Der Jurist und Mediator Ulrich Wanderer erklärt im Gastblog, wie man abseits von Gerichten Nachbarschaftskonflikte lösen kann.

Leider kennt man es allzu oft aus eigener Erfahrung: Die lange leerstehende Wohnung wird neu vermietet, vielleicht auch noch schlecht saniert, und schon wird die zuvor als Ruheoase geltende Wohnung zur Lärmhölle. Springende Kinder, lautes Fernsehen und der Ton des Weckers, der mit aufdringlicher Regelmäßigkeit im sechs Uhr morgens den täglichen Radau einläutet, während man selber eigentlich noch bis sieben Uhr schlafen hätte können. Welche Wege gibt es nun, um endlich wieder Ruhe zu finden, um vielleicht sogar den Nachbarn als mehr als nur einen Störfaktor zu erleben?

Polizei, Gericht, Schlichtungsstellen oder Mediation. Was hilft bei Nachbarschaftskonflikten?
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Erste Anlaufstelle: Polizei

Als gelernter Österreicher ist oft die Polizei die erste Anlaufstelle, wenn nach 22 Uhr noch Lärm aus der Nachbarschaft dringt. Erscheinen die Beamten dann nach wenigen Minuten, so wird erst festgestellt, ob die Lärmbelästigung noch besteht, daraufhin statten die Polizisten den Nachbarn einen Besuch ab und weisen auf die Lärmbelästigung hin. Für kurze Zeit, möglicherweise für den betreffenden Abend kommt es so zu einer Besserung der Situation für den lärmgeplagten Nachbarn, doch das nachbarschaftliche Klima ist längerfristig gestört. Erfahrungsgemäß bietet sich also die Zuhilfenahme der Polizei dann an, wenn – aus welchem Grund auch immer – weniger Wert auf eine längerfristige gute Nachbarschaft gelegt wird, weil beispielsweise der Kontakt nur selten besteht.

Die Sicht des Anwalts im Konfliktfall

Sollte die Nachbarschaft schon dermaßen zerrüttet sein, dass keine Wiederherstellung einer positiv besetzen Freundschaft zu erwarten ist, so kann die Einschaltung der Polizei auch dahingehend sinnvoll sein, dass Beweise für die Lärmerregung hinsichtlich eines Gerichtsverfahrens geschaffen werden. Ist man als Mieter rechtsschutzversichert oder Mitglied einer Mieterinteressensvertretung, so wäre der Gang zum Anwalt und fortan zu Gericht kein finanzielles Risiko. In einem Interview formuliert Rechtsanwalt Alexander Illedits für das Magazin "Trend" einige Aussagen, die die Erfolgsaussichten einer entsprechenden Klage beschreiben: Es gelte zwar grundsätzlich das Rücksichtnahmegebot der ABGB, doch schränkten oft die Tatsachen die unmittelbare Wirkung einer Verwaltungs- oder Gerichtsstrafe ein.

Strafen und Klagen

So kann es bis zu eineinhalb Jahren dauern, bis im Verwaltungsstrafverfahren eine Geldstrafe für eine Lärmbelästigung verhängt wird, so der Anwalt. Während der Ruhestörer bis dahin keinerlei Konsequenzen für sein Verhalten spürt, steigt der Leidensdruck des Beschwerdeführers weiterhin. Kommt es nach 18 Monaten schlussendlich zu einer Sanktion, so wird dies wiederum seitens des Nachbarn als Angriff empfunden und somit die Chance auf eine friedliche Nachbarschaft begraben. Ebenso kann zwar mit einer "Lärmstörungsunterlassungsklage" gerichtlich gegen die akustische Belästigung vorgegangen werden, wie der Anwalt erwähnt, doch zeigt die Erfahrung, dass die Wirkung der Klage auch nur begrenzt anhält. Darüber hinaus wäre eine Abweisung aus welchem Grund auch immer eine Bestätigung des Ruhestörers und somit ein Persilschein für eine Fortführung der Belästigung.

