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Alle 30 Bündnisstaaten müssen nun der Aufnahme Finnlands und Schwedens zustimmen.

Foto: Reuters / Pascal Rossignol

Helsinki/Stockholm/Brüssel – Unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs in der Ukraine haben Schweden und Finnland am Mittwoch offiziell die Aufnahme in die Nato beantragt. Die beiden nordischen Länder reichten ihre Mitgliedsanträge gemeinsam im Brüsseler Hauptquartier der westlichen Militärallianz ein. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach von einem "historischen Moment".

Eigentlich war vorgesehen gewesen, dass der Nato-Rat danach sofort den Start der Beitrittsgespräche beschließt. Nach Angaben aus Bündniskreisen brachte die Türkei in der Sitzung allerdings Sicherheitsbedenken vor und machte klar, dass sie zum derzeitigen Zeitpunkt nicht zustimmen kann. Wie die Deutsche Presse-Agentur aus Bündniskreisen erfuhr, war es am Mittwochvormittag im Nato-Rat nicht wie ursprünglich geplant möglich, den für den Start des Aufnahmeprozesses notwendigen Beschluss zu fassen. Die Türkei hat in den Beginn der Beitrittsgespräche mit Finnland und Schweden damit zunächst blockiert.

Straßenumfrage aus Stockholm.
DER STANDARD

Diskussion um "Terrororganisationen"

Die Nato-Erweiterung gehe für die Türkei einher mit dem Respekt, den man ihren Empfindsamkeiten entgegenbringe, sagte Erdogan am Mittwoch bei einer Rede vor seiner islamisch-konservativen Regierungspartei AKP in Ankara. Schweden und Finnland wollten weitermachen mit der Unterstützung von "Terrororganisationen", aber gleichzeitig die Zustimmung der Türkei für eine Nato-Mitgliedschaft, bemängelte Erdogan. "Das ist milde ausgedrückt ein Widerspruch."

Schweden warf Erdogan etwa vor, die Auslieferung von 30 "Terroristen" zu verweigern. "Die Nato ist ein Sicherheitsbund, eine Sicherheitsorganisation. Insofern können wir nicht ja dazu sagen, dieses Sicherheitsorgan unsicher zu machen", sagte Erdogan. Als "Terroristen" bezeichnet Erdogan etwa Anhänger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, die auch in den USA und Europa als Terrororganisation gilt. Die Türkei sieht aber auch die Kurdenmiliz YPG in Syrien als Terrororganisation an – für die USA ist die YPG in Syrien dagegen ein Verbündeter.

Diplomatische Gespräche in New York

Wie die Türkei von einem Veto gegen einen Nato-Beitritt von Schweden und Finnland abgehalten werden kann, war bis zuletzt unklar. Nach Angaben von Diplomaten könnten neben Erklärungen der beiden Nordländer zum Kampf gegen den Terrorismus auch Waffengeschäfte eine Rolle spielen. So will die Regierung in Ankara in den USA F-16-Kampfjets kaufen – in Washington war ein möglichen Deal zuletzt aber politisch umstritten.

Trotz Gesprächen mit den USA bleibt die Türkei vorerst bei ihrer Haltung, den Prozess für einen Beitritt Finnlands und Schwedens zur Nato zu blockieren. Er habe US-Außenminister Antony Blinken noch einmal die Position der Türkei zur Norderweiterung der Militärallianz deutlich gemacht, sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu nach einem Treffen mit Blinken vor türkischer Presse.

Grundsätzlich bewertete Cavusoglu die Gespräche mit seinem US-Kollegen allerdings als "äußerst positiv". Blinken habe gesagt, dass die Sorgen der Türkei legitim seien, so Cavusoglu.

In Brüssel wird vermutet, die Türkei wolle vor allem US-Präsident Joe Biden unter Druck setzen, um unter anderem eine schnelle Lieferung von F-16-Kampfjets zu erwirken. Sollten sich die Bedenken Erdogans durch Zugeständnisse schnell ausräumen lassen, könnten die Nato-Länder die förmliche Einladung an Schweden und Finnland bereits vor dem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs am 29. und 30. Juni in Madrid aussprechen.

