Mireille Ngosso: "Wir haben einen Extraordner für Hassnachrichten"

Mireille Ngosso (SPÖ) ist Landtagsabgeordnete in Wien. Zuvor war sie stellvertretende Bezirksvorsteherin von Wien Innere Stadt (editiert).
Foto: Fotoreisen | www.alexandermülle

"Als ich mit der Politik begonnen habe, habe ich mir geschworen, dass ich keine Hassnachrichten oder -kommentare lesen werde. Kurz bevor ich meine Kandidatur bekanntgegeben habe, ist eine Kollegin, die ursprünglich aus dem Irak stammt, Bezirksvorsteherin geworden – da ist eine Hasswelle über sie losgebrochen.

Ich habe dann auch meiner Familie gesagt: Bitte lest so etwas nicht, schützen wir uns davor. Das habe ich sehr lange durchgezogen. Aber man kann sich nicht gegen alles abschotten. Der Hass erreicht mich zum Beispiel durch die sozialen Medien – wenn ich etwas poste oder wenn ich irgendwo ein Interview gebe, und unter dem Posting sammeln sich dann die Hasskommentare. Sehr schlimm sind für mich diese persönlichen E-Mails. Meine Assistentin versucht da viel abzufedern. Wir haben einen Extraordner für Hassnachrichten.

Kritik stört mich nicht. Wenn inhaltliche Kritik geübt wird, tritt man ja in eine Kommunikation. Das finde ich wichtig und gut. Was ich nicht akzeptieren kann, sind Angriffe auf meine Person, meine Hautfarbe oder mein Geschlecht. Das ist ja intersektional: Ich werde angegriffen aufgrund meiner Hautfarbe, aber auch weil ich eine Frau bin.

Am Anfang hatte ich eigentlich nicht vor, den Bereich Diskriminierung so prominent anzusprechen. Aber dann habe ich gemerkt, dass das in meiner Position nicht geht. Ich habe von Beginn an auch so viel positive Resonanz bekommen, von Menschen, die kaum glauben können, dass eine Schwarze Frau in der Politik Erfolg hat. Damit habe ich aber auch Verantwortung übernommen. Und Verantwortung heißt manchmal, Themen anzusprechen, von denen weiß, dass sie unangenehm sind. Mit der Zeit habe ich dann auch meinen Mut zusammengenommen und immer mehr über das Thema Diskriminierung gesprochen. Das gefällt vielen in der weißen Mehrheitsgesellschaft nicht. Die empfinden das als störend.

Nachrichten, die ich sehr oft bekomme, sind: "Geh doch in dein eigenes Land zurück", "Du gehörst abgedreht!" oder "Was machst du hier, du Affe?" Es vergeht keine Woche, in der ich keine Hass-E-Mail bekomme. Und so einmal im Monat ist auch meine Familie dabei, teils mit ganz konkreten Drohungen. Das bringe ich dann zur Anzeige. Vor allem wenn die E-Mails so einen hetzerischen Ton haben, dass ich mich wirklich unwohl fühle. Das rate ich jedem, der von so etwas betroffen ist.

Es ist schlimm, vor allem wenn es immer und immer wieder kommt. Es verunsichert einen, es trifft einen, es tut weh. Ich würde lügen, wenn ich das verneinen würde. Aber ich lass mich davon nicht beirren. Ich sehe mich genauso als Teil dieser Gesellschaft, und ich möchte auch, dass wir diese Bewegung gemeinsam gehen. Und es gibt ja auch sehr viele Menschen, die sehr solidarisch sind. Auch in der weißen Mehrheitsgesellschaft. Ich bin so dankbar für die andere, die solidarische Seite. Das ist ja auch Österreich."


Sigrid Maurer: "Es ist in Ordnung, Angst zu haben"

Sigrid Maurer (Grüne) ist Klubobfrau der Grünen im Nationalrat.
Foto: Heribert Corn www.corn.at

"Heute erreicht mich der Hass nur mehr selten direkt. Ich habe einfach keine Zeit dafür. Mein Tagesablauf lässt es nicht zu, das alles zu lesen, Social Media und E-Mails werden von meinem Team bearbeitet. Hin und wieder kriege ich das natürlich schon noch mit. Aber das ist ein Grundrauschen, das mich seit so vielen Jahren begleitet. Es beschäftigt mich wirklich null.

