Wo sind Sie gerade? Berlin, Benin, Burkina Faso? "Alles gut, ich bin in meinem Büro in Berlin, die Baustellen laufen gerade gut, außerdem muss ich mich noch auf die Zeremonie nächste Woche vorbereiten", sagt Diébedo Francis Kéré am Beginn des Zoom-Interviews. Er mag Zoom und Telefonate, sagt er, da passiere meist Gutes. Und dann erzählt er vom Anruf der Pritzker-Preis-Direktorin Manuela Lucá-Dazio irgendwann im Februar, er war gerade in Benin, die Verbindung war schlecht, er verstand nur Wortfetzen: Pritzker, 2022, Jury, Gratulation. Er konnte es nicht fassen!

STANDARD: Viele Leute haben schon seit längerer Zeit damit spekuliert, wann der Pritzker-Preis endlich an Diébédo Francis Kéré vergeben wird. Sie auch?

Diébédo Francis Kéré: Wow! Was? Echt? Wollen Sie mich veräppeln? Emotional, würde ich sagen, habe ich die Botschaft schon ein wenig verarbeiten können. Da war alles dabei, von Lachen bis Weinen. Intellektuell kann ich es noch immer nicht fassen.

STANDARD: Was bedeutet Ihnen der Preis?

Kéré: Einerseits eine persönliche Genugtuung, andererseits eine gewaltige Anerkennung für die Arbeit, die ich mit meinen Leuten seit über 20 Jahren leiste. Zu Beginn hat man als Architekturstudent ja überhaupt keine Ahnung, was einem der Job später abverlangen wird, und geht mit einer gewissen Naivität in den Beruf hinein. Diese Naivität hat mir Tür und Tor geöffnet. Und es macht mich überglücklich, dass sich diese naive Annäherung an die Materie im Laufe der Jahre als so erfolgreich herausgestellt hat.

Foto: Urban Zintel

STANDARD: Wie sind Sie zum Bauen gekommen?

Kéré: Über viele Umwege. Schon mit sechs, sieben Jahren musste ich an den Nachmittagen nach der Schule arbeiten, um ein bisschen Geld zu verdienen. Ich hatte die Aufgabe, mit einem Eselskarren Baumaterialien anzuschaffen. Die Baustellen haben mich fasziniert. Eine weitere Prägung war, dass ich mich eines Tages gefragt habe, warum es im Klassenzimmer immer so heiß war. Wir sind unter einem Blechdach gesessen, es gab kaum Licht oder Frischluft, es war dunkel und unfassbar heiß. Ach, und dann die Schultische! Das waren Holzbretter mit Beinen, einfach zusammengenagelt, nicht einmal verschraubt, alles hat gewackelt. Die Nägel haben sich in den Stoff gebohrt und meine Hosen und Unterhosen kaputtgemacht. Ich habe nicht verstanden, warum das Leben so unbequem sein muss. Ich wollte es schöner, heller und bequemer machen.

STANDARD: Sie haben eine Tischlerausbildung gemacht.

Kéré: Ja, mit neun bin ich zu einem Tischler gekommen, der mich als Lehrling aufgenommen hat. Danach habe ich in Fada N’Gourma eine professionelle Tischler- und Mechanikerlehre absolviert. Ich wollte nie als Mechaniker arbeiten, aber ich wollte so gut mit Metall umgehen können, dass ich selbst Dächer decken kann. Ich wollte bessere Dächer machen als die, die wir in der Schule hatten.

STANDARD: Mit 20 Jahren sind Sie nach Berlin gekommen. Was war Ihr erster Eindruck?

Kéré: Nach Berlin bin ich mit einem Stipendium der Carl-Duisberg-Gesellschaft und des Deutschen Entwicklungsdienstes gekommen. Es war ein Stipendium für eine Tischlerausbildung. Mein erstes Mal außerhalb von Afrika. Dieser kontinentale Winter! Ich wusste nicht, wie ich diese Kälte überleben soll. Doch was mich wirklich schockiert hat, war die Erkenntnis, dass in einer deutschen Großstadt alle Flächen komplett versiegelt, zubetoniert und -asphaltiert sind. Nirgendwo gibt es ein Stückchen natürlicher Erde, nirgendwo ist Natur, überall ist Mensch. Das war ein Schock.

