Positiver Affenpockentest. Insgesamt sind weltweit derzeit 90 Fälle bekannt.

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Seuchen sind Brandherde für falsche Zuschreibungen und Hetze. Wie sehr das zutrifft und wie hemmend, ja gefährlich das für eine wirksame Bekämpfung epidemischer Krankheiten ist, erleben wir angesichts des internationalen Affenpockenausbruchs zum wiederholten Mal.

Als vor zweieinhalb Jahren in China Corona ausbrach, wurde diese Krankheit von vielen Menschen sofort mit diesem Land und seinen Bewohnern identifiziert. Das führte in anderen Ländern zu Hass: Asiatinnen und Asiaten wurden beschimpft und ausgegrenzt.

Trügerischer Tiername

Die nunmehr sich verbreitenden Affenpocken kommen mit einem trügerischen Tiernamen daher. Expertinnen erklären, dass das Virus in der Hauptsache gar nicht von Affen, sondern von kleinen Nagetieren auf Menschen übertragen wird.

Doch die begriffliche Assoziation mit den im Globalen Süden lebenden Affen lässt die Erkrankung als eine Heimsuchung von außerhalb, aus Afrika und Teilen Asiens, erscheinen. Das ist dazu geeignet, von den Herausforderungen abzulenken, die nun anstehen, um die weitere Ausbreitung der Krankheit zu hemmen.

Keine Homosexuellenkrankheit

Noch schlimmer als das Affenmissverständnis ist die um sich greifende Ansicht, dass es sich bei dieser Infektion um eine Schwulenkrankheit handeln würde. Tatsächlich sind in Europa derzeit vor allem homosexuelle Männer an Affenpocken erkrankt, denn wahrscheinlich haben die ersten Ansteckungen bei einer Sexparty schwuler Männer auf Gran Canaria stattgefunden.

Der Ausbruch sei wohl "durch sexuelle Kontakte ausgelöst worden", umschreibt das die Weltgesundheitsorganisation WHO. Ob derlei Indirektheit gegen homophobe Fehlinterpretationen hilft, ist zu bezweifeln. Stattdessen kommen hier ungute Erinnerungen an die frühen Zeiten von Aids auf, als Homosexuellenfeinde von einem durch die Sünde des gleichgeschlechtlichen Sex über die Menschen gekommenen Unheil faselten.

Von Après-Ski zur Schwulensause

Das war damals falsch – und ist es jetzt auch. Vielmehr hat ein von Mensch zu Mensch übertragbares Virus an Orten, wo viele Menschen eng aufeinander treffen, beste Verbreitungschancen. Im Fall von Corona war das zum Beispiel der Après-Ski in Ischgl, im Fall der Affenpocken vielleicht eine Schwulensause auf den Kanarischen Inseln – beides Gelegenheiten, bei denen man derzeit ebenso große Vorsicht walten lassen sollte wie angesichts der mittransportierten Vorurteile. (Irene Brickner, 23.5.2022)