Ich habe früh lernen müssen, damit umzugehen. Begonnen hat es eigentlich mit meinem ersten bundesweiten Interview im STANDARD, als ich Spitzenkandidatin der Gras für die ÖH-Wahl war. Das Forum darunter war nicht schön. Das war da aber noch eher Häme als gewalttätiger Hass. Der kam später, und man kriegt ihn auch eher per E-Mail, Messenger oder als Posting.

Je größer meine Bekanntheit wurde, desto mehr habe ich abbekommen. Ganz schlimm war es, als ich Peter Pilz kritisiert habe. Und mit der Flüchtlingssituation 2015 ist es noch einmal deutlich härter geworden. Das berichten auch viele andere Betroffene. Da kam dann häufig "20 Afghanen sollen dich gruppenvergewaltigen" oder Ähnliches. Da lässt sich dann das rassistische gut mit dem sexistischen Motiv verbinden. Ich habe auch immer gemerkt, dass die Nachrichten mehr wurden, nachdem ich im Fernsehen aufgetreten war. Mein Büro sammelt die schlimmsten Dinge und prüft, ob etwas zur Anzeige gebracht werden sollte. Aber das tun wir nur sehr spärlich.

Es ist für mich eine Frage des professionellen Zugangs zu Politik. Man muss verstehen – und das betrifft nicht nur mich als Politikerin, sondern alle Frauen, die solchen Hass abbekommen –, dass sich das ja nicht gegen meine Person richtet. Das ist kein Kommentar zu meinem Verhalten, sondern eine Projektion. Man ist Projektionsfläche. Es ist wichtig, klar trennen zu können, was betrifft mich als Person und was betrifft mich in meiner Rolle oder Funktion als Politikerin. Ich kann da die Grenzen gut ziehen. Deshalb beschäftigt mich auch der tätliche Angriff auf mich vor ein paar Wochen nicht so sehr.

Man soll mich hier bitte nicht falsch verstehen: Ich habe in allen meinen Vorträgen immer gesagt, dass es nicht den einen richtigen Umgang damit gibt. Es ist okay, Angst zu haben. Es ist legitim, traurig zu sein. Es ist vollkommen in Ordnung, Dinge zur Anzeige zu bringen. Jeder muss seinen Weg finden, so etwas zu verarbeiten."


Stephanie Krisper: "Ich lese die Kommentare nicht mehr selbst"

Stephanie Krisper (Neos) ist Nationalratsgeordnete und Fraktionsführerin im ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss.
Foto: APA / Helmut Fohringer

"Ich habe gelernt, mit den Reaktionen zu leben. Auch gut zu leben. Bevor ich in die Politik gegangen bin, war ich im Menschenrechtsbereich tätig. Und da ist man ja auch nicht gewohnt, besonders viel Zuspruch von jenen aufseiten der Macht zu erfahren. Das ist auch nicht mein Ziel. Daher schweige ich nicht und verbiege mich auch nicht. Vorsichtiger bin ich mit den Jahren nicht geworden: Ich hab meine Worte schon immer sorgsam gewählt. Ich halte auch nichts davon, das nicht zu tun. Politiker tragen sie für ihre Worte Verantwortung.

Auf Twitter ist es vor allem der U-Ausschuss, der Emotionen hervorruft. Auf Facebook passiert es eher, wenn ich zu Rechten von Asylwerbern poste – da melden sich gleich die Rechten. Dann wird es intensiv und auch sehr tief. Ich lese die Kommentare nicht mehr selbst, versuche, gesund zu filtern.

Briefe und E-Mails lese ich hingegen immer und beantworte auch alles, so unfreundlich kann es gar nicht sein. Bei inhaltlichen Fragen bitte ich jemanden aus meinem Team, einen Antwortentwurf zu schreiben. Den überarbeite ich und schicke ihn selbst weg. So lese ich alles, was mir persönlich geschickt wird, und antworte, verliere aber auch nicht zu viel Zeit und Energie.

Von den Reaktionen bekomme ich das ganze Programm: Mal bin ich zu schön angezogen und verbrate Steuergeld, mal zu schlecht angezogen und sollte mehr auf mich schauen. Oder ich hätte eine hässliche Besenfrisur, ob ich denn keinen Spiegel hätte. Das ist mir aber persönlich nicht so wichtig und deshalb auch kein wunder Punkt.

