"Old World" spart nicht mit romantischen Blicken in die Antike.

Globalstrategie ist ein Genre für sich. Manch einer kann hunderte Stunden in Europa Universalis IV oder Civilization VI stecken und die Zeit seines Lebens haben, während es für Außenstehende beinahe eigenartig erscheint, wie man denn nur so gebannt auf eine einzige Weltkarte starren kann. Das Genre ist bei weitem nicht das einsteigerfreundlichste – dennoch lohnt es sich, durch die teils frustrierend verwirrenden Tutorials durchzustapfen, um am Ende mit grandiosem Gameplay belohnt zu werden.

Sid Meiers Civilization Reihe ist wohl der unangefochtene Platzhirsch innerhalb dieses Mikrokosmos. Trotzdem versuchen immer wieder neue Titel, die Krone für sich zu beanspruchen. Humankind trumpfte letztes Jahr mit interessanten Zugängen auf, und auch Old World darf sich über eine wachsende Fangemeinde freuen. Letzteres bekam kürzlich ein DLC spendiert. Grund genug, sich den Strategieklotz aus dem Hause Mohawk Games mal genauer anzusehen.

Vertraut, aber neu

Wer in seinem Leben schon mal eine Partie Civilization hinter sich gebracht hat, wird sich in Old World schnell zu Hause fühlen. Die ersten Runden fühlen sich schon beinahe lächerlich vertraut an. Nachdem man sich für eine der sieben Fraktionen entschieden hat, wird man in eine wahlweise zufallsgenerierte Welt geworfen und gründet die erste Siedlung. Nun gilt es, mit Spähern die nähere Umgebung zu erkunden, mit Bauarbeitern das umliegende Land zu kultivieren, um Religion und Wissenschaft florieren zu lassen und Technologien zu erforschen.

So weit, so Civ.

Alte Welt

Ein nennenswerter Unterschied zum Genrekonkurrenten sind die Epochen. Die gibt’s in Old World nämlich nicht. Wie der Name des Spieles schon verraten mag, bleibt Old World alt. Sehr alt. Antik, um genau zu sein. Dementsprechend ist auch die Auswahl an Fraktionen, deren Geschick man steuert, sorgsam sortiert. Unter anderem darf man dem alten Griechenland, Rom oder auch Karthago zu Ruhm und Ehre verhelfen.

Das Römische Reich ist eine von sieben spielbaren Fraktionen des Hauptspiels.

Das mag Fans von taktischen Atomsprengköpfen vielleicht missfallen; Geschichts-Nerds kommen aber voll auf ihre Kosten. Die Atmosphäre der Antike ist glaubhaft eingefangen, die jeweiligen Artworks sind liebevoll gestaltet, und auch wenn sich der Soundtrack manchmal verdächtig oft wiederholt, ist auch die Klangkulisse stimmig. Im Vergleich zu den Dutzenden spielbaren Nationen in Civilization oder der unendlichen Auswahl in Crusader Kings 3 wirken Old Worlds sieben Fraktionen natürlich mickrig, mindern den Wiederspielwert allerdings nicht stark.

Sid Meier trifft auf Paradox

Apropos Crusader Kings: Wenn ich Old World beschreiben müsste, würde ich es als raffinierten Mix zwischen ebenjenem Globalstrategie-Monster aus dem Hause Paradox und Civilization bezeichnen. So wählt man für seine Fraktion einen Anführer aus – der ist allerdings nicht unsterblich. Jede abgeschlossene Runde in Old World zählt als ein vergangenes Jahr. Nach einigen Jahren ist unser liebgewonnener Imperator alt, gebrechlich und muss die Krone an einen Erben weitergeben.

