Julian Schmit schreibt Songs wie Hollywood-Blockbuster.

Foto: Lea Bräuer

Es wurde zwar keine Studie in Auftrag gegeben, um herauszufinden, welches Tier der deutsche Sänger Schmyt wäre, auf Fotos und in Videos schaut er jedenfalls aus wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Sein überraschter, etwas scheuer Blick scheint "Tu mir bitte nicht weh" zu sagen. Im Gegensatz zum ahnungslosen Wild weiß Schmyt aber, dass ihm wehgetan werden wird. "Dein Wimpernschlag prügelt mich grün und blau", singt er in Ich wünschte, du wärst verloren. Um Schmyt wehzutun, braucht es halt nicht viel.

COLORS

In Wahrheit sind es aber nicht seine verschiedenen Gegenüber – mal eine Frau, die ihn nicht will (Höhenangst), mal eine, die er nicht will (Liebe Verloren), mal ein illoyaler Brudi (Universum regelt) –, die ihm die Schmerzen zufügen, sondern er selbst. Er ist Reh und Auto zugleich. Die toxischen Beziehungen, die Enttäuschungen vor dem Hintergrund einer immer kaputter werdenden Welt – er, oder besser: seine Künstlerpersona, ist abhängig von ihnen. Nicht zuletzt, um Musik daraus zu machen, wie sein gerade erschienenes Debütalbum Universum Regelt beweist.

Der deutsche Frank Ocean?

Schmyt heißt bürgerlich Julian Schmit. Als Geburtsdatum gibt er "20. Jahrhundert" an, aus welchem deutschen Kaff er genau kommt, verrät er nicht. Es dürfte ein Ort sein, auf den folgende Zeilen zutreffen: "Reihenhäuser, so wie Särge / Ist das Leben oder Zeitlupe sterben? / Jeder sieht sich hier mit 40 in ’nem Haus mit weißem Zaun / Du dich hier mit circa 140 an ’nem Baum, ja", wie es in der Nummer Bumms mit dem Refrain "Ist doch bumms", was "Ist doch egal" bedeutet, heißt.

Schmyt - Topic

Schon 2020 beeindruckte das ehemalige Mitglied der Band Rakede mit der EP Gift, die unmissverständlich klarmachte, wer er sein will: der deutsche Frank Ocean. Frank Ocean hat das Genre R’n’B mit seiner Beobachtungsgabe und dem famosen Songwriting auf seinem Album Channel Orange (2012) innoviert und inspirierte damit eine ganze Generation von Musikerinnen und Musikern. So auch Schmyt. Das Lied Taximann (von der EP Gift) orientierte sich ganz unverhohlen an Oceans Jahrhundertnummer Bad Religion. In beiden Songs weint sich der Icherzähler beim Taxifahrer über die jeweilige unerwiderte Liebe aus: "It’s a Bad Religion / being in love with someone / who can never love you", heißt es bei Ocean, "Sie sagen, Gedanken können alles besiegen / Platten können springen, die Zeit kann fliegen / Warum kann ich dann nicht jemand anders lieben?", bei Schmyt.

Ist doch bumms!

Dass Schmyt "R’n’B auf Deutsch macht", wie dieser Tage in einigen Rezensionen zu lesen war, ist der falsche Schluss – eher handelt es sich um Singer-Songwriting auf Trap-Beats, wie es das aktuell zuhauf gibt. Es ist nicht das Genre R’n’B, das Schmyt ins Deutsche übertragen will, er arbeitet mit Blick auf Ocean eher an einer neuen Qualität von Songwriting auf Deutsch. Mit Worterfindungen wie "Bierhand", dem Ignorieren von Grammatik zugunsten der Wirkung – "Ist das Leben oder Zeitlupe sterben?" – und diesen großartigen Bildern, in denen Wimpernschläge für blaue Flecken sorgen, hat Schmyt da durchaus etwas Eigenes geschaffen.

Schmyt

Als Texter ist er sehr gefragt und arbeitete mit maximal unterschiedlichen Leute wie Till Lindemann (Rammstein) oder dem Teilzeit-Schmerzensmann des Deutschrap, Rin, zusammen, der ihn, genauso wie der Gangster Haftbefehl, featurte. So hart können die "Jungs" gar nicht sein, dass sie gerade nicht alle gern eine von Schmyts soulig-melancholischen Vocal Runs in ihren Refrains hätten.

Mit Haftbefehl teilt Schmyt auch den Produzenten Bazzazian, der für seine soundtrackartigen Instrumentierungen bekannt ist und auch für Schmyt einige Bretter mit der Hauptzutat Pathos gezimmert hat. Das funktioniert genauso gut, wie es Blockbuster tun. Die Inhalte sind schablonenhaft und folgen gängigen Topoi, das Leid ist genau berechnet und inszeniert. Aber solange das funktioniert, muss es nicht "authentisch" sein. Ist doch bumms! (Amira Ben Saoud, 23.5.2022)