der ersten Beschäftigungsbewilligungen, die das AMS ausgestellt hat, war für Lehrende, die Ukrainisch sprechen, und Elementarpädagoginnen aus der Ukraine. Wir versuchen zu unterstützen, dass vor allem Kinder, die in die Schule oder Kindergärten kommen, dort auch betreut werden können. Aber die Kapazitäten sind natürlich nicht dafür ausgebaut. Die Gemeinden unternehmen extrem viel, dass das funktioniert. Im Moment haben wir ungefähr 3500 Personen aus der Ukraine, die eine Beschäftigungsbewilligung haben und schon arbeiten. Es werden derzeit jeden Tag um hundert bis zweihundert mehr.

STANDARD: Wo siedeln sich die meisten Leute an, in welchen Branchen?

Kocher: Die Beschäftigungsbewilligungen sind über alle Bundesländer verteilt nach Bevölkerungsschlüssel. Aus meiner Sicht läuft der Prozess sehr gut. Ich denke, wir werden in den nächsten Monaten eine fünfstellige Zahl an ukrainischen Vertriebenen am Arbeitsmarkt haben. Derzeit liegt der Fokus stark auf Gastronomie und Tourismus. Es gibt natürlich auch in der Landwirtschaft großes Interesse – und in der Pflege. Sicher das größte Hemmnis ist, dass ein Großteil der Vertriebenen nicht Deutsch spricht.

STANDARD: Die Sozialpartner beklagen, Sie seien streng, weil Sie bei der Kurzarbeit auf 15 Prozent Selbstbehalt beharren, obwohl es mit Lieferengpässen ein größeres Problem gibt als in der Corona-Krise. Bleiben Sie hart?

Kocher: Man muss hier differenzieren. Wir müssen es schaffen, die Kurzarbeit weiter zurückzufahren, als wir das bis jetzt getan haben, weil wir im Moment Unternehmen in Kurzarbeit haben, die vor drei Jahren nicht in Kurzarbeit gewesen wären. Es gibt einige, die zwar alle Regeln befolgen, aber die Schwankungen in den Aufträgen, die normales unternehmerisches Risiko sind, über die Kurzarbeit ausgleichen. Wir haben die Regeln bereits verschärft. Wir werden in den nächsten Monaten noch strenger werden. Wichtig ist aber auch, dass die Kurzarbeit als Sicherheitsnetz weiter verfügbar ist genau für solche Fälle.

Die Basis hat der AMS-Verwaltungsrat gelegt, in dem die Verlängerung der aktuellen Form bis Jahresende beschlossen wurde. Wenn Betriebe für zwei, drei Monate nicht produzieren können, weil Rohstoffe fehlen, da macht es ja keinen Sinn, die Leute für diese Zeit zu kündigen. Genau dafür ist die Kurzarbeit gedacht. Für exogene Schocks, wo mehrere Mitarbeiter freigestellt werden müssten, wenn es die Kurzarbeit nicht gäbe. Aber nicht für Fälle, wo normale Schwankungen in der Geschäftstätigkeit, die immer existieren, ausgeglichen werden über die Kurzarbeitsbeihilfe. Diese Differenzierung werden wir hinbekommen, und wir werden da, was Detailregelungen betrifft, noch strenger und noch differenzierter werden.

Immer gelingt es dem parteifreien Minister nicht, mit guten Argumenten zu überzeugen, wie er sagt.
Andi Urban

STANDARD: Wenn die Sozialpartner etwas ausdealen, ist es teuer und selten wirklich gut. Wie werden Sie die Sozialpartner überzeugen?

Kocher: Es ist völlig legitim, dass die Sozialpartner Interessen haben. Meine Aufgabe ist – und das ist der Vorteil des parteifreien Arbeits- und Wirtschaftsministers –, dass man Lösungen findet, als Anwalt für alle für Arbeitnehmerinnen, Arbeitsuchenden, Selbstständigen und Unternehmer.

STANDARD: Der Anwalt für alle hat gewöhnlich keine Hausmacht.

Kocher: Meine Hausmacht ist die Expertise und das Argument. Als Parteifreier in der Regierung muss man mit guten Argumenten überzeugen. Das gelingt nicht immer, aber manchmal dann doch. (Regina Bruckner, Luise Ungerboeck, 18.5.2022)