"Am Schauplatz" zeigt, wie der Ukraine-Krieg den Alltag von Russinnen und Russen in Österreich verändert hat.

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Wien – Seit Wladimir Putins Armee am 24. Februar die Ukraine angegriffen hat, ist kein Stein auf dem anderen geblieben. Zerbombte Städte, getötete Soldaten und Zivilistinnen sowie Millionen, die ins Ausland geflüchtet sind. Putins Angriffskrieg hat aber nicht nur das Leben der Ukrainerinnen und Ukrainer auf den Kopf gestellt, sondern auch den Alltag der in Österreich lebenden Russinnen und Russen stark verändert. Wie, das hat ORF-Reporterin Julia Kovarik recherchiert. Sie war für die "Am Schauplatz"-Reportage "Gute Russen, böse Russen" in Österreich unterwegs – zu sehen ist sie am Donnerstag, 19. Mai, um 21.05 Uhr in ORF 2.

Angst vor Eskalation im Musikklub

"Der Krieg findet auch hier in Österreich statt", sagt Julia Kovarik zum STANDARD. Sie hat etwa in dem Verein "Balalaika – Verein zur Förderung der russischen Musikkultur" gedreht und mit Alek, dem Betreiber des Klubs im ersten Wiener Gemeindebezirk, geredet. Wo vor dem Krieg Menschen aus allen ehemaligen Sowjetstaaten zusammengekommen sind, um Karaoke zu singen und zu feiern, herrscht jetzt gähnende Leere. Der musikalische Schatz von 30.000 "russischen Karaokeliedern aller Generationen", mit dem der Klub wirbt, bleibt häufiger in der Kiste. Und das Wort "russisch" über dem Vereinslogo wurde mit Klebeband überklebt.

"Damit sich niemanden beleidigt fühlt", habe er das Wort "russischen" auf seinem Vereinsschild kurzerhand mit Klebeband überklebt, sagt Alek, der Betreiber des Vereins Balalaika im ersten Bezirk.
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Wie ist die Stimmung im Musikklub? "Obwohl sich die Gäste teilweise jahrzehntelang kennen, vermeiden sie jeglichen Kontakt zueinander", erzählt Kovarik. Vor allem wenn Alkohol im Spiel ist, reiche oft ein falsches Wort, und es eskaliert: "Dann werden ganz normale Bürger plötzlich als Nazis oder Aggressoren beschimpft, zwischen Regierung und normalen Leuten wird dann nicht mehr unterschieden."

Angespannte Stimmung

Eine Unterscheidung, die das Gros der Österreicherinnen und Österreicher aber sehr wohl treffe, so Kovarik. "Zumindest haben wir oft gehört: 'Das ist eine Putin-Geschichte, da können die Russen nichts dafür.'" Allerdings hätten die Russinnen und Russen ihr dennoch berichtet, dass sie die Stimmung insgesamt als feindseliger empfinden und es oft auch nur wenig brauche, "dass sich das Gegenüber provoziert fühlt".

Wie angespannt die Stimmung ist, war vor wenigen Tagen am 9. Mai in Wien zu sehen, am "Tag des Sieges" Russlands gegen Nazideutschland. Die russische Feier war nur unter Polizeischutz möglich. "Es hat sich spontan eine Gegendemonstration gebildet, und eine Heerschar an Polizisten war nötig, um die beiden Gruppen voneinander zu trennen", sagt Kovarik, die mit einem Kamerateam vor Ort war. "Es war wirklich schockierend zu sehen, wie viel Hass auf beiden Seiten vorhanden war."

Putin-Narrativ von der Notwehr und den Nazis

Bei der Demo waren vor allem ukrainische Flüchtlinge und ukrainische Migrantinnen, aber auch politische Aktivisten, Passantinnen und Migranten aus anderen ehemaligen Sowjetstaaten. "Wir haben bei dieser Feier viele Interviews geführt. Das Putin-Narrativ mit dem Krieg als Notwehr und den Nazis in der Ukraine, die bekämpft werden müssen, haben wir dort oft gehört", berichtet Kovarik, "auch dass die Amerikaner den Krieg weiterbefeuern, damit die slawischen Länder einander ausrotten, alles, was hier in den Medien über den Krieg zu hören und zu sehen ist, sei westliche Propaganda".

