Bei DER STANDARD VOR|ORT verlegen Redakteurinnen und Redakteure ihren Arbeitsplatz vorübergehend in spannende Regionen Österreichs. Franziska Zoidl berichtet aktuell aus Bad Gastein in Salzburg.

Die Tische waren noch gedeckt, als würden gleich die Gäste zum Abendessen erscheinen. Das Gästebuch war aufgeklappt. In das Hotel Straubinger im Zentrum von Bad Gastein sollten aber lange keine Gäste mehr kommen, 1999 schloss es seine Türen endgültig.

Fast 20 Jahre später betraten die Wiener BWM-Architekten das altehrwürdige Grandhotel unweit des berühmten Wasserfalls. Sie waren vom neuen Eigentümer, der deutschen Hirmer-Gruppe, mit der Revitalisierung beauftragt worden und fanden das verlassene Hotel vor, als wäre die Zeit stehen geblieben. Diesen Eindruck bekommt man in Bad Gastein an vielen Ecken. Der Ort hat sich in Form spektakulärer Hochhäuser aus der Belle Époque auf steilen Hängen um den berühmten Wasserfall angeordnet, was ihm in seiner Glanzzeit den Namen Monte Carlo der Alpen eingebracht hat.

Es tut sich etwas im Ort: Am Straubingerplatz entstehen zwei Hotels in ehemals leerstehenden Häusern.
Foto: BWM Architekten/ Eduardo Gellner

Verändertes Urlaubsverhalten

Doch der einst mondäne Kurort geriet vor Jahrzehnten ins Straucheln. Manche Hoteliers hätten angesichts der glamourösen Gäste – Falco war hier, der Schah von Persien, Liza Minnelli – irgendwann den Boden unter den Füßen verloren, meint ein Einheimischer, der, wie so viele hier, nicht namentlich genannt werden will. Die Hochhäuser seien zwar spektakulär anzuschauen, aber durch die vielen Stockwerke teils so personalintensiv, dass sie gar nicht wirtschaftlich betrieben werden könnten. Auch das Urlaubsverhalten der Menschen änderte sich mit den Jahren.

1999 kam der "Retter von Bad Gastein", zumindest wurde er so angepriesen: Der Wiener Franz Duval kaufte mit einem Partner fünf Gebäude und damit fast das ganze Ortszentrum um fünf Millionen Euro. Den Ort rettete er nicht – im Gegenteil: Er ließ die Häuser leer stehen. Vom Wasserfall aus konnte man den einst prachtvollen Gebäuden, in denen Franz Joseph und der deutsche Kaiser Wilhelm I. residiert hatten, beim Verfall zuschauen.

Warum der mittlerweile verstorbene Franz Duval, der sein Geld mit Garagen in Wien gemacht hatte, nie zur Tat schritt, dafür gibt es im Ort viele Erklärungen. Ob aus Rache, Böswilligkeit oder wegen einer Verkettung unglücklicher Umstände: Das Ortszentrum starb aus. Bis das Land Salzburg dem Eigentümer die drei Gebäude 2017 um sechs Millionen Euro abkaufte und sie um 7,5 Millionen Euro an die deutschen Investoren weiterverkaufte, die neuen "Retter" des Ortes. Aufgrund der Geschichte des Ortes waren viele skeptisch. Drei Kräne drehen sich aber endlich am Straubingerplatz. Wo einst Kurgäste flanierten, eilen nun Bauarbeiter herum. Das Straubinger, das Badeschloss und die Alte Post werden saniert und erweitert.

Baustellenschauen

An der Absperrung stehen oft Schaulustige, die derzeit weniger den Wasserfall bestaunen als die Baustelle. "A Wahnsinn" hört man hier relativ oft. Im Hintergrund, an den Berg gedrängt, ist ein 35 Meter hoher Turm in die Höhe gewachsen. 150 Hotelzimmer entstehen insgesamt in einem Vier- und Fünfsternehaus von Travel Charme Hotels & Resorts, beide eröffnen im Sommer 2023. In den Gebäuden wurden alte Schichten freigelegt, die im Laufe der Jahre verschwunden sind: Auf den Wänden kamen unter vielen Putzschichten schnörkelige Ornamente zum Vorschein, die nun erhalten bleiben. Im Festsaal wurden Blattgoldverzierungen freigelegt.

Im STANDARD-Gespräch erinnern sich die Architekten Markus Kaplan und Erich Bernard an die vielen Mängel der Bausubstanz: Die Schäden seien größer als erwartet gewesen, "das kann man fast als mutwillig bezeichnen", sagt Kaplan. Das Holz sei vom Hausschwamm, einem holzzerstörenden Pilz, befallen gewesen.

Kongresshaus und Haus Austria

Abgesehen von der Verkehrssperre auf dem Platz, die viele nervt, muss man im Ort lange suchen, um kritische Stimmen zum Projekt zu finden. Wie man die ohnehin raren Arbeitskräfte für die neuen Hotels finden will, fragen sich manche aber schon. Und noch etwas führt eine Einheimische, ebenfalls anonym, ins Treffen: "Die Gäste wünschen sich eine bestimmte Infrastruktur. Die gibt es nicht." Denn Gemeindeamt, Trafik, Banken und die meisten Geschäfte haben sich in den Jahren des Stillstands aus dem Zentrum verabschiedet.

