Im beschaulichen Bad Urach, wo nur die Schwäbische Alb die Giebel der Fachwerkhäuser überragt, sind die Menschen offenbar besonders erfinderisch. Ein Bäckermeister namens Frieder soll hier die erste Brezel in ihrer typisch geflochtenen Form, durch die dreimal die Sonne scheinen kann, gebacken haben. Und ab 1893 hat ein gewisser Gustav Magenwirth mit dem nach ihm und der Stadt benannten Unternehmen Magura – die Zweiradbranche nachhaltig geprägt.

Den Grundstein für den Erfolg des Familienunternehmens legte Magenwirth 1923 mit der Erfindung des Geradezugregulierungshebels, erzählt Urenkel Fabian Auch, der an der Spitze von Magenwirth-Technologies, dem Mutterkonzern von Magura, steht. Die zungenbrecherische Erfindung des Uropas war zugleich der Beginn der bis heute dauernden Kooperation mit BMW. Seit 100 Jahren hat kein Motorrad der Bayern das Werk ohne Magura-Komponenten verlassen, betont Auch stolz.

Komponenten für Fahrräder werden meist in Asien produziert. Es gibt Ausnahmen, und die haben sich bewährt.
Foto: Maguro

"Alles, was Mensch und Maschine über die Hand verbindet, das ist Magura", erklärt Magenwirths Urenkel. Selbst der sogenannte Totmannhebel bei Rasenmähern, der das Schneidmesser beim Loslassen automatisch stoppt, ist eine Erfindung aus Bad Urach.

Schwabenanker

1987 sind die Schwaben in die Fahrradbranche eingestiegen. Mit der ersten hydraulischen Felgenbremse der Welt, der Hydro-Stop, setzten sie neue Maßstäbe. Neun Jahre später folgte die erste hydraulische Scheibenbremse für Mountainbikes, die Gustav-M.-Radl-Bremsen firmieren in der Bikeszene unter dem selbsterklärenden Namen "Schwabenanker". Die jüngsten MT-Modelle haben diesen Ruf nach einigen durchwachsenen Jahren, in denen Magura Marktanteile an globale Mitbewerber wie Shimano und Sram verloren hat, wieder gefestigt.

Zuletzt profitierten die Bad Uracher vom Boom in der Fahrradbranche. Lag der Jahresumsatz 2018 bei 139 Millionen Euro, setzten die rund 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter 2021 trotz Corona-Krise knapp 190 Millionen um – Tendenz steigend. Zwei Drittel des Umsatzes entfallen auf das Fahrradgeschäft, nur mehr ein Drittel auf Motorradkomponenten. "Vor 20 Jahren war das andersrum", sagt Magura-Geschäftsführer, Michael Funk.

Die Schwaben sind lange belächelt worden, weil sie am Hauptsitz auf der Alb festhielten.
Magura

Sitz der Geschäftsleitung ist das Gründerhaus in Bad Urach, das mitten im Firmenareal steht. "Mein Vater hat sein Büro in seinem früheren Kinderzimmer", beschreibt Auch den familiären Geist. Eine weitere Besonderheit ist die Weihnachtssalami, die man allen Angestellten als Geschenk unter den Christbaum legt. "Diese Tradition stammt aus den kargen Nachkriegsjahren, damit niemand zu Weihnachten hungrig bleiben musste", erklärt Auch. Der Mittvierziger sieht selbst aus wie die typische Zielgruppe – vor allem am Mountainbike. Sportlich, beruflich erfolgreich, grau melierter Haaransatz, legere Turnschuhe zu Jeans und Sakko.

Höhere Personalkosten

Die Schwaben sind lange belächelt worden, weil sie am Hauptsitz auf der Alb festhielten. "Wir haben die höheren Personalkosten durch höheren Automatisierungsgrad in der Produktion ausgeglichen", sagt Funk. Durch die nahe Konkurrenz der Automobilindustrie rund um Stuttgart war es dennoch oft nicht einfach, Fachpersonal zu finden.

Während der Corona-Krise, als die Lieferketten aus Asien ins Stocken gerieten, war der Standort Bad Urach plötzlich wieder Gold wert. Zwar unterhält Magura seit zehn Jahren auch ein Werk in Taiwan, allerdings nur, um damit die großen Radhersteller direkt zu beliefern, die dort produzieren. Die Magura-Fertigungsstraßen für Taiwan werden in Bad Urach entworfen und gebaut.

Die Magura-Fertigungsstraßen für Taiwan werden in Bad Urach entworfen und gebaut.
Magura

Zuletzt hatten auch die Schwaben mit Lieferengpässen zu kämpfen, wie Funk erklärt: "2021 brannte die Fabrik in Texas, aus der wir das Kunststoffgranulat beziehen, das Rohstoff für viele unserer Produkte ist. Plötzlich war nichts mehr verfügbar, weil es nur wenige Produzenten gibt. Das war eine sehr kritische Situation." Aktuell gibt es Engpässe bei Steuerelementen für die Produktionsstraßen, wie Funk sagt: "Wir würden gerne ausbauen, aber das ist derzeit schwer."

Man fahre angesichts der Krise weiter "auf Sicht", erklärt Funk: "Wir leben in einer Welt, in der Planung fast unmöglich geworden ist." Wachstum sei zwar immer ein Thema für ein Unternehmen wie Magura, sagt Funk, aber: "Wir wollen nicht um jeden Preis zulegen." Zuletzt hat der Konzern hinter Magura ein portugiesisches Unternehmen aus dem Bereich Kunststoffdruckguss gekauft, um die eigenen Lieferketten abzusichern. Denn wichtig sei für das Familienunternehmen Kontinuität, betonen Auch und Funk: "Wir denken langfristig. Die Kunden sollen auch in fünf Jahren noch zufrieden mit uns sein."

Die Übernachtung in Bad Urach erfolgte auf Einladung von Magura. (Steffen Arora, 24.5.2022)