Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko hat George Orwells "1984" verboten.

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Bücherverbote gehören zu Diktaturen, wenn literarische Werke mit den Grundsätzen der Regime nicht übereinstimmen oder in deren Augen aufrührerische Inhalte propagieren. Neuestes Opfer: George Orwells 1984, in dem der Autor 1949 die Dystopie eines totalitären Überwachungsstaats entwarf. In Belarus wurde das Buch nun verboten. Ausgaben davon dürfen seit Donnerstag nicht mehr verkauft werden.

Der Verleger Andrej Januschkiewitsch, der den Titel 2020 neu auf Belarussisch aufgelegt hatte, woraufhin dieser zum Bestseller wurde, wurde schon am Montag verhaftet. Die Zeitung Nascha Niva berichtete zuerst, laut Kyiv Post war die Wohnung des Verlegers durchsucht worden, 200 Exemplare des Buches sollen dabei von Vertretern der Staatssicherheit konfisziert worden sein. Laut FAZ werden weitere Titel derzeit untersucht. Januschkiewitschs Verlag Knigavka musste davor schon schließen. Autoren des Verlags sind u. a. Julia Cimafiejeva und Alherd Bacharewitsch, die 2020 als "Writers in Exile" nach Graz flohen.

Vom STANDARD auf die Entwicklungen angesprochen, erklärt Bacharewitsch, auch selbst betroffen zu sein. Im April 2021 sei die Auflage seines Romans Die Hunde Europas an der Grenze zwischen Litauen und Belarus unter dem Vorwand des Verdachts auf "Extremismus" konfisziert worden. Extremismus nenne "dieses Regime alles, was gegen Lukaschenko ist". Im vergangenen Winter sei der Roman schließlich als "staatswidrig" beurteilt worden. Das Regime habe seine Bücher aus allen staatlichen Buchhandlungen und Bibliotheken entfernt. Am Freitag sei eine fürs Wochenende in Minsk angesetzte Veranstaltung zu seinem Buch verboten worden.

Propagandistischer "Dreck"

Nicht nur sind laut Bacharewitsch zwei staatliche Vertreter in Januschkiewitschs unabhängige Buchhandlung in Minsk gekommen und hätten diesen verhört, warum er staatswidrige Bücher veröffentliche und verkaufe. Neben dem Verleger wurde auch eine Helferin, Buchbloggerin Nasta Karnackaja, verhaftet.

Überdies sei, führt Bacharewitsch aus, "in der größten staatlichen Propaganda-Zeitung" von Belarus diese Woche in einem Artikel "Dreck" über ihn und Januschkiewitsch gekippt worden. Die Hunde Europas würde darin etwa als Buch beschrieben, "das gegen den Staat ist, zu gesetzloser Machtergreifung aufruft". Laut Bacharewitschs Informationen wurde Januschkiewitsch zu zehn Tagen Haft verurteilt, Karnackaja zu 13 Tagen. "Aber was weiter wird, ist unklar" – auch, ob sie nach der Frist tatsächlich freigelassen würden.

Seit der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko nach gefälschten Wahlen im Sommer 2020 um den Machterhalt ringt, werden Proteste und Kritik in Belarus immer brutaler niedergeschlagen. Die aktuelle Zensur passt zum Vorgehen: Der jüngste Erfolg von 1984 in Belarus beruht darauf, dass den Belarussinnen und Belarussen neben der darin beschriebenen Überwachung auch die Geschichtsfälschung, Propaganda und Unterdrückung bekannt vorkommen. Die Bevölkerung kritisiert den Schritt in sozialen Netzwerken, auf die Lukaschenkos Regime bis dato wenig Einfluss hat. Schon in der Sowjetunion war 1984 verboten gewesen. (Michael Wurmitzer, 20.5.2022)