Literatur- und Kulturwissenschaftler Clemens Ruthner kritisiert in seinem Gastkommentar, dass Österreichs Unis sich personell nicht international aufstellen, sondern hier viel zu sehr auf das Nachbarland Deutschland setzen. Lesen Sie dazu auch die Replik von Johannes Odendahl von der Universität Innsbruck.

"Du wirst schon sehn. Das nächste Mal kommen sie nicht mit Panzern, sondern mit Aktentaschen", pflegte meine Großmutter zu sagen. Und sie sollte auf ihre Weise recht behalten. Die Rede ist von den Deutschen – nach dem Untergang Jugoslawiens die größte Migrationsgemeinde Österreichs.

Wohlgemerkt: Es ist verständlich, dass unsere Lieblingsverwandten jenseits des Walserbergs wegen der sprachlichen Nähe und höheren Lebensstandards gerne in der Alpenrepublik leben und arbeiten wollen, und es sei ihnen unbenommen. Die nun folgende Kritik ist denn auch gar nicht als billiges Piefke-Bashing misszuverstehen, vor dem der Autor allein schon biografisch gefeit ist – sind doch seine Tochter und deren Mutter beide deutsche Staatsbürgerinnen.

Es soll hier also nicht um jenen aggressiven Minderwertigkeitskomplex gehen, wie er symptomatisch für die österreichische Seele mehrerer Generationen war – sondern um eine bedauerliche akademische Fehlentwicklung, die auch neutrale Experten wie der US-amerikanische Habsburg-Historiker Pieter Judson wahrgenommen haben, als sie 2017 gegen die Berufungspolitik der Uni Graz protestierten: Dort sind inzwischen gut zwei Drittel aller Professuren der geisteswissenschaftlichen Fakultät fest in deutscher Hand; an der Klagenfurter Germanistik ebenso wie an der Wiener Romanistik sind es inzwischen alle Professuren.

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Die Universität Wien hat ab Oktober einen neuen Rektor: den deutschen Kunsthistoriker Sebastian Schütze.
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So sehr dies nun in Disziplinen wie Geschichte und Germanistik (und meinetwegen: Medizin) EU-logisch klingen mag, so ist es in anderen schlichtweg unverständlich: Warum muss eine Professorin für romanistische Literaturwissenschaft aus Deutschland kommen und nicht aus Italien oder Frankreich? Es scheint, als wäre man in Österreich unbedarft den Schweizer Weg gegangen, der da heißt: Germanisierung statt Internationalisierung – was dort dazu führt, dass zum Beispiel die Lehrstühle für deutschsprachige Literatur nicht mehr viel mit dem tatsächlichen Kulturbetrieb des Landes zu tun haben.

Auf jeden Fall führt es zu Entfremdung, Verwerfungen und Rückkopplungseffekten. Wenn sich in Klagenfurt eine (deutsche) Germanistikprofessorin lautstark beklagt, dass ihre Studierenden aus dem tiefsten Gailtal "erst mal ordentlich Deutsch" lernen müssten, so wird das – selbst wenn diese Beobachtung berechtigt wäre – bei allem missionarischen Eifer wenig geeignet sein, das Problem zu beheben und die Betroffenen didaktisch aufzufangen.

Fruchtbarer Mix

Als Gegenbeispiel zu all diesen Fehlleistungen kann ich nur meine Uni, das Trinity College Dublin, anführen, wo man es geschafft hat, einen für Lehre und Forschung äußerst fruchtbaren internationalen Mix ohne viel Anstrengung herzustellen. An meinem Germanistikinstitut etwa arbeiten drei Kolleginnen und Kollegen aus Irland, vier aus Deutschland (einer ist Experte für Schweizer Literatur und spricht ausgezeichnet Schwyzerdütsch), zwei aus Österreich sowie eine Französin und eine britische Staatsbürgerin. In der Romanistik unterrichtet eine in Italien aufgewachsene Britin Französisch, aber auch ein Kollege aus Ruanda, und in der Anglistik, die weltweit zu den Besten zählt, gibt es eine Kollegin aus Deutschland und zwei aus Polen, neben Irinnen, Briten und US-Amerikanerinnen.

In Wien indes hatte man seinerzeit einem hochqualifizierten Kanadier an der Germanistik (angeblich wegen seines Akzents) eine Stelle verwehrt. Auf der anderen Seite der Medaille steht dann jene deutsche Großprofessorin in Wien, die es vor einigen Jahren ablehnte, eine Dissertation zu Heimito von Doderer zu betreuen – mit der Begründung, sie mache "keine Regionalliteratur". Der Fall ging durch die Presse. Aber kann man diesem gesamtösterreichischen Trend zur Germanisierung noch irgendetwas entgegensetzen?

"Einige der neuen Professorinnen und Professoren haben sich ausgezeichnet integriert, die meisten jedoch sitzen schnell im Zug nach Berlin, wenn das Wochenende naht, und haben als Integrationsleistung maximal ein Opern-Abo vorzuweisen."

Eines muss man nämlich den Deutschen lassen: ihre konsequente Nachwuchsförderung, die zu einer Unmenge an Habilitationen (und damit arbeitslosen Privatdozenten) führt – wodurch die Bundesrepublik im Übrigen auf ihre Weise eben auch das Bildungssystem des Auslands (insbesondere der USA) unterstützt. Für jede/n österreichische/n Bewerber/in heißt das aber letztlich, dass er oder sie bei jedem Bewerbungsverfahren rein quantitativ gegen geschätzte zehn Konkurrentinnen und Konkurrenten aus dem Norden spielt; Superheldinnentum wird also vorausgesetzt, wie ich selbst erlebt habe.

Hierzulande hat man freilich auch die neuen Kolleginnen und Kollegen gründlich unterschätzt, gemäß dem guten alten Stereotyp vom mangelnden "deutschen Fingerspitzengefühl". Einige der neuen Professorinnen und Professoren haben sich ausgezeichnet integriert, die meisten jedoch sitzen schnell im Zug nach Berlin, wenn das Wochenende naht, und haben als Integrationsleistung maximal ein Opern-Abo vorzuweisen. Aber sie haben Netzwerke gebildet, dominieren Kommissionen und Ausschüsse, holen Leute nach, werden Dekaninnen, Senatoren et cetera. So gesehen ist es nur eine logische Konsequenz, dass der ehemalige Bildungsminister und nunmehrige Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ebenso deutsche Wurzeln hat wie der frisch gewählte Rektor der Uni Wien.

Um Jahre zu spät

Jetzt gegen dieses "friendly takeover" etwas unternehmen zu wollen und für die österreichische Identität wichtige Bereiche der akademischen Infrastruktur abzusichern – wie dies in Frankreich immer noch geschieht –, käme daher zehn bis 20 Jahre zu spät. Ich bemerke freilich an vielen Instituten eine Spannung zwischen den von außen gekommenen (das heißt lokal meist ahnungslosen) deutschen Professorinnen und Professoren und einem aggressiv frustrierten österreichischen Mittelbau.

Als Gegenmittel stünde immer noch die echte Internationalisierung auf der Tagesordnung: Diversität statt Deutschland? Denn sonst wird die Uni Wien, zurzeit die größte des deutschsprachigen Raums, wohl irgendwann Paderborn 2. (Clemens Ruthner, 24.5.2022)