Deutschland setzt sich für Lösung ein

Die deutsche Bundesregierung bemüht sich nach Angaben einer Regierungssprecherin, mögliche Blockaden gegen die Aufnahme Schwedens und Finnlands in die NATO abzubauen. Auf die Frage nach türkischen Vorbehalten sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann am Mittwoch in Berlin, dass man sich "aktiv" für eine Lösung einsetze.

Details wollte sie nicht nennen. Man sei weiter zuversichtlich, dass der Beitritt Schwedens und Finnlands nicht blockiert werde, fügte sie hinzu. Die deutsche Bundesregierung würde auch einen Nato-Beitritt der neutralen EU-Länder Österreich und Irland positiv sehen.

Unterstützung anderer Staaten

"Dies ist ein guter Tag zu einem kritischen Zeitpunkt für unsere Sicherheit", sagte Stoltenberg, als er die Beitrittsanträge von den Botschaftern Schwedens und Finnlands entgegennahm. Die beiden Länder seien bereits die "engsten Partner" des Militärbündnisses, betonte er. "Ihre Mitgliedschaft in der Nato würde unsere gemeinsame Sicherheit erhöhen."

"Die USA begrüßen die Entscheidung der finnischen und schwedischen Bevölkerung", schrieb Nato-Botschafterin Julianne Smith im Kurzbotschaftendienst Twitter. Washington habe mit beiden Ländern "enge Bindungen und ein geteiltes Engagement für Demokratie, Frieden und Stabilität".

Die deutsche Bundesregierung beschloss, der Aufnahme beider Länder in das Verteidigungsbündnis zuzustimmen. Damit könnte der deutsche Nato-Botschafter Rüdiger König nach Abschluss des Nato-internen Aufnahmeprozesses die beiden Beitrittsprotokolle unterzeichnen. Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte bereits im Voraus eine entsprechende Unterzeichnungsvollmacht erteilt.

Die Regierungschefs der baltischen Staaten versicherten Finnland und Schweden ihre Unterstützung auf dem Weg zur Nato-Mitgliedschaft. "Wir, die Ministerpräsidenten von Estland, Lettland und Litauen, unterstützen und begrüßen ausdrücklich die historischen Entscheidungen Finnlands und Schwedens, die Nato-Mitgliedschaft zu beantragen", hieß es am Mittwoch in einer gemeinsamen Erklärung von Kaja Kallas (Estland), Krisjanis Karins (Lettland) und Ingrida Simonyte (Litauen). "Wir werden unser Möglichstes tun, um sicherzustellen, dass dieser Beitrittsprozess schnell und reibungslos verläuft."

Eine Straßenumfrage aus Helsinki.
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Umbruch nach langer Bündnisneutralität

Für die beiden nordischen Länder ist die Nato-Beitrittskandidatur nach jahrzehntelanger Bündnisneutralität eine Zäsur. Auch für die Nato beginnt eine neue Phase, denn damit wird sich die Grenze des Bündnisgebiets mit Russland in etwa doppelt so lang. Alleine Finnland hat eine rund 1300 Kilometer lange Grenze zu Russland.

Russland hatte in den vergangenen Wochen insbesondere mit Blick auf die Nato-Beitrittspläne seines Nachbarn Finnland mit Drohungen reagiert. Kreml-Chef Wladimir Putin sagte am Montag, die Nato-Norderweiterung sei zwar "keine direkte Bedrohung" für Russland. Sein Land werde aber auf eine "Ausweitung der militärischen Infrastruktur" der Nato auf die beiden Länder "zweifellos" reagieren.

Solange Finnland und Schweden den Beitrittsprozess nicht abgeschlossen haben, genießen sie keinen Schutz unter dem Beistandsartikel fünf der Nato. Großbritannien und andere Mitgliedsländer hatten deshalb Sicherheitsgarantien für die nordischen Staaten ausgesprochen. Auch der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat "Unterstützung zum gegenseitigen Schutz" zugesagt. (APA, 18.5.2022)