Nicht Frau, nicht Mann, was dann? Lea Drinda spielt Charlie auf der Suche nach der eigenen Identität.

Foto: ZDF, Tatiana Vdovenko

Charlie hat es nicht leicht im Leben. Da wären einmal die eher desolaten Wohn- und Familienverhältnisse in einem Offenbacher Plattenbau. Das Geld ist knapp, die Rechnungen stapeln sich, der Strom wird abgedreht, und der Job beim Pizzalieferdienst ist auch nicht gerade das Gelbe vom Ei. Und ihre Mutter, mit der sie zusammenlebt, ist wegen ihrer eigenen psychischen Probleme keine große Hilfe. Im Gegenteil. Charlie will raus aus der Platte, raus aus diesem prekären Alltag am Rande zur Armut.

Aber da ist noch etwas anders, und dieses andere wird immer vehementer. Von ihrer Umgebung wird sie als Frau wahrgenommen, doch Charlie fühlt sich keinem Geschlecht zugehörig, ist weder Frau noch Mann. Aber was ist sie dann? In ihr rumort es, die Suche nach der eigenen Identität wird immer drängender, der innere Kampf immer heftiger.

Eine "Instant-Serie" nennt ZDF "Becoming Charlie", die sechs kurzen Folgen sind in nur wenigen Monaten entstanden. Zu sehen ist die Serie in der ZDF-Mediathek und ab 24. Mai auf ZDF Neo.

"Kein Fremdblick, sondern hundertprozentige Authentizität"

Geschrieben hat sie Lion H. Lau. "Fernsehen macht sichtbar. Nichtbinäres Leben ist nach wie vor ein blinder Fleck in weiten Teilen unserer Gesellschaft, und das hat auch damit zu tun, wen Fernsehen zeigt – und wen nicht. Die Anfeindungen, die Gewalt, die Aggressionen, die nichtbinäre Menschen und Transpersonen im Alltag aushalten müssen, haben schwerwiegende Folgen", sagt Lau. "Mir war es wichtig, dass die erste Serie mit einem nichtbinären Hauptcharakter von einer Person geschrieben wird, die selbst nichtbinär ist – also in diesem Fall von mir. Kein Fremdblick, sondern hundertprozentige Authentizität."

Gespielt wird Charlie von Lea Drinda ("Wir Kinder vom Bahnhof Zoo"), die die Gefühlswelten von Charlie fein nuanciert ausleuchtet und diese Mischung aus Unsicherheit, Aggressivität und Selbstbehauptung fühlbar macht. Wenn etwa weite Kleidung ihren Körper verstecken soll oder sie versucht, sich ihren Busen wegzuklemmen, dann möchte man Charlie einfach in den Arm nehmen und sich wünschen, dass alles gut wird.

Rollenbilder und Schubladen

Aber es ist nicht alles gut dort auf der Platte, "ich hab eine Tochter geboren, ob es dir passt oder nicht", sagt einmal ihre völlig überforderte Mama Rowena (Bärbel Schwarz). Als ob die Mutter entscheiden könnte, wer Charlie ist oder wie Charlie sich zu fühlen hat. Aber Charlie schafft es, sich zu emanzipieren. Von der Mutter, die ihr persönliches Glück von ihrem Kind abhängig macht. Und auch von alten Freunden, die nicht guttun. Dafür kommen neue Beziehungen dazu, Freundinnen und Freunde, die ebenfalls mit den ihnen zugeschriebenen Rollen hadern, Angst vor einem Coming-out haben.

Bei dieser Emanzipation hilft auch die Musik, Rappen als Ventil gegen Schubladendenken und eigene Unsicherheiten, "die Probleme sind größer als die Zeichen auf einem Klo", textet Charlie. Und: "Wer ich bin, hab ich zu lange nicht gewusst, ich habe mich verbrannt, so wie Ikarus. Wollte jemand sein, der ich gar nicht bin, wollte zur Sonne, hab nicht gesehen, ich trag sie in mir drin." Charlies Weg ist steinig und hart, sich ihm zu stellen zahlt sich aus. (ae, 20.5.2022)