Nur so lassen sich auch die nächsten Problemfelder wie die Klimakrise angehen, darauf weisen im Gastkommentar die Wissenschafter Arne Bathke, Andreas Bergthaler, Ulrich Elling, Thomas König, Andrea E. Schmidt hin.

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Von Pandemie bis Klimakrise: Können Antworten gefunden werden, die für alle oder zumindest eine Mehrheit in Ordnung sind? Vielleicht nicht. In einer demokratischen Gesellschaft sollte es aber unser Ziel sein, diese Diskussion zu führen.
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Viele haben in den letzten zwei Jahren unter Covid-19 gelitten; und alle an den Maßnahmen, die zur Eindämmung der Pandemie getroffen wurden. Gesellschaftlich stellte uns die Pandemie vor enorme Herausforderungen: die Wirtschaft, die sich mit viel Mühe durch diverse Lockdowns quälen musste. Das Gesundheitssystem, welches immer wieder an den Rand seiner Kapazitäten gebracht wurde. Die Schulen, in denen oft Planungsunsicherheit herrschte und in denen sich auch die größer werdenden Ungleichheiten der Gesellschaft spiegeln. Eine erste bittere Erkenntnis nach mehr als zwei Jahren Pandemie ist, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt gerade auch in Österreich arg zerzaust wurde.

Viele unbeantwortete Fragen

Sars-CoV-2 ist mittlerweile eines der besterforschten Viren. Und trotzdem gibt es noch immer viele unbeantwortete Fragen um Covid-19. Welche Varianten kommen im Herbst auf uns zu? Um wie viel verläuft eine Covid-19-Erkrankung milder, wenn ich bereits mehrmals erkrankt war und drei- oder viermal geimpft bin? Wie gut wird eine künftige Impfung oder gar eine medikamentöse Therapie wirken, und wie schnell kommen Resistenzen auf? Die Folge der hier fehlenden Antworten ist, dass Unsicherheiten weiterhin tief in die Gestaltung unseres Alltags reichen werden. Kann das 80. Geburtstagsfest der Großmutter stattfinden? Wird der sehnsüchtig erwartete Maturaball ausgerichtet? Luxusprobleme, vielleicht. Aber zuweilen auch lebenswichtig: Wird eine anstehende Operation pandemiebedingt ein weiteres Mal aufgeschoben? Kann das Kind mit Vorerkrankung auch nach dem Ende der Maskenpflicht unbesorgt in die Schule gehen?

Neue Normalität

Es ist ungewiss, ob die Pandemie endlich zur Ruhe kommt oder ihre Wucht weiter anhält. Daher lautet die zweite bittere Erkenntnis: Die neue Normalität mit und nach Covid-19 wird eine andere sein, als wir sie vor der Pandemie gelebt haben. Damit rückt eine Frage in den Mittelpunkt, die wir uns noch nicht deutlich genug gestellt haben: Wie können und wollen wir zukünftig mit Sars-CoV-2 leben? Letztlich geht es auch darum, zu diskutieren, wie viele Erkrankungen, wie viele Long-Covid-Fälle und wie viele Tote wir (zusätzlich) tolerieren wollen. Kann eine Antwort darauf gefunden werden, die für alle oder zumindest eine Mehrheit in Ordnung ist? Vielleicht nicht. In einer demokratischen Gesellschaft sollte es aber unser Ziel sein, diese Diskussion zu führen – schon allein deshalb, um die anderen Positionen auch nachzuvollziehen.

Schwer kompatibel

Was setzt eine solche Diskussion voraus? Die Antwort ist so banal, dass sie gern ignoriert wird: Es braucht Orte, wo Wissenschaft, Gesellschaft und Politik in konstruktiven Austausch miteinander treten können. Anders als landläufig gedacht, erhebt Wissenschaft nicht den Anspruch, unumstößlich fixiertes Wissen zu generieren. Im Gegenteil, sie ist selbst ihre schärfste Kritikerin und testet Hypothesen immer wieder aufs Neue mit dem Ziel, dass Wissen graduell differenzierter und abgesicherter wird. Diesen Prozess haben viele in der Pandemie erstmalig beobachtet, und er hat auch viele verunsichert. Denn er ist nur schwer kompatibel zu dem auch von den Medien geforderten "Experten", der in einem kurzen Interview erklären soll, was Sache ist.

Fernsehstudios sind also nur bedingt Orte des Austauschs. Und soziale Medien können diese Funktion nur dann übernehmen, wenn sie fair moderiert sind – sonst besteht die Gefahr von Echokammern und dem Rabbit-Hole-Effekt. Ein Beispiel, wie konstruktive und offene Auseinandersetzung unter Personen unterschiedlichster Fachhintergründe dauerhaft gelingen kann, liefert die interdisziplinäre "Future Operations"-Plattform. Mit ihr wurde in Österreich ein virtueller Ort geschaffen, an dem Wissenschafterinnen und Wissenschafter aus diversen Disziplinen und Gesellschaftsbereichen diesen Diskurs seit Pandemiebeginn freiwillig (und unbezahlt) und regelmäßig führen und dies auch öffentlich kommunizieren. Nicht zuletzt dank des hier ermöglichten Austauschs und des aufgebauten Vertrauens hat die Politik inzwischen verstanden, vorausschauender zu agieren. Mit dem Varianten-Management-Plan gibt es einen ernsthaften Versuch der Bundesregierung, sich auf den Herbst vorzubereiten. Der Plan beruht unmittelbar auf einem Szenarienpapier, welches bei der "Future Operations"-Plattform erarbeitet wurde. Darin geht es weniger darum, die Zukunft vorherzusagen, sondern die Optionen und Handlungsnotwendigkeiten auszuformulieren. Denn ein gutes Pandemiemanagement muss auf alle realistischen Szenarien vorbereitet sein.

Verstetigung des konstruktiven Austauschs

Um in Zukunft sicherzustellen, dass diese und andere Fragen offen diskutiert werden können, braucht es aber eine Verstetigung des konstruktiven Austauschs über die Fachgrenzen hinweg. Die "Future Operations"-Plattform könnte dafür in Österreich ein Instrument sein – auch über die Pandemie hinaus. Denn wie der Krieg in der Ukraine und die damit offenbar gewordene geopolitische Abhängigkeit von Energielieferungen ebenso wie die sich zuspitzende Klimakrise zeigen, werden uns auch in den kommenden Jahren die Themen leider nicht ausgehen. (A. Bathke, A. Bergthaler, U. Elling, Th. König, A. E. Schmidt, 23.5.2022)