Mohawk Games

Jetzt betritt Old Worlds Rollenspielfokus die Bühne. Ähnlich wie in Crusader Kings steuert man auch hier die Geschicke einer ganzen Herrscherdynastie. An der Seite des Spielers sind stets Ehepartner und Ministerinnen, deren Meinung über den Spieler gewisse Auswirkungen auf das Reich haben. Ähnlich verhält es sich mit den Spielererben. Durch gewisse Aktionen können Spieler den Nachwuchs beeinflussen und ihm so gewisse Attribute zukommen lassen. Lasst man den Nachfahren Diplomatie studieren und ihn zum außenpolitischen Genie heranwachsen, oder schickt man ihn auf die Militärakademie, damit aus ihm ein fähiger Feldherr wird? Diese Dynamiken addieren Abwechslung und einen weiteren zu bedenkenden Aspekt bei der Verwaltung des eigenen Imperiums.

Eine wilde Zwischensequenz erscheint

Old World geht in Sachen "individuelles Spieleerlebnis" noch einen Schritt weiter. Mittlerweile gibt es über 3.000 unterschiedliche Ereignisse, die den Spieler zufallsgeneriert vor Entscheidungen stellen. Beispielsweise grassiert eine mysteriöse Seuche unter den Getreidebauern, Söldner versuchen die Erben zu ermorden, oder die Gattin wagt einen Seitensprung mit dem Prinzen des verfeindeten Imperiums.

Eventfenster wie diese werden dem Spieler beinahe jede Runde entgegenspringen.

Das Spiel stellt in diesen Situationen verschiedene Lösungsoptionen vor. Je nachdem, wie man sich entscheidet, verändert sich das Spielgeschehen. Manchmal sind die Auswirkungen von kleiner Natur, wie beispielsweise ein Bevölkerungswachstum. An anderen Stellen triggern gewisse Entscheidungen ganze Nebenstränge an weiteren Ereignissen und erzählen eine kleine Geschichte.

Wer Textboxen hasst, kann die verschiedenen Geschichten auch einfach wegdrücken und sich auf die jeweiligen Auswirkungen konzentrieren; dabei entgeht einem allerdings der immersive Charakter, der Old World durchaus innewohnt: Durch die zufällig ausgewählten und dynamischen Ereignisse bekommt das gespielte Herrscherhaus etwas mehr Charakter. Die eigene Dynastie ist nicht nur eine Ansammlung an Statuswerten, sondern von Persönlichkeiten mit eigenen Zielen, Wünschen und Fehlern.

Familienangelegenheit

Mohawk Games hat seiner Strategieperle außerdem noch ein Stück Game of Thrones beigemischt. Jedes der spielbaren Königreiche ist Heimat von jeweils vier unterschiedlichen Adelshäusern. Jedes Mal, wenn eine Stadt gegründet wird, muss der Spieler einer Familie die Kontrolle über diese Stadt anvertrauen. Jede Sippe hat eigene Vor- und Nachteile. So ist eine Hafenstadt eventuell besser in den Händen einer Handelsfamilie aufgehoben als in denen der religiösen Eiferer.

Bei all dem Ränkespiel sollte man allerdings darauf achten, keine Familie zu heftig zu verärgern. Zufriedene Vasallen sind immerhin ein Garant für Wohlstand und Macht.

Victoria nostra!

Eine der erfrischenden Unterschiede zu altbekannten Genrekollegen stellen jedoch die Siegerbedingungen dar. Durch die bereits erwähnten Ereignisse, Entdeckungen auf der Weltkarte oder einfach Zufall bekommt der Spieler sogenannte "Bestrebungen", die es zu erfüllen gilt.

Anfangs beschränken sie sich auf einfache Aufgaben wie "Baue drei Städte". Im Laufe der Partie werden diese jedoch immer kniffliger. Welcher Spieler als erstes zehn dieser "Bestrebungen" erfüllt, gewinnt die Runde.

Als Genreveteran lässt sich das Kampfsystem schnell meistern.

