Im isländischen Hellisheiði werden CO2-Moleküle aus der Atmosphäre gesammelt und im Basaltboden mineralisiert.

Foto: AFP/HALLDOR KOLBEINS

Kurz vor der Ankunft in Hellisheiði rumpelt das Auto auf der unebenen Straße. Die restliche Fahrt von der Hauptstadt Reykjavík ins isländische Hinterland war ruhig, wenngleich einsam. Entgegenkommendes Fahrzeug treffen wir während der 30-minütigen Fahrt kein einziges, dafür sehen wir jede Menge Lavabrocken. Kilometerlang zieht das schwarze und graue Vulkangestein über die Landschaft. Umso heller die Steine sind, desto länger liegt der Ausbruch zurück. Ist die 800-Jahr-Marke überschritten, wächst wieder Moos.

Mitten in diesem Nirgendwo steht ein der Hochebene Hellisheiði nach benanntes Geothermiekraftwerk – Island ist weltweit Spitzenreiter bei der Nutzung von Erdwärme und versorgt mit sechs großen Geothermiekraftwerken 90 Prozent der Haushalte.

Das Kraftwerk in Hellisheiði hat außerdem einen speziellen Abnehmer: Die Anlagen der Start-ups Climeworks und Carbfix, die nichts weniger versucht haben, als den Klimawandel umzukehren. Daher schlängeln sich deren Rohre über den umliegenden Basaltboden, bis sie in silbernen Iglus verschwinden. Darin graben sie sich bis zu zwei Kilometer tief in den Boden.

Letzte Ruhestätte für das Klimagas

Hinter Climeworks steht eine Schweizer Technologie, die CO2-Moleküle aus der Luft saugt. Carbfix wiederum gehört zu Reykjavík Energy. Deren Geoengineering-Methode CCS (Carbon Capture and Storage) verspricht das zuvor eingefangene Kohlenstoffdioxid dauerhaft zu entfernen, indem es ihm Boden gespeichert und mineralisiert wird.

Dafür braucht es laut Carbfix-Mitarbeiter Ólafur Teitur Guðnason nur drei Zutaten: geeignete geologische Formationen, ausreichend Wasser und Kohlenstoffdioxid. Das CO2 wird mit hohem Druck in Wasser gepresst und rund zwei Kilometer tief in den Basaltboden gespritzt. Während das Gemisch durch den löchrigen Stein fließt, löst das CO2 Metalle aus dem Basalt, die sich wiederum mit dem Kohlenstoffdioxid verbinden und in den Löchern verfestigen. 100 Kilogramm CO2 können laut Guðnason in einem Kubikmeter Gestein gebunden werden. Das Wasser fließt zurück ins Grundwasser. Es ist nicht kontaminiert.

Dies ist ein natürlicher Prozess und der Grund dafür, dass 99 Prozent des weltweiten CO2-Vorkommens in geologischen Formationen gespeichert ist, erklärt Guðnason. Lediglich ein Prozent schwimmt und schwirrt durch Ozeane und Luft. Die Carbfix-Methode verkürzt diesen natürlichen Prozess, der sonst rund tausend Jahre andauert, auf zwei Jahre.

Da sowohl Wasser als auch Basaltgestein in Island zuhauf vorhanden ist, arbeitet das Start-up derzeit an einem Verteilerzentrum, an dem CO2 künftig aus Nordeuropa angenommen werden kann. Erklärtes Ziel ist, bis zum Jahr 2031 drei Millionen Tonnen CO2 pro Jahr zu speichern. Derzeit mineralisiert Carbfix 12.000 Tonnen jährlich.

In solchen Iglus wird das CO2 bis zu zwei Kilometer in den Untergrund gepresst.
Foto: BKA/Arno Melicharek

Tausend Euro pro Tonne

Damit die CO2-Moleküle überhaupt aus der Luft gesaugt werden können, steht unweit der silbernen Carbfix-Iglus die Anlage der Schweizer Firma Climeworks. Sie sammelt das Kohlenstoffdioxid mittels Direct-Air-Capture-(DAC-)Verfahren aus der Atmosphäre.

Auf deren Website können Kundinnen und Kunden Abos zur CO2-Reduktion abschließen. Das Paket "Special Expedition" etwa kostet 100 Euro und verspricht 100 Kilogramm CO2 aus der Luft zu entfernen.