Russin hilft ukrainischen Flüchtlingen

Die Frage, ob die in Österreich lebenden Russinnen und Russen hinter dem Krieg stehen, lasse sich nicht so leicht beantworten. "Teils, teils", sagt Kovarik: "Ich habe zum Beispiel auch mit einer Russin gedreht, die ein schlechtes Gewissen plagt und die deshalb am Hauptbahnhof mehrmals die Woche ukrainischen Flüchtlingen hilft." Die meisten Interviewten hätten sich gegen den Krieg ausgesprochen. "Allerdings haben sie Ursachen für das Zustandekommen unterschiedlich beurteilt."

Die Russin Jana empfängt geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer am Hauptbahnhof. "Oft werde ich von den Flüchtlingen gefragt, ob ich auch Ukrainerin bin, dann muss ich mich immer überwinden zu sagen, dass ich eigentlich Russin bin."
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Auch für russische Oligarchen ist seit Beginn des Krieges alles anders. Wurden sie in Österreich vor dem Krieg mit offenen Armen empfangen, von Politik und Tourismus aufgrund ihrer Investitionen hofiert und protegiert, so ist die Stimmung mittlerweile gekippt. Zumindest teilweise, erzählt Kovarik, die sich in den Dunstkreis zweier Oligarchen begeben hat.

Guter Oligarch, böser Oligarch

Einer ist Energiemilliardär Raschid Sardarow, einer der reichsten Männer Russlands und Inhaber eines Anwesens mit 600 Hektar Grund im niederösterreichischen Rohr im Gebirge. Direkt an seine Ländereien grenzt die Gemeinde Gutenstein. "Wir haben dort den Bürgermeister Michael Kreuzer getroffen, der Sardarow ein 'Glücksengerl' nennt", sagt Kovarik. Der Grund ist nicht sakral, sondern banaler Natur: Geld.

Der Oligarch greift der Gemeinde immer wieder finanziell unter die Arme und ist deshalb im Ort sehr beliebt. Wenn die Gutensteiner etwas brauchen, schreibt der Bürgermeister einen Bettelbrief. "Zum Beispiel hat der Oligarch Geld gegeben, um das örtliche Schwimmbad zu sanieren, die Schulklassen frisch auszumalen, eine Eisdiele zu errichten, und er hat ihnen bei der Renovierung des Musikerhauses geholfen", schildert Kovarik. "Man hat dort eher die Sorge, dass das Geld nicht mehr fließt, falls Herr Sardarow einmal auf die Sanktionsliste kommt."

Deripaska-Schmuckkästchen in Lech am Arlberg

Ganz anders seien die Erfahrungen in Lech am Arlberg gewesen. Dort hat der Putin-Vertraute Oleg Deripaska mit dem Aurelio das teuerste Skihotel der Welt gebaut. Das Hotel spielt vom Bentley-Shuttle bis zum Helikoptertransport alle Stückeln – und es polarisiert im Ort. "Ein Gemüselieferant hat die Lieferung eingestellt, der österreichische Geschäftsführer bekommt Drohanrufe, die Passanten auf der Straße fordern die Enteignung, die anderen Hoteliers sind empört", sagt Kovarik.

Oleg Deripaskas Aurelio in Lech am Arlberg, hier auf einem PR-Foto aus dem Jahr 2016 zu sehen.
Foto: Aurelio

Deripaska soll das Luxusanwesen mittlerweile an die Hotelgruppe seines Cousins verkauft haben. Aus der Schusslinie ist er deswegen noch lange nicht. (Oliver Mark, 19.5.2022)