Ein beliebtes Shopping-Center in Rudolfsheim-Fünfhaus war das Ziel zweier Angeklagter, die vor dem Gebäude ziemlich gewalttätig wurden.

Foto: Heribert Corn

Wien – Sicher ist, dass ein 29-Jähriger am 17. März in der Gablenzgasse gegen 23 Uhr neben seinem Taxi stand, um eine Zigarette zu rauchen. Sicher ist auch, dass er kurz darauf verletzt von der Rettung betreut wurde. Was sich dazwischen abgespielt hat, soll Richterin Alexandra Skrdla ergründen, die ein Urteil über die beiden Angeklagten, 17 und 18 Jahre alt, fällen muss.

Erstangeklagter D., der ältere, hat bereits Erfahrung mit dem Justizsystem gesammelt. Bisher hat es der Lehrling auf drei Diversionen und eine Vorstrafe gebracht – am 18. Februar 2022, also ziemlich genau ein Monat vor dem nun angeklagten Vorfall, wurde er wegen Raubes zu sechs Monaten bedingt verurteilt. Neben ihm sitzt Herr S., der zwei Mal eine Diversion bekommen hat, strafrechtlich also unbescholten ist.

Beleidigung auf Türkisch

Im Großen und Ganzen erzählen die beiden Teenager die Geschichte so: Sie wollten in ein nahegelegenes Einkaufszentrum, Zweitangeklagter S. habe den Taxifahrer höflich um eine Zigarette gefragt. Der habe auf Türkisch geantwortet, das sie nicht verstanden, sie seien weitergegangen. Dann habe der 29-Jährige plötzlich auf Türkisch einen den beiden gebürtigen Österreichern doch geläufigen Begriff nachgerufen, der eine derbe Aufforderung zur Blutschande mit der eigenen Mutter bedeutet.

Der Zweitangeklagte drehte sich um, es kam noch zu wechselseitigen Beleidigungen mit dem Taxilenker, dann sei der aggressiv in Richtung von S. gekommen, schildern beide Angeklagten. "Da habe ich angefangen, ein bisschen zu kämpfen", gibt der Zweitangeklagte zu. "Was bedeutet denn 'ein bisschen'?" bittet die Richterin um Erklärung. "Ich habe ihm die ersten zwei Schläge gegeben." – "Wohin?" – "Ins Gesicht."

"Noch kurz einen Kick gegeben"

Erstangeklagter D. behauptet, er habe die beiden nur trennen wollen, habe dabei aber selbst Faustschläge des Taxifahrers abgefangen und habe daher zugeschlagen. Irgendwann sei das Opfer auf dem Boden gelegen. "Da hab ich ihm noch kurz einen Kick gegeben. Dann ist er eh schnell wieder aufgestanden", erinnert sich der 18-Jährige, der im vergangenen Jahr auch Mitglied in einem Boxverein gewesen ist, wie sich später herausstellt. Danach sei noch kurz weitergekämpft worden, ehe die beiden wegliefen. Nur um kurz darauf von einer Polizeistreife festgenommen zu werden.

Soweit die Version der Angeklagten. Der glücklicherweise nur leicht Verletzte erzählt eine deutlich andere. Drei Jugendliche seien zu ihm gekommen und hätten ihn gefragt, ob er eine Zigarette für sie habe. Er habe das Begehren lediglich mit "Nein" abschlägig beschieden, als das Trio weiterging, sagte einer von ihnen: "Arschloch!" Die Reaktion des Taxlers, "Was hast du gesagt?", führte zur Rückkehr der drei Täter. Auf die Frage "Hast du ein Problem?" habe er nicht mehr antworten können, da alle drei sofort auf seinen Kopf eingeschlagen und ihn getreten hätten, auch als er bereits am Boden lag. Geflüchtet seien die Täter erst, als andere Taxifahrer und Passanten eingriffen.