Inhaltlich merke ich – am meisten beim Thema U-Ausschuss – immer, wenn der Spin des politischen Mitbewerbers auf fruchtbaren Boden fällt. Dann bekomme ich E-Mails, wo ich merke: Das wird geglaubt. Die Leute empören sich dann zum Beispiel darüber, dass ich wider besseres Wissen jemanden anzeigen würde. Ich bedauere, dass sie das wirklich denken.

Ich habe gelernt: Egal ob man etwas falsch macht oder nicht, man wird attackiert. Und weil man viel von den medialen Spins nicht beeinflussen kann, bleibt umso mehr: Man muss einfach für sich den Standard halten, den man sich gesetzt hat, und mit sich im Reinen sein. Wirbel kommt und geht hingegen. Seitdem ich diese Tatsache erkannt und akzeptiert habe, geht es viel besser.

Und im echten Leben erlebe ich nur nette Reaktionen. Die Menschen sind freundlicher, als man glaubt. Wenn sie dich nicht mögen, lassen sie dich zumindest in Ruhe."


Rudi Anschober: "Polizeiautos standen vor und hinter meinem Privathaus"

Rudi Anschober (Grüne) war von Jänner 2020 bis zu seinem Rücktritt im April 2021 Gesundheits- und Sozialminister.
Foto: Andi Urban

"Mein Arbeitsstil war schon immer, möglichst viel an Kommunikation selbst zu machen. Dementsprechend ist klar, dass man auch die negativen Reaktionen mitkriegt. Und da war schon deutlich, dass sich die Stimmung in der Pandemie ab Herbst 2020 verschärft hat. Sie hat sich vor allem sehr polarisiert. Die Reaktionen waren weiterhin überwiegend positiv, aber die negativen wurden mehr und im Ton radikaler.

Neben den Beschimpfungen gab es auch richtige Drohungen. Die sind meist über den Verfassungsschutz an mich herangetragen worden. Teilweise kommt so etwas natürlich auch per E-Mail, die sieht man dann. Bei meiner ersten Drohung haben sie den Verfasser schnell ausfindig gemacht. Das war ein Kleinunternehmer, der existenzielle Sorgen hatte und wohl nach Genuss von Alkohol seiner Wut freien Lauf gelassen hat. Da bin ich nachdenklich geworden, was das mit unserer Gesellschaft macht. Dass da offenbar einer kleiner, aber relevanter Teil abdriftet. Das war damals mein Hauptproblem.

DER STANDARD

Die Beschimpfungen vonseiten der fundamentalen Corona-Leugner waren mir egal. Von denen habe ich nichts anderes erwartet als Aggressivität, darauf war ich eingestellt. Aber es hat vereinzelt den Fall gegeben, dass mir Menschen vorgeworfen haben, ich sei am Tod eines Angehörigen schuld. Das ist mir nahegegangen. Auch wenn mich Menschen unsachlich attackiert haben, die ich kenne und schätze, mit denen ich teilweise seit Jahren auf Twitter einen Diskurs führe. So etwas geht tief.

Im Spätherbst 2020 habe ich dann aufgrund der Drohungen Personenschutz bekommen. Die Personenschützer waren professionell und bemüht, mein Leben so wenig wie möglich zu stören. Aber es ist natürlich einschränkend. Ich trete gerne in den Dialog, wenn ich mit Zug oder U-Bahn unterwegs bin. Das ist wie eine kleine Sprechstunde. Da spürst du, wie die Stimmung steht, wie der Tonfall ist. Unter Personenschutz war das nicht mehr in der Form möglich.

Im darauffolgenden Frühling wurde dann vermehrt meine Adresse auf den Corona-Demos genannt. Nach dem Motto: Wir wissen, wo du wohnst. Da ist mir schon ein bisschen mulmig geworden. Kurz vor meinem Rücktritt wurde damit begonnen, Polizeiautos vor und hinter meinem Privathaus zu postieren. Das war richtig und sinnvoll. Aber vom Gefühl her ändert das schon etwas. Ich kann es schwer beschreiben, aber man fühlt sich von der normalen Welt abgeschnitten. Als würdest du unter einem Glassturz leben.

