Die Zeitschrift "Tagebuch" stoppt ein Podcastprojekt.

Foto: Tagebuch / Cover-Illustrationen Aelfleda Clackson

Wien – Die Zeitschrift "Tagebuch" von Samuel Stuhlpfarrer hat einen geplanten Polit-Podcast nach einem offenen Protestbrief der Jüdischen Österreichischen Hochschülerinnen*, heftigen Reaktionen auf Twitter und Vorwegverdächtigungen des Antisemitismus abgesagt, schreibt Medieninhaber Stuhlpfarrer auf tagebuch.at.

In dem Protestbrief heißt es: "Damit bietet 'Tagebuch' antisemitischer Agitation eine Plattform und normalisiert israelbezogenen Antisemitismus innerhalb der politischen Linken." Und: "Während bei anderen Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit eine Nulltoleranz-Politik gefordert und die Wichtigkeit von Betroffenenperspektiven betont wird, scheint das für uns Juden und Jüdinnen nicht zu gelten."

"Die Aufregung um den Doch-nicht-Launch dieses Podcasts wirft die Frage nach der Deutungshoheit über den Begriff des Antisemitismus erneut auf", schreibt Stuhlpfarrer, obwohl man sie eigentlich nach "drei Jahrzehnten innerlinker Debatte geklärt sehen könnte".

Den Podcast planten Nicole Schöndorfer und Kerem Schamberger, Lukas Oberndorfer und Natascha Strobl gemeinsam. Die Kritik an dem Projekt galt laut Stuhlpfarrer vor allem Schöndorfer und Schamberger, die wegen ihrer Sympathien für die Sache der Palästinenser und die Boykottkampagne gegen Israel (BDS) des Antisemitismus verdächtig seien. "Tagebuch" würde antisemitischer Agitation eine Plattform bieten wollen.

Rückzug vom Projekt

Stuhlpfarrer dazu: "Es wird nicht weiter überraschen, dass wir das nicht beabsichtigt hatten. Der Podcast von Lukas Oberndorfer, Kerem Schamberger, Nicole Schöndorfer und Natascha Strobl sollte sich analytisch allen Herrschaftsverhältnissen (Klasse, race, Natur, Geschlecht) widmen und zugleich die Konturen einer solidarischen Zukunft zeichnen. Am Bedarf an einem solchen Format besteht für uns übrigens nach wie vor kein Zweifel." Die vier geplanten Hosts hätten gemeinsam mit dem Medium beschlossen, von dem Projekt abzusehen.

Für "Tagebuch" gelte, zitiert Stuhlpfarrer den Historiker Enzo Traverso abschließend: "Der Kampf gegen den Antisemitismus ist 'Teil der DNA' der Linken, er gehört 'zu ihrem historischen, politischen und kulturellen Hintergrund'. Eine solche DNA verdient einen sorgsamen Umgang: Analyseschärfe und Geschichtsbewusstsein in der Benennung von Antisemitismus statt einer leichtfertigen Funktionalisierung der Vergangenheit für heutige politische Agenden." (red, 20.5.2022)