Um Exoplaneten aus der Nähe zu betrachten, könnte man den Gravitationslinseneffekt der Sonne ausnutzen.

Illustr.: Nasa

Licht wird von Masse gebeugt. Ist die Masse groß genug, kann man die Ablenkung mit entsprechenden astronomischen Instrumenten am Himmel beobachten. Da auch die Sonne nicht gerade ein Leichtgewicht ist, lässt sich der Effekt auch bei ihr wahrnehmen. Ihrem Gravitationsfeld ist sogar die erste experimentelle Überprüfung Albert Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie (ART) im Jahr 1919 zu verdanken: Die Forscher konnten während einer totalen Sonnenfinsternis am 29. Mai erkennen, dass Sternenlicht auf seinem Weg zur Erde am Rand der Sonnenscheibe abgelenkt wird.

Da das Phänomen der Lichtbrechung von optischen Linsen gleicht, sprechen Fachleute vom Gravitationslinseneffekt. Er zeigt sich beispielsweise, wenn Galaxien hinter Masseansammlung verschoben, verzerrt, manchmal sogar vervielfacht oder verstärkt erscheinen. In einigen Fällen lässt sich durch diesen verstärkenden Effekt ein Blick auf Objekte erhaschen, die andernfalls viel zu weit weg wären, um mit existierender Technik beobachtet zu werden.

Was hier wie ein lächelndes Gesicht aussieht, ist die Hubble-Aufnahme des massiven Galaxienhaufens SDSS J1038+4849. Die merkwürdigen Bögen rings herum entstehen durch die Gravitationskraft des Galaxienhaufens, der das Licht von weiter hinten liegenden Objekten zu einem sogenannten Einstein-Ring verzerrt.
Foto: Nasa/Eso

Schlechte und gute Nachrichten

Auf die Idee, dass man diesen Effekt mithilfe der Sonne gezielt ausnutzen könnte, kam bereits 1979 ein Professor an der Stanford University. Doch erst in den letzten Jahren haben bildgebende Verfahren und die Rechenleistung von Computern ein Niveau erreicht, das es ermöglichen würde, Exoplaneten mithilfe des Gravitationslinseneffektes tatsächlich "heranzuholen". Eine Gruppe um Slava Turyshev vom Jet Propulsion Laboratory der Nasa hat 2020 eine entsprechende Technik vorgestellt.

Die von Alexander Madurowicz und seinem Team vorgestellte Methode könnte uns Exoplaneten buchstäblich näher bringen.
Grafik: Alexander Madurowicz

Zuerst die schlechte Nachricht: Die Position eines Teleskops, dass den Gravitationslinseneffekt der Sonne sinnvoll nutzen könnte, müsste wirklich weit jenseits der Umlaufbahn des Neptun positioniert werden, wie nun ein Team um Alexander Madurowicz von der Stanford University im "Astrophysical Journal" vorgerechnet hat. Die gute Nachricht wäre dagegen: Würde man es schaffen, ein Weltraumteleskop an einer entsprechenden Stelle im All zu platzieren, hätte man die Chance, die bislang leistungsstärksten Abbildungstechnologien noch um das Tausendfache zu übertreffen.

Entzerrter Ring

Mehr noch: Die neue Methode könnte das Aussehen eines Exoplaneten aus einer einzigen Aufnahme rekonstruieren. Das Bild müsste dabei aus jenem ringförmigen Abbild erschlossen werden, zu dem die Schwerkraft der Sonne das Licht von dem Planeten verbogen und komprimiert hat. Die von Madurowicz und seinem Team entwickelten Algorithmen würden diesen Ring entzerren und zu seiner ursprünglichen Scheibenform gleichsam rückübersetzen.

Was würde man mit diesem Verfahren letztendlich sehen? Beeindruckende Bilder, wie die Gruppe anhand von Experimenten und Computermodellen darlegt: Für ein aussagekräftiges Abbild eines bis zu 100 Lichtjahre entfernten Exoplaneten müsste ein Teleskop vom Kaliber des Hubble Weltraumteleskops zwar rund 14-mal weiter von der Sonne entfernt stationiert sein als der Zwergplanet Pluto – das Ergebnis wäre jedoch mit den Aufnahmen der Apollo-8-Mondmission von unserer Erde vergleichbar, so die Forschenden.

Video: Wie man Exoplaneten mithilfe der Sonne heranzoomen könnte.
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Wolken und Oberflächenmerkmale

Um einen Exoplaneten mit der von den Forschenden beschriebenen Auflösung abzubilden, bräuchte man derzeit ein Teleskop, das rund 20-mal breiter wäre als die Erde. "Die Sonnengravitationslinse würde ein völlig neues Fenster für die Beobachtung des Weltraums öffnen", sagte Madurowicz. "Man könnte damit sogar die Dynamik der Exoplanetenatmosphäre, die Verteilung von Wolken und einzelne Oberflächenmerkmale erkennen."

Aber noch einmal zurück zur schlechten Nachricht: Nach Meinung des Teams wird es mindestens 50 Jahre dauern, ehe ein Teleskop dorthin geschafft werden könnte, wo es den Gravitationslinseneffekt der Sonne ausnutzen würde. Mit aktuellen technischen Möglichkeiten bräuchte man mindestens hundert Jahre, um dorthin zu gelangen. "Dennoch ist es wichtig, das Konzept schon einmal auszuarbeiten und zu entwickeln", meinen die Wissenschafterinnen und Wissenschafter. (tberg, 23.5.2022)