Nicht einmal auf Halbmast wird etwas auf der geplanten Fahnenstange des Ministers wehen – wie hier im Bild nach dem Tod von Ex-Präsident F. W. de Klerk.

Foto: AFP / PHILL MAGAKOE

Den Zusammenhang zwischen sterbenden Regimen und überlebensgroßen Denkmälern kennt man aus biblischen – Turmbau zu Babel – oder ganz und gar unbiblischen Zeiten: Albert Speers Pläne für die Nazi-Welthauptstadt "Germania". Demselben Prinzip, allerdings auf etwas bescheidenere Weise, suchte Südafrikas Kulturminister Nathi Mthethwa zu folgen, indem er seine angeschlagene Heimat mit kühnem Schwung in die Annalen der Weltgeschichte katapultieren wollte.

Und zwar mit einem 100 Meter hohen Fahnenmast, der nach dem Grundsatz "Meiner ist länger" auf einem Hügel bei Pretoria errichtet werden soll. Der Pfahl solle seine Landsleute an die Demokratie erinnern und wie sie dazu gekommen seien, stellte Mthethwa sein Projekt im Parlament vor: Ob er damit auf Nelson Mandelas "langen Weg zur Freiheit" anspielte, blieb unklar.

Kein Strom, keine Bildung

Jedenfalls soll die am Ende der Fahnenstange befestigte zehn mal 15 Meter große Flagge von so gut wie überall zu sehen sein. Und weil nach den Worten des Ministers "Bildung kontinuierlich sein muss", werde die Fahne auch nachts angestrahlt.

Dabei scheint Mthethwa allerdings vergessen zu haben, dass in Südafrika fast jeden zweiten Tag der Strom und damit die Bildung ausfällt. Gedacht hat er aber an den Arbeitsmarkt ("das Projekt schafft Jobs"), an den Tourismus ("die Fahne wird zur Sehenswürdigkeit") und ausdrücklich auch an die Stahlindustrie, die die megalange Lanze anfertigen darf.

Sie sei ein "Symbol für die Einheit", den "nationalen Stolz" und "sozialen Zusammenhalt" der Südafrikaner, fügte der Minister hinzu: Für derart hehre Ziele sei der veranschlagte Preis von 22 Millionen Rand (1,2 Millionen Euro) nachgerade ein Witz. Vor allem, wenn man bedenke, was andere Nationen für ihren Eiffelturm, ihre Freiheitsstatue oder ihren Jesus, den Erlöser, ausgaben, pflichteten ministerielle Speichellecker in den Medien bei.

Pro Absetzung

Tausende von Künstler, die sich von Mthethwa während der Covid-Pandemie schändlich im Stich gelassen fühlten, wollten davon allerdings nichts wissen. "Warum gehen diese 22 Millionen nicht an Kreative, die hungern oder sich selbst töten?", fragt Schauspielerin Lerato Mvelase in Anspielung an einen ihrer Kollegen, der im vergangenen Jahr Selbstmord beging. "Hau endlich ab, wir hassen dich alle", wird die bildschöne TV-Personality Bonang Matheba auf Twitter schon wesentlich deutlicher. Und Produzent Zola Hashatsi setzt noch drauf: "Du bist so nutzlos wie das T in Buffet."

Auch die Forderung nach der Entlassung des Ministers wird laut. "Wenn Sie sich mit derartig mittelmäßigen Leuten umgeben, setzen Sie sich selbst dem Verdacht der Mittelmäßigkeit aus", gibt Sizwe Pamla, Sprecher des Gewerkschaftsdachverbands Cosatu, Präsident Cyril Ramaphosa zu verstehen.

Doch eine Prüfung

Angesichts der rapide steigenden Benzin- und Nahrungsmittelpreise sowie der Millionen an Südafrikanern, die während der Pandemie ihren Job verloren, sei der lange Fahnenmast womöglich doch keine gute Idee, wenden inzwischen selbst die selten gewordenen Apologeten des regierenden Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) ein. Ist der Minister etwa taub geworden?

Offenbar war er nur kurz in einen megalomanen Schlummer verfallen. Die "Vielfalt der Stimmen", die in den vergangenen Tagen laut geworden seien, müssten als "willkommene Feier der lebhaften politischen Kultur unseres Landes" betrachten werden, hieß es am Donnerstag in Mthethwas Ministerium: Die Entscheidung um die "monumentale Flagge" müsse einer "grundsätzlichen Überprüfung" unterzogen werden. Und die Moral von der Geschichte: Auch bei der längsten Fahnenstange langt man irgendwann an deren Ende an. (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 20.5.2022)