Der Fundort im Etschtal, italienisch: Valle dell'Adige.
Foto: Ufficio Beni Archeologici di Bolzano

In der späten Bronzezeit, vor etwa 1.300 bis 800 vor Christus, war die üblichste Bestattungsmethode Zentraleuropas die Einäscherung des Leichnams und die Verwahrung in Gefäßen. Der Ritus ist namensgebend für die damaligen Gesellschaften: Sie werden der Urnenfelderkultur zugeschrieben. Ein Ort im heutigen Südtirol scheint sich jedoch der üblichen Praktik widersetzt zu haben. In der Nähe der Gemeinde Salurn (italienisch Salorno) stießen Archäologinnen und Archäologen auf Bestattungsspuren, die auf ein abgewandeltes Verfahren schließen lassen. Das Forschungsteam beschreibt den Platz im Fachjournal "Plos One" als einzigartig.

Die Fundstätte befindet sich am Galgenbühel (Dos de la Forca), einem Hügel im Etschtal, etwa 30 Kilometer südlich von Bozen. Vor etwa 40 Jahren wurden hier erste Grabungen durchgeführt. Für die aktuelle Studie untersuchte die Forschungsgruppe mehr als 60 Kilogramm verkohlter Überreste – und um weitere Zahlen zu liefern: Es stellte sich heraus, dass es sich um mehr als 3.000 Jahre alte Bestattungsspuren handelte, also aus der Zeit zwischen 1.150 und 950 vor Christus.

Die schwarzen Spuren deuten auf verkohlte Überreste hin.
Foto: Ufficio Beni Archeologici di Bolzano

Zahlreiche Kremierungen

Wer dort bestattet wurde, war nicht einfach herauszufinden. Einige erhaltene Zähne weisen jedoch darauf hin, dass unter den Verstorbenen sowohl Erwachsene als auch Kinder waren. Die Körper von mindestens 48 Personen wurden verbrannt – so viele wie an keinem anderen vergleichbaren Fundort in Italien. Im Gegensatz zu anderen archäologischer Stätten fand sich in Salurn zudem kein angrenzender Friedhof.

Insgesamt weisen die Analysen eher darauf hin, dass der Ort der Verbrennung auch gleichzeitig als letzte Ruhestätte der Toten diente und keine Überreste entnommen und später woanders beerdigt wurden. Es handelt sich also um ein prähistorisches Krematorium und Aschedepot.

Knochensplitter von Menschen und Tieren wurden vom Forschungsteam aufgespürt.
Foto: Ufficio Beni Archeologici di Bolzano

Wie das Team um Federica Crivellaro von der Stony Brook University (USA) und der Universität La Sapienza in Rom sowie Alfredo Coppa von der Universität Wien berichtet, war es wohl ein spezieller Platz, der von einer lokalen Elite oder einer größeren sozialen Gruppe über viele Generationen hinweg genutzt wurde. Ein individuelles Begräbnis erhielten die Verstorbenen nicht, vermuten die Forschenden. Dafür wurden neben menschlichen Überresten auch allerlei andere Spuren gefunden, etwa Teile von Tierknochen und Geweihen, Keramikscherben und andere Objekte, die zu Grabbeigaben zählten. Sie bestanden teils aus Gold, Bronze und einer Art Glas.

Neben Knochen wurden in den mehr als 60 Kilogramm an Fundmaterial auch verschiedene Grabbeigaben entdeckt.
Foto: Ufficio Beni Archeologici di Bolzano

Offene Fragen

Zweifelsohne seien die damaligen Begräbnisse komplex und mit religiöser Bedeutung aufgeladen gewesen, heißt es in der Arbeit. Die Frage sei allerdings: Wurden damals in Salurn wiederholt Feuerbestattungen durchgeführt und alle Überbleibsel an Ort und Stelle gelassen? Oder handelt es sich um Restmaterial, das zurückblieb, nachdem ausgewählte Knochenfragmente zur Bestattung – beispielsweise in einer Urne – wieder entnommen wurden?

Der Fundort lässt zumindest das Team darauf schließen, dass es sich um eine eigene Bestattungspraxis handelte, die weder mit den großen Urnengräberfeldern in der Po-Ebene noch mit den ebenfalls vorkommenden kleinen Verbrennungsstätten und Einzelgräbern in den Alpentälern zu jener Zeit vergleichbar ist. In dieser Epoche, als ein erster Globalisierungsschub durch Europa ging und es einen gewissen Trend zu Vereinheitlichung der Lebensweisen gegeben hat, könne die Stätte als ein Ort gedeutet werden, wo eine kleinere Gruppe ihre eigene Identität in dieser Form der gemeinsamen Bestattung ausdrücken wollte, so die Vermutung der Fachleute. (sic, APA, 21.5.2022)