Ein Brite, der die Welt im Sturm eroberte: Harry Styles wurde vom Teenie-Idol zum Vorbild hinsichtlich moderner Männlichkeit.

Foto: Lilli Eiger

Wenn Harry Styles in seinem 2019er-Ohrwurm Watermelon Sugar, für den er einen Grammy gewann, "I just wanna taste it" singt, könnte man ja noch glauben, ihm schmeckt die erfrischende Frucht halt wirklich gut. Wenn man den 28-jährigen Briten dann im dazugehörigen Video suggestiv Melonen schlemmen sieht und, dazu gegengeschnitten, verzückte Frauengesichter, macht’s klick: Der singt ja über Oralsex!

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Und so, wie er dabei dreinschaut, gibt der junge Mann nicht auf, bis sein Gegenüber auf seine Kosten gekommen ist. So ist er eben, der Harry Styles. Eine seiner Erfolgssingles heißt Treat People with Kindness, und das gilt für ihn in allen Lebensbereichen, Cunnilingus inklusive.

"Kind", also nett, ist eines der ersten Adjektive, die einem zu Harry Styles einfallen. Meistens bedeutet das nichts Gutes. Aber Harry Styles ist nicht uninteressant. Er verkörpert ein modernes "Mannsbild": Er zeigt Gefühle und sich verletzlich, er trägt gern Kleider und Perlen, gilt als Modeikone, betreibt seine eigene Marke für Beautyprodukte. Deswegen wurde er des öfteren in Interviews gefragt, ob er bisexuell sei, was er als eine veraltete Frage empfand, die er nicht beantwortete.

Die Leadsingle vom neuen Album "Harry's House".
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Aktuell ist Styles, der auch als Schauspieler Erfolge feiern konnte (Dunkirk, Eternals), mit der Regisseurin und Schauspielerin Olivia Wilde liiert und spielt in ihrem neuen Film Don’t Worry Darling mit, der im September erscheinen wird. Ja, sie ist zehn Jahre älter als er, und ja, danach zu fragen, ob das nicht komisch für die beiden ist, wäre verdammt veraltet.

All das sei hier erwähnt, weil das Phänomen Harry Styles eben nicht nur aus seiner Musik besteht, wie das bei den wenigstens Popstars in dieser Größenordnung der Fall ist.

Auch im Humorfach begabt: Harry styles bei SNL.
Saturday Night Live

Sicher denkt man auch an seine großen Hits: Die wunderschöne Ballade Sign of the Times, mit der er sich als Solokünstler positionierte, an Nummern wie Golden, Adore You oder eben Watermelon Sugar von seinem zweiten, unglaublich erfolgreichen Album Fine Line (2019), aber einen großen Teil von Harry Styles’ Erfolg machen sein gelebter Feminismus, seine Philanthropie, seine Federboas, Glitzeranzüge und lackierten Fingernägel aus: der Softboy als Lichtgestalt. Viele können sich auf den wohlerzogenen jungen Mann einigen, ob hetero oder queer, Großmutter oder Teenie, Musikkritiker oder Superfan.

Frische Nostalgie

Es dauerte, bis Styles seinen Style (hihi!) fand. Sieben Jahre lang war er als Mitglied der gecasteten Pop-Rock-Boyband One Direction ja nur einer von mehreren. One Direction wurde 2010 im Rahmen der Casting Show The X Factor von Jurymitglied und Musikproduzent Simon Cowell zusammengestellt und avancierte in Windeseile zu einer der erfolgreichsten Boybands aller Zeiten – die fünf, dann vier Burschen verkauften mehr als 70 Millionen Tonträger. Schätzungsweise brachen auch genauso viele Teenieherzen, als One Direction ihre Tätigkeiten im Jahre 2017 ruhend stellten. Wenn sich eine Boyband trennt und alle ihre Solowege gehen, macht meistens nur einer so richtig Karriere.

Harry Styles

Robbie Wiliams war das bei Take That, Justin Timberlake bei N*Sync, und bei One Direction ist eben Harry Styles der Erfolgreichste – wobei auch die anderen, Niall Horan, Liam Payne, Louis Tomlinson und Zayn Malik, genügend Fans und Geld haben, um keine Komplexe bekommen zu müssen.

Für Styles als Solisten ging es 2017 los, als sein erstes Album Harry Styles erschien. Der Nachfolger Fine Line wurde vom Magazin Rolling Stone unter die besten 500 Alben aller Zeiten gewählt. Zwar nur auf Platz 491, aber das ist ja nicht nix.

Darauf hört man Einflüsse wie den von ihm verehrten David Bowie oder die Poprocker Fleetwood Mac. Auch das heute, Freitag, erscheinende, dritte Album Harry’s House hantiert mit Sounds, die man aus der Pop-Vergangenheit kennt, produziert ist es aber zeitgemäß frisch.

Mag Federboas und Glitzer: Harry Styles.
Foto: AFP/ FRANCIS SPECKER

Gleich der Opener Music for a Sushi Restaurant zollt mit seinen Bläsern, Synths und Basseinsatz Peter Gabriels Sledgehammer, eine Nummer, die Styles vergöttert, Respekt. Cinema hat etwas Daft-Punkiges aus der Get Lucky-Ära, auf Boyfriends simon-und-garfunkelt Styles im Zwiegesang mit sich selbst.

Neben Boyfriends haben in Harry’s House auch Balladen und melancholische Up-Beat-Nummern wie die aktuelle Single As It Was Platz, genauso wie Füllmaterial, das keiner braucht (Keep Driving). Was Styles gut hinbekommt, ist, eine Stimmung zu vermitteln. Es ist ein warmes Album mit guten Grooves, das an süße und bittersüße Augenblicke eines langen Sommers denken lässt.

Nur textliche Höhepunkte sollte man sich nicht erwarten; es geht thematisch um recht wenig. Wie eingangs erwähnt, hat Styles aber auch andere Methoden, dafür zu sorgen, dass Menschen zu ihren Höhepunkten kommen. (Amira Ben Saoud, 20.5.2022)