Ob und wie sich die Lage in Schanghai gerade entspannt, darüber gehen die Meinungen auseinander. Nachdem die Behörden am Mittwoch erstmals keine Neuinfektionen unter den eingeschlossenen Bewohnern verkündet hatten, wurden am Freitag drei Personen außerhalb der Quarantänegebiete positiv auf das Virus getestet.

Zuvor seien für mehr als 15 Millionen der rund 25 Millionen Einwohner Lockerungen beschlossen worden. Diese sollen weiterhin gelten, strengere Maßnahmen und Massentests seien nur für die betroffene Region geplant. Zahlreiche Bewohner der Stadt aber berichten das Gegenteil: Die Ausgangssperren seien intakt und, mehr noch, sogar Gitter und Zäune seien in den vergangenen Tagen errichtet worden.

Tatsache ist, dass die chinesische Wirtschaft durch die Lockdowns massiven Schaden genommen hat. Am Montag wurden erste Zahlen veröffentlicht, die auf nichts Gutes deuten.

Demnach ist die Industrieproduktion im Vergleich zum Vorjahresmonat um 2,9 Prozent gefallen. Am stärksten war der Rückgang in den von Lockdowns betroffenen Provinzen: Im Jangtse-Delta fiel die Produktion um 14, in der nordöstlichen Provinz Jilin um 16 Prozent. Die Einzelhandelsumsätze gingen um elf Prozent zurück.

Die strikten Corona-Maßnahmen hinterlassen deutliche Spuren: Die Industrieproduktion ist geschrumpft.
Foto: China OUT/AFP

Nach wie vor stellt sich die Frage, ob die Zahlen ihre Richtigkeit haben: Anders als in westlichen Volkswirtschaften werden volkswirtschaftliche Kennziffern nicht ergebnisoffen ermittelt, sondern werden immer in Bezug zu Zielgrößen gesetzt. Das schafft Anreize für die Verantwortlichen, die Zahlen zu frisieren.

Zahlreiche ausländische Unternehmen klagen derzeit über massive Lieferengpässe. Wichtige Güter und Bauteile erreichen die Fabriken nicht, da sich vor Schanghai und Ningbo die Containerschiffe am Meer stauen. Zudem ist der persönliche Druck auf Expats durch die Lockdowns immens. Immer mehr Unternehmen fahren deswegen ihre Investitionen zurück und überlegen sich sogar, das Land ganz zu verlassen.

"Die Stimmung ist düster", sagt Bettina Schoen-Behanzin, Vizepräsidentin der Europäischen Handelskammer. "Das Geschäftsvertrauen hat durch die erratische Lockdown-Politik in Schanghai schwer gelitten." Kammerpräsident Jörg Wuttke geht davon aus, dass sich daran bis Ende des Jahres wenig ändern wird. Tatsächlich deutet darauf auch die Ankündigung Pekings hin, die eigentlich für kommendes Jahr geplante asiatische Fußballmeisterschaft abzusagen. Derzeit nehmen die Einschränkungen in Peking zu, aber auch in der Provinz Sichuan.

Die Stimmung im Land: düster. Immer mehr Unternehmen fahren ihre Investitionen zurück und überlegen sich sogar, das Land ganz zu verlassen.
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Die Unternehmen sind derzeit unter einem sogenannten Closed-Loop-Management. Das bedeutet, dass die Arbeiter auf dem Werksgelände übernachten und dieses bis zu zwei Wochen nicht verlassen dürfen. Anschließend wird rotiert.

Auch das US-Unternehmen Tesla hat seine Pläne, die Produktion wieder voll hochzufahren, erst einmal verschoben. Eigentlich wollte Tesla von Montag an wieder täglich 2.600 Autos produzieren. Anvisiert ist nun der 23. Mai. Derzeit werden 1.200 Autos am Tag gefertigt.

Immobiliensektor schwer getroffen

Am dramatischsten aber ist die Lage im Immobiliensektor: Dort gingen die Verkäufe im Vergleich zum Vorjahresmonat um 46 Prozent zurück – der stärkste Rückgang seit 2006. Dabei war die Lage ohnehin angespannt: Die Insolvenz des zweitgrößten Immobilienkonzerns Evergrande schwelt seit vergangenem Sommer vor sich hin. Immer wieder drohen neue Pleiten und eine Kaskade. Vergangene Woche konnte der Konzern Sunac aus Tianjin eine Anleihe in Höhe von 29 Millionen US-Dollar nicht bedienen. Insgesamt hat Sunac Schulden in Höhe von 7,7 Milliarden Dollar bei ausländischen Gläubigern. Der Konzern gilt als viertgrößter seiner Art in China.

Dies und der hohe Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit – derzeit sind 18 Prozent der 16- bis 24-jährigen Chinesen ohne Job – dürfte der Regierung die größten Sorgen bereiten. (Philipp Mattheis, 20.5.2022)