Stressfrei ist die Maturazeit bekanntlich nicht. Weder für Schülerinnen und Schüler, die mit ihr das Ende ihrer schulischen Laufbahn besiegeln, noch für ihre Lehrer und Lehrerinnen, die sie darauf vorbereiten, abprüfen und benoten. Mit der schriftlichen Klausur Anfang Mai liegt die erste Hürde nun hinter ihnen. Wie diese in Österreich genommen wurde, dazu präsentierte das Bildungsministerium vergangenen Sonntag Zahlen: An den berufsbildenden höheren Schulen (BHS) fielen die Ergebnisse ein bisschen schlechter, an allgemeinbildenden höheren Schulen (AHS) etwa gleich wie im Vorjahr aus.
Durch die Präsentation dieser Zahlen ergab sich aber eine paradoxe Situation: Noch bevor Schüler ihre eigenen Noten erfuhren, flimmerte die vorläufige Negativquote über ihre Bildschirme. Das zumindest kritisieren einige Lehrerinnen, die anonym bleiben wollen, im Gespräch mit dem STANDARD.
Erst am Montag wurden nämlich in vielen Schulen Österreichs die offiziellen Noten in der Konferenz – in Absprache mit Klassenlehrern – beschlossen. Bei manchen stand zum Zeitpunkt der Abgabe vergangenen Donnerstag gerade der Maturaersatztermin an. Warum hatte es das Bildungsministerium also so eilig?
Korrigieren bis ins "Nirwana"
Die Deutschlehrerin Sofia R. hat dafür folgende Erklärung: Man wolle unbedingt Ergebnisse präsentieren. "Jedes Jahr heißt es dann, Mathematik war schwieriger oder war zu leicht. Corona hat da reingespielt oder nicht." Dabei vermisst Sofia eine wirkliche Evaluierung dessen, was diese Negativquoten aussagen. "Da passiert dann meisten nichts. Nur die Leistung wird gesehen." Sie selbst hatte zwei Wochen Zeit für 48 schriftliche Klausuren – neben dem normalen Schulbetrieb.
Auch ihre Kollegin Ayla M. berichtet vom "Korrigieren bis ins Nirwana": Wären da nicht zwei Wochenenden gewesen, sie hätte nicht gewusst, wie sie die Beurteilung in der vorgegebenen Zeit – bis vergangenen Donnerstag – hätte schaffen sollen. Über "höhere" Anweisungen wundert sie sich schon lange nicht mehr. "Wir haben aufgehört, die Sinnhaftigkeit vieler Vorgaben zu hinterfragen", sagt Ayla.
Schüler wollen Noten wissen
Dass ihre Prüflinge nach zwei Wochen Warten ihre Maturanoten erfahren wollen, sehen die beiden Lehrerinnen ein. Der Notenkonferenz, die bei beiden am Montag stattfand, mit der Präsentation der vorläufigen Zahlen vorzugreifen, weniger. Auch wenn die Konferenz im Fall der beiden keine großen Änderungen brachte.
Bei 19 Kandidatinnen und Kandidaten fällt bei Ayla nun eine Kompensationsprüfung Anfang Juni an – diesen Maturanten hatte sie aber auch schon letzte Woche, als sie ihre Deadline hatte, eingeweiht.
Überblick für Ministerium
Den Unmut über die Daten, die seit Beginn der standardisierten Reifeprüfung 2014 erhoben werden, konnte man im Bildungsministerium vergangenes Jahr nachvollziehen. Heuer nicht mehr. Damals hatten Lehrerinnen nur drei Werktage Zeit, um die Mathematik-Matura zu benoten. "Wir haben diese Kritik aufgenommen", räumt eine Sprecherin des Bildungsministers ein. Die Frist wurde verlängert. Außerdem sei 2021– als Reaktion auf die stark schwankenden Mathematik-Ergebnisse der letzten Jahre – die Mathe-Matura reformiert worden. Die heurigen Ergebnisse seien nun mit jenen des letzten Jahres vergleichbar.
Bleibt die Frage, warum die vorläufigen Noten überhaupt veröffentlicht werden sollten. "Hier geht es um einen ersten Überblick über die Daten", sagt die Sprecherin.
Offizielle Zahlen wird es erst nach der mündlichen Matura, die bis Ende Juni geht, geben. Und diese dürften laut Ministerium sogar deutlich besser ausfallen: denn seit vergangenem Schuljahr fließt die Zeugnisnote der achten Klasse ins Maturazeugnis ein. Wer also mindestens einen Dreier im Abschlusszeugnis hat und bei der schriftlichen Prüfung mindestens 30 Prozent der Punkte erreicht hat, bekommt trotz der negativen Klausurnote einen Vierer (oder sogar Dreier) ins Maturazeugnis. Eine Reform, die auch die beiden Lehrerinnen Sofia und Ayla befürworten: "Es ist gut, dass die Matura nicht mehr davon abhängt, ob man einfach einen schlechten Tag gehabt hat." (Elisa Tomaselli, 24.5.2022)