Ikone des Brutalismus: die denkmalgeschützte Fassade des Mattersburger Kulturzentrums aus Sicht- und Waschbeton steht noch.

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In den vergangenen Jahren hat es in Mattersburg wenig gegeben, das feierlich zu eröffnen gewesen wäre. Zugesperrt wurde dagegen – Stichwort Commerzialbank – eine ganze Menge. Aber zu so was drängen sich weder Honoratioren noch Honoratiorinnen. Im Gegenteil, da – von Bank bis Sportverein – suchen sie das Weite.

Der Sonntag war also ein besonderer Tag. Da öffnete das neue Kulturzentrum. Ein Kulturzentrum, das einst nicht nur ein Modell sozialdemokratischen Kulturwollens war. Der 1976 eröffnete Wasch- und Sichtbetonbau war zudem eine Ikone des sogenannten Brutalismus. Als das Haus 2014 geschlossen und zum Abbruch vorgesehen wurde, erhob nur ein junger Mattersburger Kunstgeschichtler – Johann Gallis heißt er – Widerspruch. Den aber so laut, dass das Bundesdenkmalamt sich einschaltete. Zumindest die markante – früher hätte man gesagt: schiache – Betonfassade wurde unter Schutz gestellt.

Sinowatz-Modell

Ein solcher Paukenschlag wie 1976 ist die sonntägige Neueröffnung nicht. Damals wollten Unterrichtsminister Fred Sinowatz und der Kulturlandesrat Gerald Mader – Büsten der beiden stehen vorm Haus – vom roten Burgenland aus eine neue, regionale, die Menschen zum Selbertun und nicht bloß zum Konsum animierende Kulturpolitik durch ganz Österreich tragen.

Diesmal will Landeshauptmann und Kulturlandesrat Hans Peter Doskozil das Mattersburger Kulturzentrum als Teil einer neuen burgenländischen Verwaltungsstruktur nutzen. Doskozil disloziert Abteilungen des Landhauses. In Mattersburg werden künftig die Landesbibliothek – einst auch Arbeitsplatz des späteren Bundeskanzlers Fred Sinowatz – und Teile des Landesarchivs untergebracht. Auch das 1994 gegründete Literaturhaus mit seiner umfangreichen Bibliothek logiert hier. Claudia Schlager, die SP-Bürgermeisterin, freut's: "Mattersburg wird in Zukunft auch die Stadt des Buches sein."

Nachlässe

Jakob Perschy, Chef der Landesbibliothek, hat sich bereits eingelebt. Er verweist auf den nahen Bahnhof. Die Landesbibliothek, aber auch das Archiv seien ja durchaus Fundgruben für Haus- und Diplomarbeiten, ja Dissertationen. "In Eisenstadt hatten wir auch Studenten, die aus Wien kamen. In Mattersburg ist das nun deutlich einfacher." Per Bahn ist es von Wien in einer Stunde zu erreichen.

Sowohl das Literaturhaus als auch die Bibliothek haben sich Richtung Osten und Südosten gewichtet. Das tut natürlich auch, der Logik der burgenländischen Geschichte folgend, das Archiv. "Es wäre eine lohnende Aufgabe für Studenten etwa der Finnougristik." Nicht alle Bestände seien übersetzt. In den Tiefen der neuen Speicher – das Literaturhaus hat seine Bibliothek bereits übersiedelt, die Landesstellen sind dabei – warten auch noch spannende Nachlässe aufs Aufarbeiten.

Hochkultur

Zum Beispiel der eines gewissen Fritz Hermann: Autor, Herausgeber des linksboulevardesken "Wiener Wochenblattes", linker Kulturtheoretiker mitverantwortlich für die Entwicklung eines eigenständigen, sozialdemokratischen Kulturbegriffes abseits dessen, was man damals Hochkultur genannt hatte.

Er war Büroleiter von Fred Sinowatz. Bis er 1977 sein kulturpolitisches Bekenntnis, das in Mattersburg von Architekt Herwig Udo Graf in Beton gegossen wurde, in 37 wohltönende, eingängige Gstanzln gefasst hatte. Unter anderem das da: "Es scheißt der Herr von Karajan – bei jedem falschen Ton sich an – und wascht sein Orsch im Goldlawua – anal sein g'hört zur Hochkultur."

Großdirigent Herbert von Karajan war ob dieser Majestätsbeleidigung not amused; der Minister notgedrungen auch. Fritz Hermann war dann in weiterer Folge Teichwirt im mittelburgenländischen Neckenmarkt. (Wolfgang Weisgram, 25.5.2022)