Grischa Bruskins Installationen waren 2017 offizieller russischer Beitrag in Venedig, heute sind sie verboten.

Herwig G. Höller

Der Krieg gegen die Ukraine sorgt auch im bereits zuvor schon autoritär geführten Russland für eine merkliche Verschärfung des Gesellschaftsklimas. Das lässt eine Gleichschaltung des öffentlichen Kunstbetriebs befürchten. Kulturschaffende, die sich öffentlich gegen die "militärische Spezialoperation" positionieren, müssen bereits jetzt fürchten, in ihrer Heimat nicht mehr auftreten zu dürfen, nicht mehr ausstellen zu können, nicht mehr gekauft zu werden.

"Dort (in der Ukraine, Anm.) kämpfen unsere Burschen, und hier blicken dir Akunin-Buchdeckel von den Verkaufsregalen entgegen", sagte Ende April die Vorsitzende des Kulturausschusses in der Duma, Jelena Jampolskaja. Sie ist empört darüber, dass Romane des Kriegskritikers Boris Akunin weiterhin in Moskauer Buchgeschäften angepriesen würden. Dies sei "unerträglich und teuflisch". Sie werde dem Buchhandel "unangenehme Fragen" stellen, sagte Jampolskaja und erinnerte an staatliche Förderungen für die Branche während der Corona-Pandemie. Überraschend war lediglich, dass die Kreml-Kulturpolitikerin keine Gesetze ankündigte, die unliebsame Autorinnen und Autoren einfach boykottieren ließen.

Hausdurchsuchungen bei Freunden

Eine für 9. Mai geplante Kunstaktion dürfte indes von den russischen Geheimdiensten vereitelt worden sein. Der auf inszenierte Landschaftsfotografie spezialisierte Danila Tkatschenko, einer der wichtigsten russischen Fotokünstler seiner Generation, hatte laut eigenen Angaben geplant, am Rande der großen Moskauer Militärparade die ukrainischen Nationalfarben in den Himmel zu malen. Ferngesteuerte Klimaanlagen hätten aus einer Wohnung in Kreml-Nähe den Inhalt von 140 gelben und blauen Rauchgranaten blasen sollen, erzählte der 32-Jährige dem Onlineportal meduza.io.

Nachdem er Russland rechtzeitig verlassen hat, habe er aus unbekannten Gründen die Anlage jedoch nicht aktivieren können. Wenige Stunden später sei es bei Angehörigen und Freunden zu Hausdurchsuchungen gekommen. Im eingeleiteten Strafverfahren würden alle bislang jedoch nur als Zeugen geführt werden, erklärte Tkatschenko auf Nachfrage des STANDARD.

Verschärfung

Während Schritte gegen konkrete Personen lediglich wie die Verschärfung eines bekannten Trends anmuten, lassen Vorgänge in der Moskauer Tretjakow-Galerie eine staatliche Kampagne gegen zeitgenössische Kunst insgesamt befürchten. Mehr als drei Monate vor dem geplanten Ausstellungsende wurde Mitte April überraschend eine Retrospektive von Grischa Bruskin zugesperrt. Zu sehen waren unter anderem jene Installationen, die der prominente Künstler noch 2017 als Vertreter Russlands auf der Biennale von Venedig gezeigt hatte.

Offiziell wurde die Schließung mit "technischen Gründen" erklärt, unbeantwortet blieb die Frage, weshalb gleichzeitig alle Verweise auf die Ausstellung von der Homepage des Museums verschwinden mussten. In der Kunstszene war die Schließung mit dem angeblichen Ausstellungsbesuch eines hochrangigen Vertreters des Kulturministeriums in Verbindung gebracht worden. Bruskins Reflexionen über Kollektivismus und Militarismus hätten dem Bürokraten, der von Geheimdienstlern begleitet worden sein soll, nicht behagt.

Denunziation

Eine in diesem Museum bereits aufgebaute Sammlungsausstellung, die den künstlerischen Underground der späten Sowjetunion mit aktueller russischer Kunst kontextualisiert, harrt seit Ende April ihrer Eröffnung. Die Verzögerung wird mit "technischen Gründen" erklärt. "Die Situation ist wie bei Bruskin – das Problem sind nicht konkrete Kunstwerke, sondern die Ausrichtung", sagte ein involvierter Künstler. Informierte Gesprächspartner hätten ihm von "vielen Denunziationen" gegen die noch nicht eröffnete Schau berichtet. Die Pressestelle des staatlichen Museums, das sich unter Direktorin Selfira Tregulowa eigentlich durch politische Loyalität auszeichnete, ließ eine Anfrage des STANDARD unbeantwortet.

Während in der russischen Hauptstadt die institutionellen Perspektiven der zeitgenössischen Kunst entschieden sind und hinter den Kulissen in Institutionen auch Widerstand gegen staatlichen Druck geleistet wird, ist die Situation in der Provinz prekärer. Zehn Jahre lang hatte die umtriebige Künstlergruppe ZIP mit Enthusiasten im südrussischen Krasnodar die "Tipografija" aufgebaut, eines der wichtigsten nichtstaatlichen Kunstzentren des Landes.

Zuruf des Geheimdienstes

Dessen Erfolgsgeschichte ist nun zu Ende: Das Justizministerium, das deutlich spürbar auf Zuruf des Inlandsgeheimdienstes FSB agierte, erklärte die ursprünglich in einer Druckerei untergebrachte Institution am 7. Mai zum "ausländischen Agenten". Ein weiter laufender Betrieb gilt derzeit als ausgeschlossen. Unter aktuellen Bedingungen wäre das für die Involvierten mit zu hohen persönlichen Risiken verbunden. (Herwig G. Höller, 26.5.2022)