Das Schicksal des früheren Kurhotels Mirabell, von dem ein Teil abgerissen wurde, ist derzeit noch offen.
Foto: Zoidl

Der Name Duval ist in Bad Gastein weiter in aller Munde. Franz’ Erben Philippe Duval gehören im Ortszentrum immer noch zwei riesige Gebäude und damit ein Großteil der leerstehenden Gewerbeflächen: das Haus Austria und das riesige Kongresshaus aus den 1970er-Jahren, das mit seiner brutalistischen Bauweise bis heute die Gemüter spaltet. Hier wäre Platz für Shops, Events und Kunst, meinen viele. Doch es braucht Fantasie, sich das vorzustellen. Die Fensterscheiben in beiden Gebäuden wurden schon vor langer Zeit mit weißer Folie beklebt.

Auf Anfrage des STANDARD schickt Philippe Duval einen Link zu seiner Website, der "Gasteins Historic City". Seit Jahren will er eine Seilbahn vom Kongresshaus zur Mittelstation der Stubnerkogelbahn bauen, Kommunikation mit der Gemeinde gibt es aber nicht. Dort ist man dennoch optimistisch, dass früher oder später Bewegung in die Causa Kongresshaus kommen wird.

Es gibt noch ein weiteres Sorgenkind: Der Wiener Investor Christian Ebner hat das leerstehende Kurhaus Mirabell mit seiner Schönbrunn-gelben Fassade 2019 gekauft. Die Abbrucharbeiten an einem nicht denkmalgeschützten Gebäudeteil zogen sich, sehr zum Missfallen der Gemeinde. "Da hat es ausgeschaut wie im Hafen von Beirut", sagte Bürgermeister Gerhard Steinbauer (ÖVP) bei einer Gemeindeversammlung vor kurzem. Nun sind die Arbeiten zwar erledigt und ein Holzzaun aufgestellt; wie es weitergeht, ist allerdings offen. Dem Vernehmen nach steht die Liegenschaft zum Verkauf.

Die Aufbruchstimmung im Ort hat aber nicht nur mit Kränen und Abbruchbaggern zu tun. Gut vernetzte Hoteliers einer neuen Generation, etwa aus den Häusern Hirt, Miramonte, Regina, entwickeln seit Jahren Visionen dazu, wie es mit dem Ort weitergehen soll. Ein Resultat ist das Festival sommer.frische.kunst., das seit zwölf Jahren namhafte Künstlerinnen in den Ort bringt.

Und ein neues Publikum. Ins ehemalige Hotel Weismayr neben dem Kongresshaus ist im Vorjahr die Hipster-Hotel kette Selina eingezogen. Hier legt abends ein DJ auf, es gibt einen Co-Working-Bereich. Am Habsburgerhof, einem Bau aus den 1960er-Jahren an der Kaiser-Wilhelm-Promenade, wird nun ebenfalls gebaut. "Wenn ein Ort weit unten ist, ist viel Platz für Neues", sagt Lars Johannsen, Chef des Selina hier im Ort.

Beim Habsburgerhof drehen sich die Kräne.
Foto: Harun Celik

Pläne für den "Grünen Baum"

Auch im nahen Kötschachtal könnte sich etwas tun: Das Hoteldorf Grüner Baum, in dem einst Liza Minnelli ihr Schnitzel mit Ketchup verspeist haben soll, steht seit einem Konkurs 2015 leer. "Der Grüne Baum war früher einmal weltbekannt", erklärt ein Einheimischer mit glänzenden Augen. Heute dient er als morbide Fotokulisse. Durchs Fenster sind die alten Möbel zu sehen, ein Porträt von Kaiserin Elisabeth – wem sonst? – hängt an der Wand. Die Eigentümerin, die Leipziger Stadtbau AG, plant hier ein neues Hoteldorf, bei dem die alte Substanz erhalten und um weitere Bauten erweitert werden soll. Wenn Ortsplaner und Gemeinderat das Projekt absegnen, soll es jetzt "möglichst schnell" losgehen, heißt es vonseiten des Unternehmens.

Für das Hoteldorf Grüner Baum gibt es Pläne.
Foto: Zoidl

"Wir sind an einem magischen Punkt, an dem viele Weichen gestellt werden", sagt Evelyn Ikrath, Chefin von Haus Hirt, die schon lange im Ort mitmischt. Neben den großen Baustellen, wo die Arbeiten nun an Fahrt aufnehmen, brauche es jetzt aber auch viele kleine Prozesse – gute Kinderbetreuung, Wohnraum für Einheimische oder Arbeitskräfte.

"Vernünftig", sagt ein Einheimischer und schaut auf die Hochhäuser, die hier am Ende des Gasteinertals in die Höhe geschraubt wurden, "vernünftig war Bad Gastein nie". Aber kann das auch eine Chance sein? Ganz bestimmt. Doch die Geschichte des Straubinger zeigt: Den Tisch sollte man in Bad Gastein nicht decken, bevor die Gäste eintreffen. (Franziska Zoidl, 29.5.2022)