Der (aktuelle) Grundstückspreis bestimmt den Lagezuschlag – jedenfalls dort, wo überhaupt einer erlaubt ist. Das ist nach Ansicht von Mieterschützern einer von gleich mehreren Fehlern im Richtwertsystem.

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Die Basismiete in Altbauwohnungen, der sogenannte Richtwert, liegt in Wien bei 6,15 Euro je Quadratmeter. Dazu kommen meist noch Zuschläge, unter anderem der Lagezuschlag. Und dieser hat sich aus Sicht der Wiener SPÖ vor allem in jüngster Zeit zum echten Problemkind entwickelt. Denn er übertrifft in zentralen Wiener Lagen die Basismiete schon um das Doppelte bis Mehrfache; das geht so weit, dass in der City die erlaubte Richtwertmiete schon bei mehr als 20 Euro liegt – also die eigentlich "gedeckelte" Miete über der Marktmiete liegt. Laut ganz aktuellen Zahlen von Anfang Mai, erhoben von Imabis, werden im ersten Bezirk derzeit Angebotsmieten von etwas mehr als 17 Euro verlangt. Das Richtwertsystem führt sich da also ad absurdum.

Normenkontrolle verlangt

Und deshalb hat Bürgermeister Michael Ludwig am 1. Mai angekündigt, den Lagezuschlag vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) überprüfen zu lassen ("Normenkontrolle"). Auf Antrag einer Landesregierung muss der VfGH entscheiden, ob ein bestimmtes Bundesgesetz gegen die Verfassung verstößt oder nicht.

Die Argumente, die man ins Treffen führt, sind gewichtig. Da wäre zum einen die Tatsache, dass sich der Lagezuschlag – dort, wo er möglich ist – an den Grundstückskosten orientiert, und zwar an den aktuellen. Hat eine Vermieterin also ihr Zinshaus schon seit mehreren Jahrzehnten, darf sie trotzdem bei einem neuen Mietvertrag einen Lagezuschlag verlangen, der sich an aktuellen Kaufpreisen orientiert. Weil die Grundstückskosten vor allem in der Innenstadt und insbesondere in den vergangenen zehn Jahren stark zugelegt haben, hat das zur erwähnten "Explosion" des Lagezuschlags im 1. Bezirk geführt, und auch rund um die City ist die Lage prekär. "Nachdem die Grundstückskosten schneller wachsen als die Inflation, werden die Lagezuschläge immer dominanter – sie stehen in keiner vernünftigen Relation mehr zum Richtwert und sind unverhältnismäßig", heißt es in einem Argumentationspapier der Stadt, das dem STANDARD vorliegt.

Straßenseite entscheidet

Doch das ist noch nicht alles an Kritik. Denn das "Gefälle" von einem Gebiet mit Lagezuschlag zu einem Gebiet ohne Lagezuschlag (etwa weil der Oberste Gerichtshof eine "durchschnittliche Lage" erkannt hat, in solchen ist kein Lagezuschlag erlaubt) ist mitunter recht hoch, und die Schere geht immer weiter auf. Dazu kommt, dass die Grenze zwischen hohem und gar keinem Lagezuschlag manchmal quasi in der Mitte einer Straße verläuft. "Es kann also zu groben Ungleichbehandlungen kommen."

Hinzu komme, dass die Unterscheidung in durchschnittliche und überdurchschnittliche Lagen nach der"allgemeinen Verkehrsauffassung und Erfahrung des täglichen Lebens" vorzunehmen sei, wie es im Gesetz heißt. Ein Passus, der für viel Beschäftigung bei Sachverständigen sorgt, Mieter wie Vermieterinnen aber oft ratlos zurücklässt. Aus diesen Gründen denkt man bei der Stadt, dass die Regelung zum Lagezuschlag gleichheitswidrig ist sowie das "rechtsstaatliche Bestimmtheitserfordernis" verletzt.

"Unsachliche" Regelungen

"Unglaublich unsachlich" finden aber auch Mieterschützer wie Walter Rosifka, Wohnrechtsexperte bei der Arbeiterkammer, die geltenden Regeln. Ihn stört vor allem, dass der Lagezuschlag "eine vierprozentige Rendite fix eingebaut hat", wie er sagt. Denn die Berechnung ist wie folgt: Aktuelle Grundstückskosten abzüglich eines "durchschnittlichen" Grundkostenanteils, der 1994, als das Richtwertsystem in Kraft trat, mit 17,21 Prozent der Errichtungskosten festgesetzt wurde und aktuell in Wien 317,52 Euro beträgt; das Ergebnis mal 0,33 Prozent ergibt den maximalen Lagezuschlag für die jeweilige Lage.

Die 0,33 Prozent an monatlicher Verzinsung (sie wird ja mit der Miete bezahlt) ergeben fast vier Prozent im Jahr. Dass man damals diese Rendite nicht beispielsweise abhängig vom Zinsniveau gemacht hat, hält er für einen Fehler. "Denn einen Kredit mit 1,5 Prozent aufnehmen und in eine Immobilie mit vier Prozent zu investieren – das ist natürlich sehr attraktiv, deshalb machen es viele, und dadurch steigt der Lagezuschlag immer weiter."

Keine neue Lagezuschlagskarte

Wird spannend, wie die Verfassungsrichterinnen das sehen werden. Einstweilen wird von der Stadt übrigens nun doch keine neue Lagezuschlagskarte veröffentlicht, jedenfalls vorerst, das wurde dem STANDARD vom Büro der Wohnbaustadträtin Kathrin Gáal (SPÖ) mitgeteilt. Vor ein paar Wochen war das noch geplant. Auch der elektronische "Lagezuschlagsrechner", der eine Orientierung für Mieterinnen und Mieter sein soll, wird nicht mehr mit neuen Daten upgedatet. (Martin Putschögl, 22.5.2022)