STANDARD: Obwohl Sie seit 2004 ein Büro in Berlin betreiben, bauen Sie vor allem in Burkina Faso, aber auch in Mali, Kenia, Senegal, Mosambik sowie in Benin und im Sudan. Wie schaffen Sie es, diese großen Projekte von Deutschland aus zu leiten?

Kéré: Zum einen bin ich selbst viel auf den Baustellen unterwegs, zum anderen bemühen wir uns immer sehr, vor jedem Projekt ein paar Handwerker und Fachleute vor Ort auszubilden und mit ihnen eine Art Crashkurs für bestimmte Bauweisen oder technische Details zu machen. Das funktioniert eigentlich sehr gut.

Noch in Bau: das Parlamentsgebäude in Porto-Novo, Benin.
Visualisierung: Kéré Architecture

STANDARD: Sie arbeiten oft mit lokalen Materialien wie Stein, Holz und Lehm. Gerade im Global South sind dies jedoch Baustoffe, die oft stigmatisiert sind und mit Armut konnotiert werden. Was setzen Sie dem entgegen?

Kéré: Das ist tatsächlich ein enormes Problem in vielen armen Ländern im globalen Süden. Die Elite ignoriert meist alle Logiken lokalen und regionalen Bauens und kopiert stattdessen den Westen, denn aus dem Westen – so hält sich die Legende – kommen die guten, perfekten, hoch entwickelten Dinge. Bloß achtet man leider nicht darauf, ob sich diese westlichen Dinge auch in südlichen Klimaregionen eignen. Die Vorbildwirkung dieser Elite ist leider katastrophal.

STANDARD: Wie schaffen Sie es, dass Ihre Lehmbauten dann doch realisiert werden?

Kéré: Mit Argumenten. Ich kläre die Leute auf und rechne ihnen vor, wie viel Geld, Zeit und Energie sie sparen, wenn sie so und nicht anders bauen. Es geht um Kosten, Effizienz und Langlebigkeit. Solche Faktoren versteht jeder.

STANDARD: Ihre aktuellen Projekte werden immer größer. Ich denke da nur an die Benin National Assembly in Porto-Novo. Wie gelingt es Ihnen, den Geist zu bewahren und die Idee lokalen und regionalen Handwerks auf die nächste Maßstabsebene zu transferieren?

Kéré: Das ist keine leichte Aufgabe! Der Maßstabssprung von einer lokalen, räumlich überschaubaren Größe auf eine politische, in gewisser Weise internationale Ebene braucht ein unglaubliches Transformationsmoment – und auch symbolische Gesten. Wir bezeichnen das Projekt nicht als National Assembly, sondern als "L’arbre à palabres", als Palaverbaum. Man kennt den Palaverbaum ja als traditionellen Versammlungsort, in dessen Schatten sich die Menschen über Politik, Gesellschaft und das Zusammenleben im Dorf austauschen. Das Parlamentsgebäude ist nichts anderes, bloß größer. Außerdem wollen wir für die Böden im ganzen Haus Steine aus Steinbrüchen in ganz Benin zusammenzutragen. Auch das ist ein Beitrag zu einer lokalen, regionalen Ökonomie.

STANDARD: Haben Sie einen Wunsch für die Zukunft?

Kéré: Natürlich! Ich wünsche mir, dass ich fit bleibe, weiterhin inneren Frieden finde und mir meine Kraft, Energie und Inspiration behalte, um Projekte zu realisieren, die die Menschen glücklich machen.

STANDARD: Der Pritzker-Preis ist mit 100.000 US-Dollar dotiert. Was werden Sie damit tun?

Kéré: Ganz ehrlich? Der Pritzker-Preis ist eine enorme Sache für mich und meine gesamte Familie. Meine Mutter hat mich immer schon gepusht, ermuntert und zur Schule geschickt, und auch heute noch verfolgt sie die Arbeit ihres Sohnes mit Stolz und Interesse mit. Auch einige meiner Freunde und Geschwister freuen sich mit mir mit. Ich lade sie alle zur Preisverleihung nach London ein – Visumanträge, Flugkosten, Unterbringung, einfach alles. Wir sind eine große Familie, da bleibt nicht mehr viel übrig.

STANDARD: Was machen Sie mit dem Rest?

Kéré: Mein ganzes Leben besteht aus Effizienz, sinnstiftender Arbeit und sorgfältigem Umgang mit Geld. Jetzt will ich feiern und in meinem Dorf in Burkina Faso ein großes Fest schmeißen. (Wojciech Czaja, 22.05.2022)