Seit Tagen wird über den Auftritt von Yung Hurn bei der Festwochen-Eröffnung gesprochen – besonders in die Tiefe geht es dabei nicht.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

"Ich würde da die Kirche im Dorf lassen." Das sagte David Schalko zur Kritik am Auftritt des Wiener Rappers Yung Hurn in einem Ö1-Beitrag vor der Eröffnungsfeier der Wiener Festwochen vergangene Woche. Der seit vielen Jahren vielbeschäftigte Regisseur, Autor und Entwickler von TV-Formaten gab sich lässig. Man könnte aber auch sagen: desinteressiert. Doch ein paar gute Argumente für die Einladung eines Künstlers, dessen Texte schon vielfach als frauenfeindlich kritisiert wurden, zu einem im Gegensatz zu anderen Festwochen-Veranstaltungen niederschwelligen Event muss man sich schon abringen. Das wäre auch Teil des Jobs. Immerhin haben andere Künstler:innen abgesagt, der Wiener Schmusechor konkret, weil sie Texte über "Wichse" in Gesichtern von Frauen aka "Bitches" oder etwa "Asia-Bitch heißt Ling-Ling" als "unmissverständlich rassistisch und sexistisch" einstufen.

Man könne den Festwochen nicht unterstellen, dass sie sexistisch und rassistisch agieren, meinte Schalko weiter. Doch genau das war die Kritik an der Eröffnungsveranstaltung, konkret der Einladung des Rappers Yung Hurn. Genau deshalb wäre es angebracht, die Kritik inhaltlich aufzugreifen, mit Argumenten zu kontern. Statt sie pauschal als "Unterstellung" abzuwürgen.

Her mit dem Diskurs

Reaktionen wie diese zeugen von der generellen Genervtheit und dem Unwillen, über Sexismus und Rassismus im Bereich von Kunst und Kultur zu diskutieren. Doch warum eigentlich? Wäre es nicht eine interessante kulturpolitische Herausforderung? Etwa zu argumentieren, warum die Texte von Yung Hurn so gar nichts mit Frauenverachtung zu tun haben? Doch darauf will man sich nicht einlassen, sondern geht lieber sofort zur Kritik an der Kritik über. Denn, so heißt es dann oft, das sei doch alles bloß Social-Media-Geschrei, aggressiv und destruktiv.

Wir wissen natürlich, dass auf Twitter und Co jeder (fast) alles sagen darf. Aber das bringt natürlich auch sehr viel Kluges und Positionen, die sonst ungehört geblieben wären – oder es wird verhindert, dass manches in Vergessenheit gerät. So schreibt die Schriftstellerin und Cartoonistin Stefanie Sargnagel:

Was war passiert: 2015 veröffentlichte eine Redakteurin des "Vice"-Magazins einen Chatverlauf mit der Berg Money Gang, der infolge eines Artikels über Cloud-Rap und die Berg Money Gang entstand. Darin wurden unzählige wüste und sexualisierte Beschimpfungen an die Journalistin gerichtet. Auch Yung Hurn war damals mit von der Partie, sowohl bei der Berg Money Gang als auch im besagten Chat (mehr dazu hier).

Das sind wichtige Beiträge, doch das Feuilleton blickt teils arrogant auf Debattenthemen, nur weil sie zunächst auf Twitter oder anderen Social-Media-Kanälen stattfinden. Als würde der Kanal die Wichtigkeit des Inhalts definieren.

Jene, die jetzt beispielsweise den Yung-Hurn-Auftritt kritisieren, werden als ständig überschießende Meute hingestellt, die dauernd fordert, dass "entfernt", "entlassen" oder "gecancelt" wird, wie der Journalist Klaus Nüchtern kürzlich in einem "Falter"-Newsletter schrieb. Ja, dieses ewige "Canceln". Zur Erinnerung: Der Schmusechor, der Sexismus und Rassismus in Yung-Hurn-Texten kritisiert, der ist nicht aufgetreten, Yung Hurn schon. In besagtem Newsletter steht auch, dass Rufschädigungen von Künstler:innen oder Festivals gefordert würden, "völlig unabhängig, ob an den erhobenen Vorwürfen was dran ist".

