Tafellöffel, Tafelgabel, Tafelmesser, Bouillonlöffel groß, Dessertlöffel, Dessertgabel, Dessertmesser. Sandwichgabel mit drei Zinken, Sandwichmesser, Obstgabel vierzinkig, Obstmesser, Kuchengabel. Kaffeelöffel, Mokkalöffel, Espressolöffel, Grapefruitlöffel, Grapefruitmesser, Eierlöffel, Eislöffel, Bouillonlöffel klein. Vorlegebestecke mit verschiedenen Grifflängen, Gemüselöffel, Salatbesteck. Saucenlöffel ohne Ausguss, Saucenlöffel mit Ausguss, Saucenlöffel, mit dem man fett und mager trennen kann. Spargelvorlegheber, Spargelvorlegzange. Eisvorleger, Eissichel, Eisschneider. Erdbeer- oder Schlagoberslöffel, Butterstecher. Kaviarbesteck, Schneckenzange, Schneckengabel, Austerngabel, Hummerbesteck, Frites-Spieße ..."

Es gibt so etwas wie hingebungsvolle Routine. Wenn Jean-Paul Vaugoin die Standardteile eines überkompletten Bestecksets präsentiert, dann spürt man, wie sehr ihm das Metier ans Herz gewachsen ist. Ursprünglich hatte der Spross der Silberschmiededynastie gar keine Ambitionen, den elterlichen Traditionsbetrieb Jarosinski & Vaugoin in sechster Generation zu übernehmen – aber oft legt einem das Leben unerwartet Bahnen, die zu unerwartet positiven Resultaten führen. Und so führt Vaugoin seit fast 20 Jahren das Geschäft.

Mitte des 19. Jahrhunderts gab es in Wien noch 300 Silberschmieden, heute nur mehr Jarosinski & Vaugoin im siebenten Bezirk. Heuer feiert man in dem Biedermeierhaus das 175-jährige Firmenjubiläum. An der Schmiedearbeit hat sich wenig geändert, das Produktsortiment ist gewachsen.
Foto: Christian Fischer

Von Spaten und Faden

Mitte des 19. Jahrhunderts gab es in Wien noch an die 300 Silberschmieden – heute nur mehr diese eine. Mit viel Hingabe und Einsatz ist es gelungen, Jarosinski & Vaugoin ins 21. Jahrhundert zu bringen, heuer feiert man das 175-jährige Firmenjubiläum. Der nur recht sanft renovierte Verkaufsraum im hübschen Biedermeierhaus in Neubau ist ein stolzer Zeuge der Geschichte. Es gibt silberne Sektkübel, Sektschalen (innen vergoldet, weil die Säure das Silber angreifen kann), Wasserbecher, Tabletts, Kelche … und natürlich den Bestseller, das Besteck aus gepresstem Silber. "Dadurch wird das Silber um vieles härter, als wenn es gegossen würde", erklärt Vaugoin.

Im Spezialschrank, in speziell hergestellten Kassetten, ausgeschlagen mit Leder ("ungegerbt, weil die Gerbstoffe nicht gut fürs Silber sind"), lagern Musterstücke in fast 200 Formen, vom klassischen "Augsburger Spaten" bis zum geradlinigen Fifties-Design. Mit oder ohne "Faden" (die Linie den Griff entlang), mit kurzen oder längeren Zinken, mit rundem oder spitzem Löffelblatt. Aber natürlich können fast alle Sonderwünsche erfüllt werden, mit etwas finanziellem Aufwand auf Kundenseite. "Es dauert meist ewig, bis unsere Kunden sich für ein Besteck entscheiden. Und man sieht dabei auch gut, wie manche Ehen funktionieren. Manche Ehemänner sagen: ,Mir ist es wurscht, meine Frau soll das aussuchen‘, andere sind in jedes Detail involviert." Alles ist möglich, sogar ein Ausflug ins goldene Zeitalter: "Wir hatten einmal eine Anfrage: Eine Dame am Tegernsee wollte ein Besteckset aus Gold für zwei Personen. Da wären alleine die Materialkosten auf 600.000 Euro gekommen. Es lag aber nicht am Preis, dass daraus nichts geworden ist, sondern der Mann ist leider kurz darauf verstorben."

