Die spektakulären Renovierungen gelangen im Inneren des Tempels von Esna in Oberägypten, 60 Kilometer südlich von Luxor.

Foto: Esna-Projekt

Tempel und Götterdarstellungen des Altertums waren oft mit intensiven Farben bemalt, die aber durch äußere Einflüsse meistens verblasst oder vollständig verschwunden sind. Im Tempel von Esna in Oberägypten aber wurden die Farben fast 2.000 Jahre lang durch eine Schmutz- und Rußschicht überdeckt und auf diese Weise konserviert.

Forschende der Universität Tübingen und des ägyptischen Ministeriums für Tourismus und Altertümer arbeiten seit 2018 daran, die Reliefs, Malereien und Inschriften des Tempels 60 Kilometer südlich von Luxor freizulegen und die ursprünglichen Farben wieder sichtbar zu machen.

Vorher und nachher: Restaurierungsarbeit im Tempel von Esna.
Foto: Foto: Ahmed Amin / © Ministry of Tourism and Antiquities (MoTA)

Nun ist ihnen ein bemerkenswerter Erfolg gelungen, wie die Universität Tübingen mitteilt: Die Fachleute haben eine Serie farbenprächtiger Deckenbilder renoviert.

Wie Christian Leitz von der Universität Tübingen berichtete, handelt es sich bei den reliefartig ausgeführten Bildern des mittleren Deckenabschnitts um insgesamt 46 Darstellungen der oberägyptischen Kronengöttin Nechbet sowie der unterägyptischen Kronengöttin Wadjet.

Zwei der 46 Geierfiguren am zentralen Deckenbereich (Zentraltravée) von Esna. Oben die oberägyptische Kronengöttin Nechbet mit Geierkopf, unten die unterägyptische Kronengöttin Wadjet mit Kobrakopf.
Foto: Ahmed Amin / © Ministry of Tourism and Antiquities (MoTA)

Beide Göttinnen werden als Geier mit ausgebreiteten Schwingen dargestellt. Während Nechbet einen Geierkopf und die oberägyptische Krone trägt, ist Wadjet an der unterägyptischen Krone erkennbar, die auf dem Kopf einer Kobra sitzt.

Die nun aufgetauchten Darstellungen der beiden Kronengöttinnen waren auch der Fachwelt in ihrer Farbenpracht bislang unbekannt. "Der französische Ägyptologe Serge Sauneron hat ab den 1950er-Jahren den Tempel von Esna und die damals sichtbaren Bildwerke systematisch dokumentiert", sagte Daniel von Recklinghausen, ebenfalls Uni Tübingen. "Das Bildprogramm des Tempels ist hinsichtlich des Reichtums der Darstellungen und des Erhaltungszustands der Farben einzigartig."

Die fliegenden Geier am zentralen Deckenbereich (Zentraltravée), dahinter der nördliche Querbalken (Architrav).
Foto: Ahmed Emam / MoTA

Mehr als die Hälfte der Decken und acht der 18 Säulen konnten bislang durch ein Team unter Leitung von Ahmed Emam gesäubert, konserviert und dokumentiert werden. Darüber hinaus sind nun die beiden Architrave des mittleren Deckenabschnitts – horizontale Balken, die den Oberbau tragen – von Ruß befreit. "Damit lassen sich erstmalig sämtliche Dekorationselemente zueinander in Beziehung setzen", sagte Leitz. "Dies war allein mit der Publikation Saunerons unmöglich."

Der Tübinger Ägyptologe plant nun eine Gesamtübersetzung der Esna-Inschriften und beschäftigt sich zudem mit den Zusammenhängen zwischen den verschiedenen Inschriften und Darstellungen im Inneren des Tempels.

Blick auf die neu restaurierten Kapitelle der Säulen in Esna. Oben sind die Querbalken (Architrave) mit den aufgemalten Inschriften zu sehen.
Foto: Ahmed Emam / MoTA

Von dem Tempel in Esna ist nur noch die Vorhalle erhalten, diese aber vollständig: Mit 37 Metern Länge, 20 Metern Breite und 15 Metern Höhe wurde der Sandsteinbau spätestens unter dem römischen Kaiser Claudius (41 bis 54 unserer Zeitrechnung) vor das eigentliche Tempelgebäude gesetzt und dürfte dieses in den Schatten gestellt haben.

Die Lage mitten im Stadtzentrum hat wohl dazu beigetragen, dass die Vorhalle erhalten blieb und nicht wie andere Gebäude während der Industrialisierung Ägyptens als Steinbruch zur Gewinnung von Baumaterial genutzt wurde. Schon zu Napoleons Zeiten erregte der Pronaos in Fachkreisen große Aufmerksamkeit, da man ihn als Idealbeispiel altägyptischer Tempelarchitektur betrachtete. (red, 19.5.2022)