Der scheidende ORF-Stiftungsratsvorsitzende Norbert Steger, bisher von der FPÖ entsandt, verlässt das oberste ORF-Gremium.

Foto: APA / Roland Schlager

Favorit für den ORF-Stiftungsratsvorsitz: Lothar Lockl.

Foto: Heribert Corn

Wien – Am Donnerstag findet die konstituierende ORF-Stiftungsratssitzung statt. Dabei treffen die 35 Mitglieder am Küniglberg zusammen, um ihren neuen Vorsitzenden oder Vorsitzende für die vierjährige Funktionsperiode zu wählen. Auch dessen Stellvertreter und die Vorsitzenden des Finanz- sowie des Programmausschusses werden bestimmt. ORF-Chef Roland Weißmann wird die Sitzung nützen, um die Räte zur angespannten finanziellen Lage des öffentlich-rechtlichen Unternehmens zu informieren.

Lothar Lockl, bisher Leiter des "Grünen Freundeskreises" und nun auf einem Ticket der grünen Parlamentspartei im obersten ORF-Gremium vertreten, gilt als Favorit für den Stiftungsratsvorsitz – sieht doch ein Sideletter der türkis-grünen Bundesregierung ein Vorschlagsrecht der Grünen für diese Funktion vor. Gegenüber der APA hielt sich Lockl "aus Respekt vor dem Gremium" weiterhin bedeckt, ob er für den Vorsitz zur Verfügung steht.

Der ÖVP-"Freundeskreis" ist für die Wahl aufgrund dessen Größe höchst relevant. Leiter Thomas Zach meinte zur APA, dass die Wahl sämtlicher Vorsitzender im Gremium diskutiert werde. Er vertraue aber auf eine gute Lösung. Heinz Lederer, Leiter des SPÖ-"Freundeskreises", meinte, das Stimmverhalten seines "Freundeskreises" hänge davon ab, ob Lockl zu entscheidenden Fragen zufriedenstellende Antworten parat habe. Er erwarte sich, dass der künftige Vorsitzende die Unabhängigkeit der Redaktionen wie auch die digitale Zukunft des ORF massiv unterstütze und in Hinblick auf das Personal nicht stets auf einen Sparkurs dränge.

Steger "kein Gegner" von Privatisierung des Unternehmens

"Er kann es, keine Frage", meinte wiederum der scheidende Stiftungsratsvorsitzende, frühere FPÖ-Chef und Anwalt Norbert Steger, in einem Interview mit der "Kleinen Zeitung" zu seinem potenziellen Nachfolger Lockl gefragt. Dass nach wie vor parteipolitisch besetzt werde, kommentierte der Ex-FPÖ-Vizekanzler mit: "In welchem Land gibt es keine Parteien, und es ist trotzdem eine Demokratie?"

"Kein Gegner" sei er davon, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu privatisieren. Vor allem müsse er nicht so viele Sender haben, sagte Steger. Er habe eine Privatisierung "immer für möglich gehalten". Und: "Wenn ich sage, die Republik Österreich leistet sich Sender, dann reichen eineinhalb. Aber zunächst ORF 1, dann ORF 2, ORF III, Sport+, FM4, ... Wie viele braucht es? Dazu gehört auch die Frage: Braucht die Republik die 'Wiener Zeitung'? Nein, ist meine Meinung."

Auch bei den ORF-Korrespondenten wollte Steger kürzen – eine Drohung, wenn sie – nach seinem Befund – nicht objektiv berichteten.

Zum neuen ORF-Chef Weißmann hielt er fest: "Er versucht etwas, das unlösbar ist: Er redet mit allen alles aus und gibt jedem Feind, der etwas von ihm will, noch etwas drauf. Das ist ein Fehler." Die große Reformbereitschaft mache er bisher nicht aus.

Weißmann wird sich in der Sitzung zur finanziellen Situation des ORF äußern, setzen die Inflation und erhöhte Energiepreise doch auch dem öffentlich-rechtlichen Medientanker zu. ORF-intern wird bereits an einem umfassenden Maßnahmenpaket gearbeitet, um drohende Millionenverluste abzuwenden und doch noch ausgeglichen zu bilanzieren.

"Leichter Alarmismus"

Zach rückte diese Thematik für sich persönlich in den Vordergrund. "Diese Sitzung ist eine Arbeitssitzung. Sie dient dazu, die neuen und alten Stiftungsratsmitglieder über den aktuellen Stand und insbesondere die wirtschaftliche Entwicklung des ORF zu informieren." Lederer erkannte an, dass Weißmann transparent und rechtzeitig über drohende Verluste informiert, doch ortete er in Hinblick auf die Zahlen "leichten Alarmismus". "Ein Aufsichtsratsorgan interessieren Lösungsvorschläge, nicht die Zahlen an sich", so Lederer. Einen Personalabbau oder -stopp würde er nicht gutheißen.

Eingesetzt wird in der Stiftungsratssitzung aller Voraussicht nach wieder eine Corporate-Governance-Arbeitsgruppe wie auch die erst jüngst ins Leben gerufene Arbeitsgruppe namens "Cultural Change, Diversity, Frauenförderung im ORF". "Dieses Thema duldet keinen Aufschub", so Zach. (APA, 18.5.2022)