Wien – Zumindest gefühlt wirkt die Pandemie überstanden, ein Ende der Probleme ist aber noch lange nicht in Sicht. Der Krieg in der Ukraine, Lieferkettenprobleme, galoppierende Inflation und Fachkräftemangel belasten die heimische Wirtschaft. Überdies ist das Gros der Corona-Hilfen ausgelaufen – all das spiegelt sich vor allem bei Unternehmenspleiten wider, aber auch bei Privatinsolvenzen.

"Wir bewegen uns wieder Richtung Vorkrisenniveau", sagt Gerhard Weinhofer, Geschäftsführer des Gläubigerschutzverbandes Creditreform, am Mittwoch bei einer Pressekonferenz. "Im ersten Quartal stiegen die Unternehmensinsolvenzen heuer um 111 Prozent auf knapp über 1.000 Fälle." Bei den Privatinsolvenzen mache sich das reformierte Insolvenz- und Exekutionsrecht bemerkbar, die schnelleren Entschuldungsmöglichkeiten würden immer größere Akzeptanz finden. Bei Privaten gab es einen Anstieg um rund 22 Prozent (2.301 Fälle).

Foto: Creditreform

Anstieg 2023 erwartet

Für das heurige Gesamtjahr gehen Insolvenzexperten für Österreich davon aus, wieder auf die "üblichen" 5.000 Firmeninsolvenzen zuzusteuern. Während der vergangenen beiden Krisenjahre lag die Zahl bei rund 3.100, kommendes Jahr könnte diese dann erstmals wieder deutlich steigen. "Die Kriegsauswirkungen sind noch gar nicht richtig eingepreist", meint Weinhofer. Auch Inflationsauswirkungen würden demnächst deutlicher spürbar. "Ein Handwerker zum Beispiel kann Preissteigerungen weiterreichen, früher oder später werden Verbraucher aber billigere Alternativen suchen – oder eben gar nicht kaufen."

Anhand einer Insolvenzstatistik lässt sich der Zustand der Gesamtwirtschaft gut ableiten, das war die vergangenen beiden Jahre kaum möglich. Gastro und Handel zeigen diese Verzerrung deutlich. "Trotz der offensichtlichen Krisenbetroffenheit von Handel und Gastgewerbe während Corona spiegelt sich das im Insolvenzgeschehen nicht wider", sagt Weinhofer. Im Gegenteil: Der Anteil dieses Wirtschaftssektors an allen Insolvenzen sei aktuell mit 28,5 Prozent deutlich niedriger als vor der Corona-Krise (2019: 31,5 Prozent).

Die Insolvenzentwicklung in der Gastro lässt sich laut Creditreform nur mit Sondereffekten erklären, die durch die Bekämpfung der Pandemie ermöglicht wurden.
Foto: Heribert Corn

Creditreform begrüßt Entwicklung

Bei der Creditreform begrüßt man die zurückkehrende Normalisierung. "Je länger staatliche Hilfen anhalten, desto eher entstehen Zombieunternehmen. Sie bündeln Kapital, Personal und blockieren den Weg für neue innovative Firmen", sagt der Leiter der Creditreform-Wirtschaftsforschung, Patrik-Ludwig Hantzsch. Ohne Marktbereinigung ließe sich die Zukunft nicht meistern, und Herausforderungen gebe es genug.

Im Vorjahr rutschten die Insolvenzzahlten laut Hantzsch auf ein "historisches Tief". Insgesamt habe es in Westeuropa (plus Norwegen, Schweiz und Großbritannien) rund 110.500 Firmenpleiten gegeben, noch weniger als zu Krisenbeginn 2020. Damals waren es noch 116.000.

Ost-West-Gefälle

Eines zeigen die Zahlen auch ganz deutlich – wo Hilfen früher gestoppt beziehungsweise minimiert wurden, nahmen die Insolvenzen deutlich rascher zu. Das führt(e) zu einem Ost-West-Gefälle. In den Staaten Mittel- und Osteuropas nahmen die Insolvenzen bereits 2021 zu. Ausnahmen bildeten dabei allerdings Bulgarien, Polen und das Baltikum. Auch in der Türkei setze sich der Anstieg der Insolvenzzahlen fort. (Andreas Danzer, 18.5.2022)