Klassenkampf am Meer: Harris Dickinson in "Triangle of Sadness".

Foto: Filmfestival Cannes

Der Wettbewerb in Cannes ist jedes Jahr aufs Neue auch eine Arena gewichtiger Fragen. Wer das Kino als ein Instrument versteht, um die Schieflagen der Gegenwart mit großer Geste zu durchdringen, dem gewährt man bereitwilliger Platz. Mit Cristian Mungiu (4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage) und Ruben Östlund (The Square) gingen zuletzt zwei Goldene-Palme-Gewinner daran, ihr Gespür für Aktualität unter Beweis zu stellen.

Mungius Film heißt R.M.N., nach dem rumänischen Akronym für eine Magnetresonanztomografie, der sich eine der Figuren unterziehen muss. Den Anspruch, in die Köpfe der Menschen zu schauen, innere Schaltkreise zu verstehen, hat jedoch der gesamte Film.

Unterschwellige Ressentiments

In einem kleinen transsylvanischen Dorf, das durch eine EU-mitsubventionierte Brotfabrik Anschluss an die Marktwirtschaft gefunden hat, treten unterschwellige Ressentiments gegen die von fernher angeheuerten Arbeitskräfte an die Oberfläche. Mungiu beschreibt den Ort jedoch selbst als Ansammlung diverser Ethnien. Der Heimkehrer Matthias (Marin Grigore) gehört etwa einer deutschsprachigen Minderheit an. Seine Frustrationen, die sich auch aus sexueller Zurückweisung speisen, finden Resonanz. Doch Mungiu unterspielt mit seinem nüchternen Naturalismus den Thriller-Anteil seines Dramas. Er hat mehr eine vertrackte Parabel im Sinn, die die Ursachen xenophoben Denkens zwischen diffusen Ängsten und wirtschaftlicher Effizienzfixierung findet.

The Upcoming

Erzählt R.M.N. etwas zu pflichtschuldig von einer Implosion, so legt Östlund mit Triangle of Sadness ein Triptychon vor, das sich vor allem als plakative Groteske versteht. Soll heißen: Der Film ist richtig komisch, zumindest bis zum etwas zu vordergründigen letzten Teil einer Robinsonade – sonderlich subtil ist das Werk aber nicht. Das ist insofern überraschend, als Östlund bisher als Meister nuancierter Porträts moralischer Doppelbödigkeiten galt.

Am meisten findet man davon noch im ersten Teil, in dem sich das Model Carl (Harris Dickinson) und die Influencerin Yaya (Charlbi Dean) in einem schicken Restaurant und dann im Hotelzimmer über Anspruch und Umsetzung von Geschlechtergleichstellung in die Haare kriegen. Darum, dass manche um so viel gleicher als andere sind, geht es dann auch im Rest des Films. Auf einer Luxusyacht findet sich das Paar unter Superreichen wie einem russischen Milliardär wieder, die sich Nutella per Hubschrauber nachfliegen lassen.

The Playlist

Östlunds Fallstudien der Abgehobenheit sind ein wenig zu simpel gestrickt. Seine Antwort auf den Klassismus ist grellste Satire, die nur von seiner formalen Strenge, seinem süffisanten Blick ausgebremst wird. Denken Sie an Blake Edwards’ Der Partyschreck, und tauschen Sie das Schaumbad mit Fluten aus Erbrochenem aus! Auch wenn sich auf einer Insel die Hierachien noch einmal umdrehen, reicht der Blick eigentlich nur bis zur Schadenfreude darüber, dass hier einmal die Richtigen das Fett abbekommen. (Dominik Kamalzadeh, 23.5.2022)