"Ich bin absolut davon überzeugt, dass die Kultur und die Menschen in der Kulturbranche in der Lage sind, dafür zu sorgen, dass dieser Krieg in der Ukraine aufhört", so der Regisseur.

Foto: Komische Oper Berlin

Cannes – Der russische Regisseur Kirill Serebrennikow hat Verständnis für Stimmen, die wegen des Kriegs in der Ukraine einen Boykott russischer Kultur fordern – hält dies aber für falsch. "Ich verstehe, dass Menschen einen Boykott fordern, aber ich akzeptiere das nicht", sagte er am Donnerstag bei den Filmfestspielen in Cannes. "Was zurzeit passiert, ist sehr schmerzhaft, ist unerträglich", fügte er hinzu. Den Krieg in der Ukraine bezeichnete er als "totale Katastrophe".

Dass der Regisseur Gelder zur Finanzierung seiner Filme aus der Stiftung Kinoprime des russischen Oligarchen Roman Abramovich erhalte, verteidigte er, wie das Ö1-Morgenjournal am Freitag berichtete. Es würde sich dabei um keine Filme im Dienste der Propaganda handeln, sagt er, sondern vielmehr würden Produktionen im Arthouse-Bereich unterstützt. "Er hat wirklich viel Gutes für das russische Kulturschaffen getan", sagte Serebrennikow über Abramovich. Und forderte, dass die EU ihre Sanktionen gegen den Oligarchen aufhebe.

Gegensatz Kultur und Krieg

Aber ein Boykott russischer Kultur sei nicht der richtige Weg, denn sie sei "Luft" und "in den Wolken", also unabhängig von der derzeitigen Politik. "Das Wort "Kultur" und das Wort "Krieg" sind gegensätzlich", sagte Serebrennikow. Krieg zerstöre, Kunst interessiere sich für das Leben. Kunst sei, "wodurch sich die Menschen lebendig fühlen". Er bezog sich etwa auf die Schriftsteller Fjodor Dostojewski und Anton Tschechow. Eine Novelle von Letzterem hat Serebrennikow jüngst für das Thalia Theater in Hamburg inszeniert.

"Nein zum Krieg", hatte er am Mittwoch nach der Vorstellung seines Films "Tchaikovsky's Wife" (Tschaikowskis Frau) gerufen, mit dem der Wettbewerb um die Goldene Palme eröffnet wurde. "Wir haben den Film vor den tragischen Ereignissen gemacht", sagte Serebrennikow bei der Vorstellung seines Films. Hätte ihm jemand ein paar Tage vor Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine erzählt, dass es diesen geben werde, hätte er es nicht geglaubt, sagte er.

Unterstützung für LGBTQ-Gemeinschaft

"Ich bin absolut davon überzeugt, dass die Kultur und die Menschen in der Kulturbranche in der Lage sind, dafür zu sorgen, dass dieser Krieg in der Ukraine aufhört", so der Regisseur. "Dieses Ende wird kommen, es wird irgendwann kommen und es wird Frieden sein", fügte er, versteckt hinter seiner Sonnenbrille, hinzu.

Der 52-Jährige ist für seine gewagten Filme und seine Unterstützung für die LGBTQ-Gemeinschaft bekannt. Sein Film in Cannes erzählt die Geschichte der unglücklichen Ehe des russischen Komponisten Pjotr Tschaikowski zu seiner Frau, die er heiratete, um seine Homosexualität zu verbergen. Bereits im vergangenen Jahr kämpfte Serebrennikow um die Goldene Palme, konnte jedoch wegen eines Ausreiseverbots nicht an dem Festival teilnehmen.

Odin Biron spielt Tschaikowsky, Aljona Michailowa seine Frau. "Ich habe mich selbst vor ein paar Jahren in Russland geoutet", sagte Biron am Donnerstag. "Also war es ein logischer Schritt, an diesem Film zu arbeiten." Serebrennikow sagte, dass es um Themen gehe, die wir bis heute fühlten – Verletzlichkeit etwa und Leidenschaft. Er interessiere sich dafür, Filme über starke Charaktere zu machen und "Menschen, die hervorstechen".

"Extrem dramatische Situation"

Serebrennikow war im Juni 2020 wegen angeblicher Unterschlagung öffentlicher Gelder zu einer dreijährigen Bewährungsstrafe verurteilt worden. Nach Verbüßung der Hälfte seiner Strafe durfte er jedoch Anfang April ausreisen und lebt nun in Berlin. Das Verfahren gegen Serebrennikow war im In- und Ausland als politisch motiviert kritisiert worden, der Regisseur wies die Vorwürfe zurück. Wie fühlt es sich für ihn nun an, endlich hier zu sein? "Wäre da nicht dieser Krieg, würden wir uns alle viel besser fühlen", lautete seine Antwort. Er könne nicht glücklich sein während in der Ukraine Städte bombardiert werden. "Ich habe Freunde in der Ukraine und wir befinden uns in einer extrem dramatischen Situation."

Die Filmfestspiele in Cannes stehen dieses Jahr im Zeichen des Ukraine-Krieges. Offizielle russische Delegationen wurden seitens der Veranstalter verboten. Überraschend wurde das Event am Dienstagabend mit einer Videobotschaft des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj eröffnet. (APA, red, 20.5.2022)