Noch frustrierender scheint der Kampf gegen Geruchsbelästigungen durch Grillen im Garten oder Tabakkonsum im Freien. Hier kommt es zwar auch auf die Einzelfallgestaltung an, doch spricht auch der Immobilienanwalt von geringen Aussichten. Dass es bei einer Lärmstörung nicht auf das subjektive Lärmempfinden, sondern vielmehr auf die objektiven Gegebenheiten und die Ortsüblichkeit ankommt, mag dem Einzelnen – sei er nun nachtdienstgeplagter Arzt, Studentin unmittelbar vor der Diplomprüfung oder Jobsuchende vor dem erfolgversprechenden Vorstellungsgespräch – ebenso wenig helfen. Fraglos ist die Möglichkeit von Klagsdrohungen grundsätzlich zu begrüßen, um sich im Falle eines Rechtsbruches als ultima ratio an das Gericht wenden zu können. Doch oft sind andere Wege mit geringerem Aufwand vorher möglich.

Schlichtungsstelle

Um die Gerichte zu entlasten, wurde in Angelegenheiten des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes und des Mietrechtsgesetzes in einigen Städten die Schlichtungsstelle dem Bezirksgericht vorgeschaltet. Anträge des Mieters sind vorerst dort einzubringen, eine Entscheidung der Schlichtungsstelle muss jedoch nicht anerkannt werden, sondern kann weiter zu Gericht abgezogen werden und mündet nun weiter in ein ordentliches Verfahren. Übliche Anträge an die Schlichtungsstelle wären: Durchführung von Wartungsarbeiten, Mietzins-, Betriebskostenüberprüfung, sowie Rückforderung von illegalen Ablösen und insbesondere auch Klagen aufgrund ausstehender Mietzinszahlungen. Hier kann Mediation sicherlich auch gute Dienste leisten, doch hat sich die Schlichtungsstelle als Anlaufstelle bewährt und ist erfahrungsgemäß erstes Mittel der Wahl. Sollten sich beide Parteien jedoch auf den Gang zur Mediation einigen, so steht dieser Weg offen.

Interessensvertretungen der Mieter

Die Mietervereinigung beziehungsweise der Mieterschutzverband leistet im Gegensatz dazu zwar Beratungsarbeit und bietet seinen Mitgliedern auch rechtliche Vertretung im Streitfalle, doch dienen beide Institutionen nicht als Instanzen der Streitschlichtung zwischen Mietern oder Mieter und Vermieter.

Hausverwaltungen

Hausverwaltungen hingegen spielen sehr wohl manchmal eine Rolle in der konsensualen Beilegung von Bewohnerkonflikten. Insbesondere jene Hausverwaltungen, die sich neben der reinen Immobilienentwicklung beziehungsweise -verwaltung auch dem sozialen Frieden innerhalb der Wohnhausanlage verschrieben haben. Sie sehen sich entweder direkt oder auch über die im Konfliktfall herangezogenen Mediatoren als Vermittler zugunsten eines konsensorientierten Miteinanders.

Hausvertrauensleute

Die Institution der "Hausvertrauensleute" ist zwar in vielen Häusern üblich, wenngleich aber gesetzlich nicht vorgesehen. Bei ihnen können die Miteigentümer ihre Bedenken und Anliegen deponieren, sie können, so es eine dahingehende Einigung gibt, dann als Ansprechpartner für die Hausverwaltung dienen. Mangels gesetzlicher Regelung haben die Hausvertrauensleute keinerlei Entscheidungsgewalt und können daher nur informell als Anlaufstellen für hausinterne Konflikte dienen. Gerade diese Ungezwungenheit ermöglicht jedoch oft unbürokratische und persönliche Lösungen, welche den Hausfrieden langfristig eher sichern können als der Gang zu Gericht.

Nachbarschaftsmediation

Mediation im Bereich der Nachbarschaft bietet die Möglichkeit, sich zeitnah mit den Bedürfnissen der Nachbarn auseinanderzusetzen und so unmittelbar im zeitlichen Kontext auf die als störend empfundenen Ereignisse zu reagieren. Kann die Anfrage zeitnah beantwortet werden, hat dies den Vorteil, dass das anlassgebende Ereignis beiden Seiten noch in unverklärter Erinnerung ist. Im Gegensatz zur teilweise erst Monate später angesetzten Gerichtsverhandlung bietet Mediation die Möglichkeit, unmittelbar auf Geschehnisse zu reagieren.