Drei Tage habe er durchgehend Kopfweh gehabt, sagt der Zeuge und zeigt Skrdla, Staatsanwältin Bettina Sommer und den Verteidigerinnen Antonia Cermak und Anita Schrattner auf seinem Mobiltelefon auch Bilder der Hämatome im Gesicht, auf dem Rücken, dem Arm und dem Knie. Als die Richterin ihn fragt, ob er dafür Schmerzensgeld haben wolle, ist sich der Zeuge unsicher, wie viel er verlangen kann, und überlegt.

Zusehende Mutter mischt sich ein

"Geh bitte, das sind Kinder", quittiert das die mit 20 Minuten Verspätung erschienene Mutter des Erstangeklagten aus den Zuseherreihen. "Das will ich jetzt nicht gehört haben", mahnt Skrdla Ruhe ein, die nicht eintritt. "Das ist aber so!", sagt die Mutter nämlich. "Ist es nicht. Sie sind strafmündig", klärt die Richterin sie auf. Das Opfer beschließt schließlich, sich erst mit seinem Anwalt zu beraten, und stellt vorerst keine Forderung.

Nach dem Verletzten treten zwei unbeteiligte Passanten als Zeugen auf, die damals auf die Situation aufmerksam wurden. Und sie bestätigen: Es waren drei Angreifer, alle drei hätten auf den Taxifahrer eingeschlagen und getreten. Der Erstangeklagte habe auch mehrmals auf den Liegenden getreten, ehe alle flüchteten, da andere Zeugen aufmerksam wurden.

Beide Angeklagte nutzen am Ende ihre Möglichkeit des letzten Wortes. "Ich wollte das gar nicht machen, das ist einfach so passiert", entschuldigt sich der Erstangeklagte. "Der Hauptstreit war von mir, D. hat sich nur eingemischt, weil er wahrscheinlich dachte, es wird für mich gefährlich", nimmt der Zweitangeklagte seinen Freund in Schutz.

"Verharmlosendes" Geständnis

Skrdla verurteilt den vorbestraften D. zu neun Monaten, drei davon unbedingt. Die sechs Monate aus der offenen Vorstrafe werden nicht schlagend, die Probezeit von drei auf fünf Jahre verlängert. Der noch minderjährige S. erhält vier Monate bedingt. "Es gibt keinen Grund, den Passanten nicht zu glauben", begründet Skrdla. Die Geständnisse seien "verharmlosend bis zum Gehtnichtmehr" gewesen, das große Glück der Angeklagten sei, dass es zu keinen schweren Verletzungen kam. Zur Tat selbst sagt sie: "Das ist richtig schiach. Und nein, das sind nicht nur Kinder", widerspricht sie der Einschätzung der Mutter des 18-Jährigen.

Nach kurzer, offenbar emotionaler Beratung mit Verteidigerinnen und Familienmitgliedern vor dem Saal akzeptiert der Zweitangeklagte ebenso wie die Staatsanwältin das Urteil, es ist also rechtskräftig. Verteidigerin Cermak will dagegen Bedenkzeit nehmen. "Das kann aber dazu führen, dass auch die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel anmeldet", warnt die Richterin. Nach kurzer Rücksprache bleibt der Erstangeklagte dabei: Er will drei Tage nachdenken. Anklägerin Sommer braucht weniger Zeit: Sie meldet bei D. Berufung an und legt Beschwerde ein, um einen Widerruf seiner Vorstrafe zu erreichen.

Die Folge ist eine empörte Beschwerde der Mutter im Saal bei der Verteidigerin des Sohnes, warum sie nicht auf diese mögliche Konsequenz aufmerksam gemacht wurden. "Es war meine Entscheidung. Gib nicht immer anderen die Schuld!", versucht ihr Sohn sie zu besänftigen, während Skrdla sich bereits ihren Talar ausgezogen hat. (Michael Möseneder, 19.5.2022)