Ein Kilo CO2 kostet also einen Euro. Das ist ein stolzer Preis, zumal bei CO2-Ausstoß meist von Tonnen die Rede ist. "Wenn sich unsere Volkswirtschaft das leisten könnte, wären wir alle Klimaschützer", sagt Tobias Pröll. Der Verfahrenstechniker an der Universität für Bodenkultur in Wien beschäftigt sich seit Jahren mit der Thematik.

Wenn eine Tonne CO2-Kompensation tausend Euro kostete, würde das Kilo Schweinefleisch um fünf bis zehn Euro, ein Liter Diesel um drei Euro teurer werden, rechnet er vor.

Direkt am Schlot ist günstiger

Der Forscher erkennt das "sehr gute Marketing" von Carbfix und Climeworks an, sieht darin derzeit aber nur begrenzte Mittel gegen den Klimawandel – "zumindest solange noch Kamine rauchen". Vor allem das DAC-Verfahren sei nicht das erste To-do auf der Liste, wenngleich es in Zukunft eine Rolle im Kampf gegen den Klimawandel spielen könnte. Zu diesem Preis gebe es aktuell effizientere Maßnahmen, um CO2 einzusparen: Prozesse fördern, die weniger Diesel und Kohle verbrauchen, oder etwa den Ausbau erneuerbarer Energien.

Reines CO2 aus der Luft zu sortieren koste zehnmal mehr Energie, als das Abgas direkt im Kamin abzuscheiden, denn Luft besteht durchschnittlich nur aus 0,04 Prozent CO2. Pröll zieht den Vergleich mit einem Bällebad: 400 gelbe Bälle aus einer Million blauer zu sortieren dauert nicht nur sehr lange, sondern ist vor allem energieaufwendig.

Islands überschüssige Energie

Wenn schon CO2 abgeschieden werden soll, dann dort, wo es bereits in höherer Konzen tration vorliege, fordert Pröll. Etwa nahe einer Müllverbrennungsanlage, wo auf eine Million Luftteilchen 100.000 CO2-Moleküle kommen. Das Aussortieren gehe schneller und mit weniger Energieaufwand.

Nichtsdestoweniger sei die Abscheidung aus der Luft aber immer auf erneuerbare Energie angewiesen, die nicht sinnvoll anders genutzt werden kann und daher nichts kostet, ist Pröll überzeugt. Diese Möglichkeit besteht nur in wenigen Regionen wie etwa Island, wo tatsächlich ein Überschuss an grüner Energie besteht.

Carbfix hingegen demonstriert aus Sicht des Forschers das Potenzial, das geologische Formationen im Kampf gegen den Klimawandel beinhalten. "CO2 macht nichts Böses in der Erde, solange es an der richtigen Stelle in das richtige Gestein gebracht wird", sagt Pröll. Derartige Speicher seien zur Erreichung der Klimaziele notwendig, um Kohlenstoffdioxid aus Industrieanlagen und Biomassekraftwerken zu mineralisieren.

CO2-Speicher-Verbot in Österreich

Die geologische Speicherung von Kohlenstoffdioxid ist in Österreich seit 2011 verboten. Eine Evaluierung des Bundesgesetzes soll kommendes Jahr stattfinden. Währenddessen lässt sich Jugendstaats sekretärin Claudia Plakolm die Carbfix-Technologie in Hellisheiði im Zuge einer Arbeitsreise erklären. "Wir müssen verstärkt auf Innovation und Technologie statt auf Verbote und Verzichtsdebatten setzen – insbesondere im Hinblick auf die Dekarbonisierung der Indus trie", sagt sie. Hierzulande würden wir noch über zu lange Genehmigungsverfahren beim Ausbau erneuerbarer Energien stolpern.

Auf dem europäischen Festland kann sich Pröll aber keine CO2-Speicher vorstellen. Ein Bau sei allein schon wegen der Sicherheitsbedenken der Bevölkerung unwahrscheinlich. Dass etwa im Weinviertel ein CO2-Speicher gebaut wird, davor müsse sich niemand fürchten. Derartige Technologien seien besser dort anzuwenden, wo Menschen nicht direkt betroffen sind. Das ist in Hellisheiði definitiv der Fall. Menschen begegnet man erst wieder in Reykjavík. (Julia Beirer aus Hellisheiði, 26.5.2022)