Darüber hinaus ist es gerade das Wesen der Mediation, allen am Konflikt beteiligten Personen mit Wertschätzung und Respekt zu begegnen und so ein konstruktives und offenes Gesprächsklima zu ermöglichen. Praktisch jede Win-lose-Lösung (oder gar Lose-lose) eines Nachbarschaftskonfliktes hätte eine langfristige Verschlechterung des Nachbarschaftsklimas zur Folge, weswegen eine nachhaltige Konfliktlösungsstrategie den Fokus auf die Bedürfnisse beider Parteien und auch den Einfluss beider auf das Ergebnis legen sollte. Auf diesem Wege finden sich beide auch in der Lösung wieder und können zu einer positiv besetzten Nachbarschaft zurückkehren.

Mediation unterstützt beim "do it yourself"

Im Gegensatz zu jenen eher obrigkeitsorientierten Ansätzen der Konfliktreglung durch Gericht und/oder Polizei hat sich die Nachbarschaftsmediation in jenen Konfliktfällen bewährt, in denen die Nachbarn auch nach einer Entscheidung wieder zurück zu einem gütlichen Miteinander finden wollen oder auch müssen. Nachdem in der Mediation die Verantwortung nicht an eine übergeordnete Instanz delegiert wird, sondern der Mediator rein als allparteilicher Mittler fungiert, welcher die Bedürfnisse der Parteien herausstreicht, erarbeiten diese ihre eigene Lösung für ihren rein persönlichen Konflikt. Die Aussichten einer solchen Mediation sind dabei umso positiver, solange einerseits keine außenstehenden Personen in Koalitionen einbezogen wurden. Mit entsprechender Kreativität wird in einer Vielzahl der Fälle¹ eine konsensorientierte Einigung erzielt, welche allen Parteien den gewünschten Frieden in den eigenen vier Wänden wiederherzustellen vermag.

Beispiele für Nachbarschaftsmediation

Nachdem sich ein Nachbar aufgrund als störend empfundener "Trampelei" und auch diverser renovierungsbedingter Geräusche, die durch Schlagbohrer, Hammer oder vergleichbare Gerätschaften verursacht wurden, an die Hausverwaltung gewandt hatte, schaltete diese den Mediator ein. Relativ schnell konnte ein Termin zu einer gemeinsamen Mediation in der betreffenden Wohnanlage vereinbart werden, sodass der Mediator beide Parteien im weitläufigen Park der Anlage traf. Nachdem der Ton beider Parteien bereits im Rahmen der Vorgespräche auffallend freundlich und auch in der Wortwahl bezüglich der jeweils anderen Partei durchaus wertschätzend gewesen war, bedankte sich der Mediator zu Beginn dafür und schuf so eine möglichst positive Grundstimmung.

Auf Seite jener Partei, die die Geräusche offenbar verursacht hatte, waren Frau und Herr X erschienen, was für den anderen Nachbarn, den ursprünglichen Beschwerdeführer, kein Problem darstellte. Bald kam die Sanierung des Laminatbodens zur Sprache, welche als Ursache für die mangelhafte Trittschalldämmung verdächtigt wurde. Beide Parteien vereinbarten daraufhin, dass der Mediator gebeten wurde, mit der Hausverwaltung die Möglichkeit einer Wohnungsbegehung zu besprechen. Beide Parteien hatten somit den Blick auf die Klärung des Problems gerichtet und zogen ab sofort am gleichen Strang – sogar in die gleiche Richtung. Auch die Idee von gedämpften Hausschuhen wurde besprochen, doch bot die Möglichkeit, gemeinsam an einer Lösung zu arbeiten, neben der konstruktiven Idee an sich auch noch beträchtliches Potenzial, die Nachbarschaft der Parteien zu verbessern. Alleine das Verständnis des anderen, der durch das mediierte Gespräch nun nicht mehr ausschließlich als Lärmverursacher beziehungsweise als nervender Einschränker der persönlichen Lebensqualität, sondern als Mensch mit Lach- und Sorgenfalten wahrgenommen wurde, sollte zu einer nachhaltigen Verbesserung der Nachbarschaft führen.

Genauso individuell wie jeder einzelne Nachbarschaftskonflikt sind auch die einzelnen Lösungsansätze. Während in manchen Fällen eher obrigkeitliches Einschreiten angebracht scheint, bietet die Mediation die Möglichkeit, eine selbstbestimmte Lösung für die eigene Lebensqualität zu finden. (Ulrich Wanderer, 31.5.2022)