Auch wenn die Inflation derzeit geringer ist als im Rest Europas – die Schweiz bleibt trotzdem ein hochpreisiges Pflaster.

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Während Europa unter Teuerungsraten von sieben Prozent oder mehr ächzt, verzeichnet die Schweiz bisher bloß einen mäßigen Anstieg der Inflation: Im April wurde eine Jahresteuerung von 2,5 Prozent registriert. Die Schweiz erweist sich auch hier als Sonderfall mitten in Europa.

Die Inflation ist auch in der Schweiz zurück. Erstmals seit 2008 steigen die Preise wieder deutlich an. Die Ursachen sind dieselben wie anderswo: die hohen Energie- und Nahrungsmittelpreise seit dem russischen Überfall auf die Ukraine und die Schwierigkeiten in den globalen Lieferketten, die sich mit der Corona-Pandemie deutlich verschärft haben. Eine Knappheit vieler Industrieprodukte und Konsumgüter war die Folge.

Dass die Teuerung in der Schweiz deutlich weniger stark steigt als in den umliegenden Ländern, ist nicht neu: So zeigt etwa der Vergleich mit Österreich, dass die Inflationsrate zwischen 2006 und 2021 im Jahresdurchschnitt in Österreich um zwei Prozent gestiegen ist, in der Schweiz aber nur um 0,2 Prozent.

"Dies ist großteils auf die starke langfristige Aufwertung des Schweizer Frankens zurückzuführen, die Preise für Importgüter deutlich günstiger macht", erklärt der Ökonom Alexander Rathke von der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich. "Jetzt ist die Inflationsdifferenz besonders ausgeprägt. Dies liegt vor allem an den Komponenten Energie und Nahrungsmittel; hier ist zum einen der Anstieg in der Schweiz weit geringer, und zum anderen ist ihr Gewicht im Warenkorb in der Schweiz kleiner", sagt der ETH-Ökonom.

Starker Franken

Während die Notenbanken weltweit die Zinsen anheben und geldpolitisch "die Zügel anziehen", bleibt die Schweizerische Nationalbank (SNB) bei ihrer expansiven Geldpolitik und belässt die Leitzinsen bei –0,75 Prozent. Damit leiste sie einen wichtigen Beitrag, um die Teuerung in der Schweiz niedrig zu halten, meint Ökonom Rathke. "Die SNB hat den Franken deutlich aufwerten lassen und auch kommuniziert, dass sie dies bewusst toleriert wegen des hohen Inflationsdifferenzials. Auf diese Weise hat sie die Geldpolitik schon angepasst an die hohe Inflation."

Mit andern Worten: Dank des starken Frankens "importiert" die Schweiz weniger Inflation als der Euroraum, wo die Gemeinschaftswährung tendenziell zur Schwäche neigt. Denn viele Waren wie etwa Rohöl werden am Weltmarkt in US-Dollar abgerechnet, wodurch Länder mit einer starken Währung letztlich weniger für solche Waren bezahlen müssen.

Erhöhung der Krankenkassenprämien

Und doch bereitet die Teuerung auch vielen Menschen in der Schweiz Sorgen. Bei der nationalen Delegiertenversammlung vor zwei Wochen forderte der Gewerkschaftsbund SGB rasche Maßnahmen, um die Kaufkraft der Bevölkerung zu erhalten: Löhne und Renten müssten steigen, heißt es in einer Resolution des SGB.

Hinzu kommt noch ein Element, das in der Schweiz die ausgewiesene Teuerung unterschätzt: Die Prämien für die obligatorische Krankenversicherung sind in der Schweiz nicht ans Einkommen gekoppelt, sondern sind für Arm und Reich gleich hoch. Und diese Prämien sind in der Schweiz nicht im Warenkorb für die Bemessung der Inflationsrate enthalten.

Jetzt steht aber eine massive Erhöhung dieser Krankenkassenprämien ins Haus: Für das kommende Jahr dürften diese im Schnitt um fünf Prozent und in einzelnen Regionen gar um bis zu zehn Prozent ansteigen, wie der Internetvergleichsdienst Comparis schätzt.

Weniger Konsum

"Nirgendwo in Europa ist das Gesundheitswesen so unsolidarisch finanziert. Dieser Prämienschock muss abgefedert werden", fordert der Gewerkschaftsbund. Der Staat müsse mehr Geld bereitstellen, um die unteren Einkommensklassen zu entlasten. Ansonsten drohe einem Durchschnittshaushalt ein Kaufkraftverlust von 1600 Franken jährlich. Und wenn die Kaufkraft sinke, dann würde dies auf den Konsum und auf das Wirtschaftswachstum durchschlagen. Allerdings würde dies auch dazu beitragen, die Inflation niedrig zu halten.

Die Konjunkturforscher der ETH sind weniger pessimistisch. "Viele Haushalte haben noch Polster vom ungewollten Sparen während der Corona-Pandemie, als sie viele Dienstleistungen nicht konsumieren konnten", sagt ETH-Experte Rathke. So rechnet die ETH Zürich nur mit einem weiteren leichten Anstieg der Teuerung im Jahresverlauf und für das kommende Jahr wieder mit einem deutlich geringeren Preisauftrieb. (Klaus Bonanomi aus Bern, 21.5.2022)