Die Corona-Demos verlieren an Zulauf. Neue Themen müssen her.

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Ein Telegram-Channel macht es sich besonders einfach: Seit März 2020 besteht er, krude Verschwörungserzählungen zum Coronavirus wurden da mitunter geteilt. Nun, vor wenigen Tagen, wurde der Gruppenname geändert: "Affenpockenvirus – die nächste P(l)andemie?" heißt er nun.

Ähnlich ist das Muster in vielen anderen verschwörungserzählerischen Gruppen, die haben mit den ersten Fällen der Affenpocken neues Futter gefunden. Warum schwenken sie plötzlich um? Und: Was ist dran an den vermeintlichen Fakten, die da nun geteilt werden?

Vermeintliche Belege

Inhaltlich dreht sich da vieles um vermeintliche "Zufälle", in denen ein verschwörerischer Zusammenhang gesehen wird. So wird in der eingangs erwähnten Gruppe etwa angemerkt, der erste Affenpocken-Patient Deutschlands liege ausgerechnet in dem Spital, in dem auch Deutschlands erster Corona-Patient gelegen habe. Und mehr noch, beide würden sogar vom selben Arzt behandelt werden oder worden sein. Beides stimmt, wie man in deutschen Medien nachlesen kann.

Nur: Beides ist nicht verwunderlich. Der Arzt Clemens Wendtner selbst sagt, es sei klar gewesen, dass der erste Affenpocken-Patient – wie eben auch bei Corona – zu ihm in die Klinik Schwabing komme. Das sei eben der Tatsache geschuldet, dass die Klinik auf Infektionserkrankungen spezialisiert sei.

Weiter geht es mit der Feststellung, dass die Affenpocken-Infektion mittels PCR-Test festgestellt worden sei. "Wie damals ... ach, ihr wisst schon", heißt es dazu. Auch das ist nicht neu. PCR-Tests gibt es nicht erst seit der Corona-Pandemie, sie werden längst etwa auch schon dafür verwendet, Blutspenden auf HIV zu untersuchen.

Angemerkt wird dann noch, dass in der EU just vor kurzem ein Medikament gegen die Behandlung einer Affenpocken-Infektion zugelassen worden sei. Auch das stimmt, wobei das Medikament Tecovirimat keineswegs neu ist: In den USA ist es seit 2019 zugelassen, nicht nur zur Behandlung von Affenpocken, sondern zur generellen Pocken-Behandlung. Grund dafür war, wie die Food and Drug Administration damals schrieb: Weil Pocken potenziell als Biowaffe eingesetzt werden könnten.

Neue Themen gesucht

Dafür, warum Affenpocken nun innerhalb der Corona-Gruppen plötzlich Thema sind, gibt es eine naheliegende Erklärung. Digitalexpertin Ingrid Brodnig formuliert das so: "Die verschwörungsgläubige Szene braucht dringend neues Material, über das sie sich aufregen kann, bei dem sie einen großen Masterplan wittern kann." Immerhin wurden die meisten Corona-Maßnahmen abgeschafft, "generell sind andere Themen wie die Ukraine oder die Teuerung politisch stärker präsent", sagt Brodnig – die Ähnliches auch schon anmerkte, als ein großer Teil der Corona-skeptischen Szene sich nach dem russischen Ukraine-Angriff auf die Seite Putins schlug.

Auch Brodnig beobachtet die Szene und stellt fest: "Die aktuelle Diskussion über Affenpocken passt gut zu früheren Behauptungen von Verschwörungsgläubigen." Zentral sei die Behauptung, die Pandemie sei künstlich erfunden oder aufgebauscht, etwa, um Grundrechte abzuschaffen. Und dass eine "böse Elite" permanent neue Bedrohungen erfinden müsste, um diese Grundrechte weiter einschränken zu können. Verschwörungsgläubige würden nun versuchen, die Debatte aufzubauschen: "Sie posten beispielsweise, sie werden keine FFP2-Maske gegen Affenpocken tragen – nur hat das von ihnen eh niemand verlangt. Die Affenpocken dienen in dieser verschwörungsgläubigen Szene vor allem dazu, sich einmal mehr bestätigt zu sehen."

All das übrigens, obwohl die öffentliche Debatte über Affenpocken laut Brodnig noch recht zurückhalten ist. Was sie begrüßt: Nun sei nicht die Zeit für Horrorszenarien, sagt sie, auch nicht für Politik und Medien. Da müsse es nun darum gehen, "einfach transparent zu sagen, was man derzeit weiß und was noch untersucht wird". (Gabriele Scherndl, 24.5.2022)