Genau das wird aber oft und auch in besagtem Newsletter ausgelassen: die Frage, ob was dran ist. Denn es gibt keine objektive Instanz, die darüber entscheidet, ob ein Text wie "Sie hat Wichse auf dem G'sicht, sie braucht Zewa" ein sexistischer Text oder eh nur "Performance" ist. Doch plötzlich wird so getan, als ob alles in künstlerischen Zusammenhängen sakrosankt wäre. Das ist Unsinn, denn natürlich gibt es auch darüber gesellschaftliche Aushandlungsprozesse. So sind wir uns inzwischen in weitesten Teilen unserer Gesellschaft einig, dass etwa antisemitische Karikaturen nicht Kunst sind, sondern Stereotype befeuern, die Hass in der "echten" Welt zur Konsequenz haben. Man verhandelt also sehr wohl, was geht und was nicht.

Was Frauenpolitik nicht dürfen soll

Und bevor wir hier dann tatsächlich auch ein paar inhaltliche Überlegungen anstellen, ob wir so frei sein dürfen, die Lyrics von Yung Hurn frauenverachtend zu nennen und zu kritisieren, noch zu einer anderen Empörung. Die grüne Frauensprecherin Meri Disoski hat via Twitter die Festwochen-Eröffnung kritisiert – und wurde postwendend mit Viktor Orbán und Wladimir Putin verglichen. Hier brauchen wir es also doch, dieses "Lassen wir die Kirche im Dorf." Eine Frauen- und Gleichstellungspolitikerin darf doch bitte kritisieren, dass bei einer mit Steuergeld subventionierten kostenlosen Veranstaltung, die somit für junge Leute besonders interessant ist, ausgerechnet einem vielfach wegen frauenfeindlicher Texte kritisierten Musiker eine derart große Bühne geboten wird. Jetzt so zu tun, als hätte sie ein lebenslanges und überall geltendes Auftrittsverbot für Yung Hurn gefordert, ist daneben. Seine Fans können sich Konzerte von ihm bis zum Abwinken reinziehen, aber ob dieser subventionierte Rahmen dafür der richtige ist, das darf eine Politikerin kritisieren – eine Frauenpolitikerin sollte das sogar.

Nun zum Inhaltlichen. Vonseiten der Festwochen hieß es, man hoffe, dass Yung Hurn "auch als Teil der Hip-Hop-Kultur und deren eigenen Codierungsform gesehen wird". Bei der Programmierung seien "Komplexität und Ambivalenzen" zugelassen. David Schalko sagte in dem erwähnten Radiobeitrag, die Aufgabe der Festwochen sei, auch Welten reinzuholen, die mit den Festwochen keinen Kontakt hätten. Dazu passt ein anderes, sehr häufig geschriebenes Argument: dass man zwischen Kunstfigur und echter Welt unterscheiden müsse, zwischen künstlerischer Arbeit und Realität. Doch das ist insbesondere bei Sexismus und Rassismus eine argumentative Kurve, die schwer zu nehmen ist, wenn Sexismus und Rassismus in der Kunst so vorkommen, dass man im Grunde keinen Unterschied zum Alltag erkennt. Wenn keine Überraschungsmomente da sind, kein Erkenntnisgewinn, keine Irritation. Ja, auch dafür, ob das so ist, gibt es keine objektive Instanz. Aber deshalb muss man darüber diskutieren.

Etwa ob es wirklich passt, Musiker wie Yung Hurn mit ihren "Frauen haben Wichse im Gesicht"-Texten wie so oft als Tabubrecher und Provokateure darzustellen. So als ob sie damit etwas völlig Neues produzieren würden. Es ist nur so, dass es für sehr viele absolut nichts Neues ist. Vielmehr ist es schnöder Alltag für Mädchen und Frauen, eine Projektionsfläche für Mainstreampornofantasien zu sein, ziemlich genau so, wie sie auch Hurn liefert. Sie hören oft sehr Ähnliches, was in diesen Lyrics zu hören ist, wenn sie an einer betrunkenen oder auch nüchternen Gruppe Männer vorbeigehen, sie lesen es im Netz in Nachrichten an sie oder es wird ihnen zugezischt, wenn sie gerade auf den Bus warten. Schön, wenn für manche das alles abgefahren ist, wenn es eine für sie so arg fremde Welt ist, dass sie fein säuberlich zwischen künstlerischem Act und ihrer Lebenswelt trennen können. Gratuliere. Doch wer den Riesenhaufen an sexualisiertem Mist auch im Alltag hat, sich damit befasst, damit oder dagegen kämpft, ist eben nicht zu beglückwünschen.

Dieser Blick auf Frauen, wie er in solchen Textpassagen repräsentiert wird, ist so nah an unserem Leben, dass sich die Kritik daran mehr verdient als Kritik an der Kritik. (Beate Hausbichler, 18.5.2022)