Der Kniff ist, dass die jeweiligen Siegbedingungen von Spieler zu Spieler variieren sowie von Partie zu Partie wechseln. Kein Spieler hat die gleichen Ziele, und wer was wann erreichen muss, entscheidet das Spiel sowohl willkürlich als auch anhand des jeweiligen Spielstils. Vor allem im Multiplayer entstehen so überaus interessante Dynamiken und zwingen einen schon beinahe jede Runde, eine neue Strategie abzuwägen. Eine großartige Idee.

Armee der Dummen

Ein großer Kritikpunkt an vielen Globalstrategietiteln ist die KI. Selten bekommt es ein Genrevertreter hin, ausgewogene Schwierigkeitsgrade und intelligent agierende Gegner aufs virtuelle Schlachtfeld zu rufen. Die KI in Old World überrascht allerdings. Selbst auf mittlerem Schwierigkeitsgrad agiert diese – vor allem in Schlachten – überlegt. Gebirge, Flüsse und verschiedene Einheitstypen wollen gut ausgewogen und zum eigenen Vorteil verwendet werden.

Das Kampfsystem ähnelt dem von Civilization stark, setzt an richtigen Punkten jedoch eigene Akzente. So müssen eroberte Städte erst ein paar Jahre (also Züge) von eigenen Streitkräften gehalten werden, ehe man sich entscheiden kann, sie niederzubrennen oder doch in das eigene Imperium einzugliedern.

Spaß alleine

Mit Heroes of the Aegean liefert Mohawk Games nun das erste DLC für Old World. Das rund zehn Euro teure Zusatzpaket beinhaltet sechs eigenständige Single-Player-Szenarien, die durchaus überzeugen können, sowie eine neue Fraktion – die Hethiter. Wie vielleicht schon mitbekommen, bietet Old World die perfekte Steilvorlage, um ebensolche Einzelspielerszenarien unterhaltsam zu erzählen. So darf der Spieler beispielsweise Athen gegen die persische Armee verteidigen oder als Alexander der Große das makedonische Reich auf seinem Expansionskurs begleiten.

Etwas Mystik darf in der Antike nicht fehlen. Die Ereignisse fügen sich gut ins Setting ein.

Die auf die Szenarien eigens erstellten Ereignisse gestalten die jeweiligen Abenteuer glaubhaft und unterhaltsam. Vor allem Freunde der griechischen Mythologie kommen hier voll auf ihre Kosten. Generell spart Old World nicht mit romantischen Blicken in die Antike, samt Sagen, Legenden und Anspielungen auf historische Begebenheiten. Wer sich auch nur marginal für altertümliche Geschichte interessiert, bekommt hier einiges geboten.

Wer Old World übrigens in den ersten zwei Wochen nach Release des DLC auf Steam kauft, bekommt Heroes of the Aegean geschenkt. Zusätzlich wird im Juni noch ein großer Kritikpunkt des Spiels gefixt. Bis dato war Old World nämlich ausschließlich in englischer Sprachausgabe erhältlich. Nächsten Monat sollen dann Japanisch, Chinesisch, Deutsch, Russisch, Spanisch und Französisch nachgepatcht werden.

Fazit

Old World hat mich mit seinen frischen Ansätzen, neuen Ideen und dem Mix aus Rollenspiel und Strategie überzeugt. Wem Civilization zu unpersönlich und Paradox-Spiele zu undurchschaubar sind, der könnte hier glücklich werden. Einige Schönheitsfehler bestehen zwar noch, und auch das Tutorial könnte aufregender oder zumindest vollständiger gestaltet werden. Lässt man sich allerdings auf den Titel ein, liest fleißig Textboxen und kämpft sich durch die ersten etwas holprigen und verwirrenden Stunden, wird man mit qualitativem 4X-Gameplay belohnt.

Wer Globalstrategie mag, sollte Old World jedenfalls eine Chance geben. Aufgrund der stets wechselnden Ereignisse und Siegbedingungen wittere ich Potenzial für mehrere hundert Stunden Spielspaß. (Maximilian Leschanz, 27.5.2022)