Mir ist aber auch wichtig zu betonen, dass der Großteil der Reaktionen positiv war. Nach meinem Rücktritt ist dann eine Welle der Sympathie über mir zusammengebrochen. Ich habe da offenbar unbewusst einen Nerv getroffen. Ich habe seitdem sicher tausende positive Rückmeldungen auf der Straße gehabt und nur eine Handvoll negative. Ich erinnere mich an einen Läufer, der an mir vorbeigelaufen ist, den Kopf geschüttelt hat und "Das ist der, der unser Land zerstört hat" gerufen hat. Kein Drama. Mit so etwas kann ich umgehen."


Laura Sachslehner: "Ich lese alles, das ist oft nicht so schön"

Laura Sachslehner (ÖVP) ist Generalsekretärin der Volkspartei und Landtagsabgeordnete in Wien.
Foto: Christian Fischer

"Ich bin die scharfen Reaktionen und auch Emotionen, die ich auslöse, zu einem gewissen Maß gewohnt. Das war ja schon zu meiner Zeit als Generalsekretärin der Jungen ÖVP so und seit ich Landtagsabgeordnete in Wien bin. Ich habe mir angewöhnt, alles zu lesen, wenn ich zeitlich dazu komme. Ich lese möglichst alle Tweets, alle Kommentare, die über mich geschrieben werden. Das ist oft nicht schön, aber es ist mir wichtig zu wissen, was da so geschrieben wird. Ich möchte die Kritik mitbekommen, denn fundierte Kritik hat ja ihre Berechtigung. Aber ich würde sagen, dass sich fast 90 Prozent der Tweets und auch viele Geschichten über mich um Äußerlichkeiten drehen. Wie ich spreche, meine Optik. Da geht es selten um inhaltliche Dinge.

Angenehm ist es nicht. Es gibt Tage, da belasten einen die Reaktionen mehr. Und Tage, da belasten sie weniger. Und natürlich gibt es auch immer wieder einzelne Kommentare, die einem nahegehen. Aber im Großen und Ganzen bin ich da mittlerweile recht gelassen und nicht besonders empfindlich. Das klingt jetzt wie eine Plattitüde, aber ich bin das so seit vielen Jahren gewohnt. Ich kenne das nicht anders, seit ich eine politisch exponierte Person bin. Wenn ich damit nicht umgehen könnte, wäre ich im falschen Beruf. Zur Anzeige gebracht habe ich noch kein Posting. Es sind mittlerweile aber auch so viele geworden, dass ich mit dem Screening nicht mehr hinterherkommen würde.

Warum meine Person so polarisiert, kann ich schwer beurteilen. Man selbst nimmt das natürlich anders wahr. Es ist auch nichts, was ich geplant hätte. Es liegt vielleicht daran, dass ich sehr lautstark und direkt meine Meinung sag. Ich rede ungern weichgespült, das passt nicht jedem. Aber es gibt mir weiterhin Rätsel auf. Weil vieles, was ich als Generalsekretärin von mir gebe, ist ja die Position der Volkspartei. Das sollte eigentlich nicht überraschen. Twitter ist mir gegenüber am kritischsten, positiver Zuspruch kommt eher per E-Mail oder als private Nachricht. In meinem politischen Leben versuche ich mich davon so wenig wie möglich beeinflussen zu lassen. Das ist nicht immer einfach. An schlechten Tagen versuche ich mich zu fokussieren. Meistens gelingt mir das. Als Oppositionsabgeordnete in Wien habe ich das dann teilweise auch gezielt genutzt. Da dringt man mit seinen Themen schwer durch, da kann ein bisschen Aufregung helfen.

Wo es mich verändert hat, ist in der privaten Nutzung der Kanäle. Ich war eigentlich immer jemand, der auf Instagram oder Facebook gern private Fotos geteilt hat. Ich bin ja mit diesen Plattformen aufgewachsen und war auch nicht schon immer ÖVP-Generalsekretärin. Mit privatem Content auf meinen Kanälen bin ich zurückhaltend geworden. Das passiert nur mehr vereinzelt, ganz will ich es mir aber nicht nehmen lassen. Ich muss dann aber auch damit leben, dass gerade die privaten Inhalte besonders kritisch diskutiert werden." (Jonas Vogt, 23.5.2022)