Die Hausratte (Rattus rattus) ist eine der häufigsten der weltweit 56 Rattus-Arten. Sie kommt in ganz Afrika, Asien, Australien, Europa und Amerika vor.

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Die Hausratte, unter anderem auch als Schiffsratte bekannt, hat Europa in der Römerzeit und im Mittelalter gleich zweimal besiedelt. Das zeigte eine aktuelle Studie, bei der erstmals altes Erbgut dieser Spezies näher unter die Lupe genommen worden war.

Die Hausratte (Rattus rattus) gehört zusammen mit der Hausmaus (Mus musculus) und der Wanderratte (Rattus norvegicus) zu den drei Nagetierarten, die sich an das Leben in menschlichen Siedlungen angepasst und sich menschliche Nahrungsquellen und Transportmöglichkeiten zunutze gemacht haben. So ist es ihnen gelungen, sich weltweit zu verbreiten.

Im Schatten entstehender Weltreiche

In Europa war die Hausratte bis zum 18. Jahrhundert weit verbreitet, bevor ihre Population stark zurückging – höchstwahrscheinlich wurde sie von der neu eingewanderten Wanderratte verdrängt, der heute dominierenden Rattenart im gemäßigten Klima Europas. Durch die Analyse der Genome alter Hausratten, deren Überreste bei archäologischen Ausgrabungen in Europa und Nordafrika gefunden wurden und die den Zeitraum vom ersten bis zum 17. Jahrhundert umspannen, haben die Forschenden neue Erkenntnisse darüber gewonnen, wie sich die Rattenpopulationen im Zuge des menschlichen Handels, der Urbanisierung und der Entstehung von Weltreichen ausbreiteten.

Die Studie zeigt, dass die Hausratte Europa mindestens zweimal besiedelte: einmal zur Zeit der römischen Expansion, danach noch einmal im Mittelalter. Der Rückgang der Ratten im frühen Mittelalter ist auch durch archäologische Funde belegt. Den Autorinnen und Autoren der nun im Fachjournal "Nature Communications" veröffentlichten Studie zufolge hing dies wahrscheinlich mit dem Zusammenbruch des römischen Wirtschaftssystems zusammen.

Erneute Ausbreitung im Mittelalter

Aber auch klimatische Veränderungen und die Justinianische Pest im sechsten Jahrhundert könnten eine Rolle gespielt haben, wie das Team der University of York und der University of Oxford in Zusammenarbeit mit den Max-Planck-Instituten für Menschheitsgeschichte (Jena) und für evolutionäre Anthropologie (Leipzig) berichtet. Als die Städte und der Fernhandel im Mittelalter wiederauflebten, kam es auch zu einer erneuten Ausbreitung der Hausratte.

"Wir wissen seit langem, dass die Ausbreitung von Ratten mit menschlichen historischen Ereignissen zusammenhängt und haben vermutet, dass die römische Expansion die Ratten nordwärts nach Europa gebracht haben könnte", sagt David Orton von der University of York. "Aber ein bemerkenswertes Ergebnis unserer Studie ist, dass es sich dabei um ein einzelnes Ereignis zu handeln scheint: Alle unsere römischen Rattenknochen von England bis Serbien bilden genetisch gesehen eine einzige Gruppe."

Neue genetische Signatur

"Als die Ratten im Mittelalter wiederauftauchen, sehen wir eine völlig andere genetische Signatur – aber auch hier bilden alle unsere Proben von England über Ungarn bis Finnland eine einzige Gruppe", so Orton weiter. "Einen deutlicheren Beweis für die wiederholte Besiedlung Europas hätten wir uns nicht wünschen können." Die heutige Dominanz der Wanderrate hat die faszinierende Geschichte der Hausratte in Europa überblendet. Die genetischen Signaturen früher Hausratten zeigen aber, wie eng die Populationsdynamik dieser Tiere mit der des Menschen verbunden ist.

Nach Ansicht der Forschenden könnte die Studie sogar Aufschluss über die Migrationswege des Menschen über die Kontinente hinweg geben. "Diese Studie ist ein großartiges Beispiel dafür, wie der genetische Hintergrund von Arten wie der Hausratte, die im Umkreis menschlicher Siedlungen leben, menschliche historische oder ökonomische Ereignisse widerspiegeln kann. Wir können noch viel von diesen häufig nicht für wichtig befundenen kleinen Tieren lernen", sagt He Yu, Forscherin am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. (red, 24.5.2022)