Hörenswert auf Tonträger und im Konzert: Der talentierte Klaus Mäkelä hat mit seinem Oslo Philharmonic alle Symphonien von Jean Sibelius aufgenommen.


Mathias Benguigui

Schaden kann es nicht, wenn einer wirkt, als würde er glatt das Casting für ein Remake von Vier Hochzeiten und ein Todesfall gewinnen – als Charles, den Hugh Grant dargestellt hat. Ob jenes juvenilen Dandytums, das Dirigent Klaus Mäkelä ausstrahlt, könnte er selbst aus F. Scott Fitzgeralds Der große Gatsby herübergebeamt worden sein. Klar, dass Decca, jenes Label, das den Finnen exklusiv verpflichtet hat, solche Ausstrahlung fotogen betonen lässt. Es gibt Bedarf an vermarktbaren Klassikmaestri.

Etwas Blasiertes, Überhebliches ist an Mäkelä am Sonntag im Wiener Konzerthaus allerdings nicht zu entdecken. Der in Helsinki geborene Musiker (Jahrgang 1996) ist gegenüber den Orchesterkollegen und Orchesterkolleginnen des Oslo Philharmonic die händeschüttelnde Herzlichkeit in Person. Sein Stil hat nichts von einem affektierten Luftmasseur; sachlich und prägnant sind Mäkeläs Gesten, gerne sucht er nach einem Stück einen Moment der Stille zu bewahren. Zur energischen Genauigkeit der rechten Hand gesellt sich eine das Poetische motivierende Linke, die Gespür zeigt für die Lyrik der düsteren Musik von Jean Sibelius. Gegeben wurden dessen zweite und vierte Symphonie.

Harte Arbeit ging voraus

Was in erlesener Qualität zu erleben war, ist extragründlich erarbeitet worden. Es begab sich nämlich, dass für Orchester und Chefdirigent durch Lockdowns alle Konzertaktivitäten zum Erliegen kamen. So vertiefte man sich in Sibelius’ Symphonien und nahm schließlich alle sieben auf. Zwar war diese eigenwillige Musik ohnedies "Teil des Orchesters und meiner DNA", schildert Mäkelä, der einst als Cellist in Helsinki seine Erfahrungen mit dem schwermütigen Erneuerer Sibelius gemacht hat.

Allerdings muss besonders das scheinbar Selbstverständliche durch Neubefragung von Routine befreit werden. Und die Befreiung war im Konzerthaus zu hören. Die vierte Symphonie, die durch ihren Aufbau wirkt, als würde sie an ihrer Entstehung teilhaben lassen, muss man erst einmal so aufgeladen und trotz ihrer Zerrissenheit so konturiert hinbekommen.

Grandiose Streicher

Vor allem mithilfe einer grandiosen Streicherabteilung, die nahe der Stille wie auch bei schnittigen Linien souverän und charaktervoll bleibt, erlangt das Fragmentarische des Werkes quasi düstere Leuchtkraft. Mäkelä kontrolliert die Form, ohne aber den Ausdruck zu bremsen. Diese Genauigkeit auch in der ausgestalteten Poesie dominiert denn auch die zweite Symphonie, wobei deren erster Satz zeigt, dass Mäkelä die opulente Geste nicht scheut, fähig ist, Schleusen zum Überbordenden zu öffnen.

Verständlich natürlich, dass sein Name gegenwärtig öfter international genannt wird. Es sind ja bei wichtigen Orchestern wie München (nach dem Gergiev-Rausschmiss) und Amsterdam (Concertgebouw) wichtige Posten zu besetzen. Mäkelä tut aber wohl gut daran, sich vorerst auf zwei Orchester zu konzentrieren. Er ist ja auch bald Chef des Orchestre de Paris. (Ljubiša Tošic, 24.5.2022)