Foto: Christian Fischer

Silber ist vergleichsweise günstig, der Kilopreis liegt derzeit bei rund 700 Euro – für einen Vaugoin’schen Silberlöffel muss man ab etwa 400 Euro rechnen. Schließlich sind sie mit erheblichem Aufwand hergestellt. Das sieht man, wenn man die Werkstatt hinter dem Verkaufsraum betritt: Hier regiert das Eisen, und das Silber muss sich fügen. Im Wandschrank liegt der "Schatz" des Hauses – nein, nicht das Silber, das wird nur jeweils nach Bedarf angeliefert. Der wahre Schatz, das sind die Pressformen für die Bestecke: ganz für sich selbst wunderschön anzusehen und teilweise so alt wie die Manufaktur selbst.

Da wackelt das Haus

In einem anderen Kasten, eher hinten im Eck, lagert noch ein Relikt aus der Vergangenheit: Pressformen mit hunderten Familienwappen in unterschiedlichen Größen. "Die wurden früher gepresst, ausgesägt und dann auf die Bestecke gelötet. Die Formen sind alle fein säuberlich nummeriert – nur leider ist das Buch verloren gegangen, in dem die zu den Nummern gehörigen Familiennamen standen. Aber wir haben die Formen trotzdem aufgehoben, sie sind so hübsch."

Im Zentrum der Werkstatt prangt die Presse, eine raumhohe Maschine mit Elektromotor und Ledertransmission, mit der die gestanzten Rohlinge aus Silber in ihre Form gepresst werden. "Mit einem Druck von 110 Tonnen. Wenn wir pressen, geht es ordentlich zur Sache. Da wackelt das Haus." Was im ständig schicker werdenden siebenten Bezirk ein Problem darstellt: "Hier hat sich die Struktur wahnsinnig verändert. Früher war hinter uns in der Lindengasse eine Druckerei, denen war es völlig wurst, die waren lauter als wir. Heute sind das Shared-Space-Offices, und die haben’s nicht so gern, wenn wir pressen während ihrer Telekonferenz."

"Wenn wir pressen, geht es ordentlich zur Sache. Da wackelt das Haus", sagt Jean-Paul Vaugoin.
Christian Fischer

Sie werden noch eine Zeitlang damit leben müssen, das Geschäft läuft gut. Vor Corona kamen die Kunden vor allem aus Japan und dem arabischen Raum – mittlerweile sind die Hauptabsatzgebiete einerseits Südostasien, andererseits die reiche westliche Welt, von Südfrankreich bis Hollywood. Es gibt immer wieder Designkooperationen mit Künstlern, besonders stolz ist Vaugoin auf die Zusammenarbeit mit drei Pariser Sternerestaurants. "Die kreieren ihr Menü um unsere Produkte herum, nicht umgekehrt. Eine große Ehre!"

Normalerweise gibt es in Restaurants kaum Silberbesteck – wegen des "Schwundes", wie man so schön sagt. "Es wird gestohlen, vor allem wenn es gebrandet ist. Man kann die Stücke nicht weiterverkaufen, aber es ist halt ein Sport. Genauso, wie früher jeder ein Lauda-Air-Besteck in der Schublade hatte." Bleibt also nur selber kaufen – oder davon weiterträumen, wenn man finanziell auf der eher realistischen Seite gebettet ist. Aber das kann man dafür endlos tun – denn die eingangs erwähnten Besteckteile sind nur der Anfang. Vaugoin: "Natürlich kann man jedes Besteck noch weiter komplettieren: Es gibt spezielle Maisspieße für gegrillte Maiskolben. Die Traubenschere – die hat keine Schneidefunktion, der Gastgeber sollte die Trauben bereits portioniert haben. Den Hendlhaxenhalter, um das Backhendl einzuspannen. Geflügelschere, Lobsterschere. Und Sektquirle in verschiedenen Versionen – die sind aber heutzutage eher Ladenhüter. In den 60er-Jahren haben wir sie dutzendweise verkauft." Und Essstäbchen, gibt’s die auch? "Ja, haben wir natürlich. Aber da braucht man nur ein einziges Paar pro Essen – der Markt ist also endenwollend." (Gini Brenner, 23.5.2022)