Wadym S., ein 21-jähriger Panzersoldat aus Sibirien, hat nach Auffassung des Gerichts am 28. Februar nahe Kiew einen Zivilisten erschossen.

Foto: APA/AFP/SERGEI SUPINSKY

Knapp drei Monate nach Kriegsbeginn ist in der ukrainischen Hauptstadt Kiew am Montag der erste russische Soldat wegen Kriegsverbrechen verurteilt worden. Wadym S., ein 21-jähriger Panzersoldat aus Sibirien, hat nach Auffassung des Gerichts am 28. Februar nahe Kiew einen 62-jährigen Zivilisten erschossen. Lebenslang – so lautete wenig überraschend das Urteil. "Ich bereue es sehr. Ich habe mich nicht geweigert, und ich bin bereit, alle Maßnahmen zu akzeptieren, die verhängt werden", sagte S. vor dem Urteilsspruch. Der Anwalt des Soldaten hatte mit Hinweis auf Befehlsnotstand auf Freispruch plädiert. Ob S. sein Recht auf Berufung in Anspruch nimmt, ist unklar.

Im Osten der Ukraine, wohin sich der Krieg in den vergangenen fünf Wochen mehr und mehr verlagert hat, stehen die Zeichen indes auf Stellungskrieg. Nach Angaben des ukrainischen Generalstabs beschränken sich die russischen Truppen dort weitgehend darauf, ihre Stellungen im Norden der Großstadt Charkiw zu verteidigen.

Offensive bei Slowjansk

In Slowjansk, einer Großstadt im Donbass, wo 2014 der Konflikt zwischen prorussischen Milizen und ukrainischen Truppen begann, bereitet sich Moskau auf eine neue Offensive vor. Beim Versuch, die Straße zwischen Isjum und Slowjansk zu erobern, die als strategisch höchst bedeutsam gilt, sollen russische Truppen nach ukrainischen Angaben zurückgeschlagen worden sein. Britischen Geheimdienstangaben zufolge steigen die russischen Verluste auch abseits davon immer weiter: Mit mindestens 15.000 getöteten Soldaten übersteigt die Opferzahl in dem seit drei Monaten andauernden Ukraine-Krieg bereits jene der neun Jahre Afghanistankrieg in den 1980er-Jahren, der als Katalysator für den wenig später erfolgten Zerfall der Sowjetunion gilt.

Wohl auch deshalb wächst in Kiew nun die Sorge, dass sich ein zwar klar positionierter, gleichwohl bisher aber nicht selbst in den Krieg verwickelter Nachbar einmischen könnte: Belarus.

Der ukrainische Generalstab befürchtet, der dortige Machthaber Alexander Lukaschenko könnte in den Krieg eingreifen. "Die belarussischen Streitkräfte führen verstärkt Aufklärung durch und haben zusätzliche Einheiten im Grenzbereich aufgestellt", hieß es aus Kiew. Lukaschenko, der am Montag in Sotschi Russlands Präsidenten Wladimir Putin trifft, bestreitet stets ein geplantes direktes Engagement.

Das von Putin abhängige Regime hat bisher zwar keine eigenen Truppen in die Ukraine geschickt; indem es Belarus als Aufmarschgebiet zur Verfügung stellte, leistete es dem Nachbarn aber wertvolle Dienste.

"Verleumdung"

Am Montag wurde zudem bekannt, dass Ex-Außenministerin Karin Kneissl ihr Aufsichtsratsmandat beim russischen Mineralölkonzern Rosneft zurücklegt – drei Tage nach dem deutschen Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und knapp drei Monate nach Kriegsbeginn.

Auf Twitter erklärte Kneissl, sie habe Rosneft bereits im März mitgeteilt, nicht für eine Wiederbestellung zur Verfügung zu stehen. Sie habe es als ihre Pflicht angesehen, ihren Vertrag zu erfüllen – und sie ortet eine "systematische Verleumdung" durch die Presse. Am Freitag hatte das EU-Parlament Sanktionen gegen Schröder und sie gefordert.

Rücktritt aus Protest

Auch ein russischer Diplomat am UN-Sitz in Genf gab am Montag seinen Rückzug bekannt. Allerdings mit einer umfassenderen Erklärung als Kneissel: In den 20 Jahren seiner diplomatischen Laufbahn habe er sich "nie so sehr für mein Land geschämt wie am 24. Februar dieses Jahres", schrieb Boris Bondarew in seinem am Montag bekanntgewordenen Rücktrittsschreiben unter Bezug auf den Beginn des russischen Angriffskriegs vor drei Monaten.

Die Invasion im Nachbarland bezeichnete Bondarew als "Verbrechen nicht nur gegen das ukrainische Volk, sondern auch als das vielleicht schwerste Verbrechen gegen das russische Volk". Der Buchstabe "Z" – Symbol für die Unterstützung des Angriffskriegs – durchkreuze "alle Hoffnungen und Aussichten auf eine florierende freie Gesellschaft in unserem Land". (Florian Niederndorfer, fmo, 24.5.2022)