Für verbesserte Wahrnehmung dürfte ein Gen gesorgt haben, auf das ein Innsbrucker Forschungsteam gestoßen ist.
Foto: imago / Ulli Winkler

Um herauszufinden, wie unsere Sinneswahrnehmung entstehen konnte, untersuchen Biologen und Biologinnen auch Tiere, die sich vor sehr langer Zeit von gemeinsamen Vorfahren mit uns fortentwickelt haben. Dafür bieten sich sogenannte lebende Fossilien an – beispielsweise die fischähnlichen Neunaugen oder Manteltiere, die es sich auf Meeresböden gemütlich machen. "Manteltiere sind gewissermaßen ein evolutionärer Prototyp für Wirbeltiere", sagt Ute Rothbächer, Zoologin an der Universität Innsbruck. Sie war an einer aktuellen Studie beteiligt, die nun im Fachjournal "Nature" erschien: Sowohl in Manteltieren als auch in modernen Wirbeltieren gibt es ein Gen, das die Basis für eine schärfere Wahrnehmung liefern dürfte.

Diese verbesserte Wahrnehmung ist vor allem für höhere Raubtiere notwendig. Dafür musste sich jedoch zuerst einmal im Laufe der Evolution einen Kopf entwickeln, in dem Sinneseindrücke effizient an das Gehirn weitergeleitet werden können. Um das zu bewerkstelligen, brauchten Tiere, die im Laufe der Entwicklungsgeschichte ihre komplexe Umwelt auch vielfältiger wahrnehmen konnten, unter anderem sogenannte Kopfganglien. Dies sind Nervenknotenpunkte, die über das Haupt verteilt sind, und die vielfältigen Informationen der Sinnesorgane aufnehmen, heißt es am Mittwoch in einer Aussendung der Universität Innsbruck.

Seescheiden – hier eine Kolonie auf einer Hirnkoralle – zählen zu den Manteltieren und können wichtige Informationen zur Wirbeltierentwicklung liefern.
Foto: imago

Kopfevolution im Meer

Woher diese Strukturen kommen, hat das wissenschaftliche Team an Manteltieren erforscht. Zu dieser Tiergruppe gehören beispielsweise Seescheiden, und auch, wenn sie auf den ersten Blick wenig mit höheren Wirbeltieren gemeinsam haben, liegt ihnen in vielerlei Hinsicht ein vergleichbarer Bauplan zugrunde. Auch das Neunauge, ein frühes Wirbeltier, das an einen Aal erinnert, dürfte sich seit gut 500 Millionen Jahren kaum verändert haben und dadurch wichtige Einblicke liefern.

Als die Lebewesenentwicklung noch auf die Meere beschränkt war, vollzog sich nämlich bereits der Übergang von rein wirbellosen Lebewesen mit kopfähnlichen Strukturen zu Tieren, die neuartigere Köpfe ausbildeten. Ohne ein Haupt hätte es die Evolution beim Ausbau der Sinneszellen und der Nervenknotenpunkte jedenfalls schwerer gehabt.

Wenn nun in Manteltieren wichtige Gene zur Nervenzellentwicklung aufzuspüren sind, die es ebenso in höheren Wirbeltieren gibt, dann müssen diese auf die letzten gemeinsamen Vorfahren zurückgehen, sagt Rothbächer. Diese dürften "wahrscheinlich einer Manteltier-Larve sehr ähnlich" gewesen sein.

Aus dem Schwanzbereich in den Kopf

Dabei zeigte sich, dass die Kopfganglien von Wirbeltieren tatsächlich auf genetischen Codes und Abläufen fußen, die bereits in den Manteltieren zu finden sind. Dort sitzen die Ganglien aber im Schwanzbereich und sind neben der Signalverarbeitung auch an der Fortbewegung beteiligt. Die Bauanleitung für die Nervenknotenpunkte enthält ein Gen namens "Hmx", wie die Wissenschafter durch Manipulationen dieses Teils des Erbgutes in Manteltieren herausfanden.

"Hmx hat sich als zentrales Gen erwiesen, das über die Evolution hinweg konserviert wurde, also seine ursprüngliche Funktion und Struktur erhalten hat und in dieser Form vermutlich bereits im gemeinsamen Vorfahren von Wirbel- und Manteltieren zu finden war", so Alessandro Pennati, Doktorand in Rothbächers Arbeitsgruppe. Der Befund weise darauf hin, dass das Gen letztlich entscheidend für die Bildung von leistungsfähigeren Kopfsinnesorganen bei Wirbeltieren war, schließt die Forschungsgruppe. (APA, red, 19.5.2022)